Es gibt heute nichts für den Magen – es gibt Futter für den Kopf:
Malte Härtig ist kochender Philosoph oder philosphierender Koch. Er wurde im Ruhrgebiet geboren, lernte zunächst Koch in einem Sternerestaurant in Berlin, studierte dann Philosophie. Zum Thema „Kaiseki“ kam er, als er sich auf die Suche nach seiner kulinarischen Identität machte; das war vor ungefähr 10 Jahren. Das, was man hierzulande unter „feiner Küche“ verstand, war französisch geprägt, baute auf den immer gleichen Komponenten auf. Die Frage kam auf: wie eigentlich sieht „feine Küche“ anderswo aus? Gibt es Elemente, die alle Hochküchen gemeinsam haben? Kann man durch diese Fragestellung vielleicht auch Rückschlüsse auf die eigenen kulinarischen Wurzeln ziehen?
Vorweg: das Finden der eigenen Wurzeln hat nicht geklappt mit dieser Methode. Aber Malte Härtig weiß nun nicht nur Spannendes über die japanische Hochküche zu berichten, er hat sich auch intensiv Kaiseki (und im Zusammenhang damit auch mit der Teezeremonie) auseinandergesetzt. In diesem Buch erklärt er uns die Grundlagen von Kaiseki und führt uns einmal durch ein exemplarisches Kaisiki-Menü.
Was ist Kaiseki?
Aber was ist denn nun eigentlich Kaiseki? Vor ungefähr 1.000 Jahren kam der Buddhismus von China nach Japan. Mönche brachten Tee von ihren Studienreisen nach China mit und rasch entdeckte man in den Klöstern, dass dieses Getränk wach macht und so eine Hilfe bei den langen Meditationsperioden ist. Es wurde das fein vermahlene ganze Blatt des Tees verwendet – und so begann ca. im 16. Jahrhundert die Zeit der großen Teemeister, das Bereiten und Servieren des Tees wurde zu einem in den buddhistischen Kanon eingebundenen Ritual, das nach strengen Vorgaben ausgeführt wird. Nun beschränkt sich die Zeremonie nicht auf Tee, sondern es gibt auch Essen. Auch dieses ist in der Tradition der Zen-Klöster verwurzelt. Das Essen soll so einfach wie möglich sein und gerade so viel, dass man nicht verhungert. Klassischerweise gab es eine Schale Reis, einige kleine Beigaben und eine Suppe.
„Es ist, wie es ist. Die Dinge sind, wie sie sind“.
Und genau darum geht es: Kaiseki ist zutiefst verwurzelt in der Tradition des Zen. Es geht um das Verweilen im Moment, der in seiner Einfachheit doch die ganze Welt in sich birgt. Es geht darum, das Wesen der Dinge zu erkennen. Was ist das denn, das Wesen einer Bambussprosse?
Aber bevor ich Euch erzähle, wie Malte Härtig uns durch ein Kaiseki-Menü führt, noch ein kurzer Hinweis: es gibt zwei Arten von Kaiseki. Es gibt das Kaiseki, wie es in der klassischen Teezeremonie stattfindet, und es gibt die Kaiseki-Menüs hochklassiger Restaurants. Hier geht es um letzteres. Wir reisen in dem Buch durch ein klassisches Kaiseki, wie man es im Frühling essen kann. Ich nehme Euch eher oberflächlich mit durch das Menü, detaillierter ist das selbstverständlich im Buch zu finden.
Raum und Gastgeber
Jedes Essen beginnt mit dem Raum, in dem es stattfindet und mit dem Gastgeber. Wie auch das Essen, so ist beim Kaiseki auch der Raum von äußerster Einfachheit. Jedenfalls vordergründig. In Wahrheit jedoch ist die Einfachheit mit einem gewissen Aufwand verbunden und es steckt sehr viel Planung dahinter: Vom Licht über den Blumenschmuck ist alles auf das Essen abgestimmt und die Räume, die so schlicht wirken sind zwar schnörkellos eingerichtet, aber auch sehr hochwertig. Der Gastgeber, also der Koch, ist unsichtbar; so ist das ja auch in den meisten europäischen Restaurants. Die Kommunikation aber, die findet statt: der Koch gestaltet über die Situation im Raum, über die Auswahl der Gerichte den Abend und kommuniziert so unsichtbar mit dem Gast. Er läßt die Dinge sprechen und ist dadurch selbst anwesend.
Geschirr
Und jetzt zum Essen. Nein, noch nicht. Das Essen wird ja in Geschirr serviert, und auch dieses ist ein untrennbarer Teil des Gerichts. Noch vor 10 Jahren war es in Europa meist so, dass Tellergerichte auf weißem Geschirr serviert wurden; der Teller wurde sozusagen wie eine Leinwand gestaltet. Dass man heute das verwendete Geschirr in das Gericht mit einbezieht, kommt tatsächlich aus dem Kaiseiki. Eine Schale ist nicht einfach eine Schale – sie wird nach einem bestimmten Verfahren hergestellt, hat ihre eigene Geschichte und lädt dazu ein, sie genau zu betrachten und ihre Einzigartigkeit zu entdecken, besonders auch im Zusammenhang mit dem darin servierten Essen.
Fisch
Es geht in dem Buch um ein Frühlingskaiseki, wie es in Kyoto serviert wird. Da gibt es gerne Meeraal (japanisch hamo), ein Fisch, der außerhalb Kyotos nicht sehr geschätzt wird, denn er ist aufgrund der vielen Gräten schwer zuzubereiten. Früher, als es noch keine Kühlung gab, war es aber der einzige Fisch, der unbeschadet den Transport von der Küste in die Stadt überstand. Aufgrund der vielen Knöchelchen muss der Fisch sehr achtsam zerlegt werden, womit wir wieder beim Verweilen im Moment wären. Er galt als minderwertig, aber durch eine aufmerksame Behandlung, die seinem Wesen gerecht wird, wird er zur Delikatesse.
Bambussprosse
Der erste Kontakt mit Bambussprossen ist für uns ja meist die in Streifen geschnittene Ware aus der Dose. In Wahrheit ist die Bambussprosse ein Delikatesse des Frühlings, ähnlich wie bei uns der Spargel. Bambus bildet Rhizome; und er muss geernet werden, bevor die Sprosse ans Tageslicht kommt. Es erfordert viel Erfahrung, den richtigen Zeitpunkt für die Ernte zu kennen und sie muss danach rasch gegart werden, sonst wird sie bitter und ungenießbar. Bambus ist kräftig und stabil, gleichzeitig auch leicht und zart – Aufgabe der Zubereitung, ist es diesen Charakter zur Geltung zu bringen.
Reis
Reis hat einen besonderen Stellenwert in der japanischen Esskultur; er ist nicht einfach eine Sättigungsbeilage. (Gekochter) Reis bedeutet essen; und zwar wortwörtlich – gohan (ご飯), das ist das Wort. Man hat nicht gegessen, wenn man keinen Reis hatte; ich kenne das von einer japanischen Freundin, die auch nach einer Pizza zumindest noch ein bisschen Reis brauchte, um sich tatsächlich satt zu fühlen. Der Reis wird gegen Ende des Essens serviert, klassischerweise auf einem Tablett mit einer Suppe und etwas eingelegtem Gemüse, was wiederum den Bogen zu den einfachen Mahlzeiten der Zen-Klöster spannt.
Wagashi
Es gibt zum Abschluss noch eine Süßigkeit; die ursprünglich auch dazu da war, die Bitterkeit des servierten Tees zu mildern. Auch hier gilt – es ist nicht nur einfach eine Süßigkeit. Ein Wagashi besteht traditionellerweise aus gesüßter Bohnenpaste; aus Reis, manchmal auch nur aus Zucker. Es gibt viele unterschiedliche Sorten, und ihr Reiz erschließt sich einem ungeschulten Europäer nicht unmittelbar. Sie sind oft wie Obst, Blüten oder Blätter der jeweiligen Jahreszeit geformt und werden verstanden als eine Symbiose von Form, Geschmack und Funktion.
Tee
Das Menü endet mit einer weiteren Schale Matcha – womit wir wieder beim Ursprung des Kaiseki wären.
Fazit:
Ich habe dieses Buch während einer zweistündigen Bahnfahrt quasi inhaliert, und das liegt nicht nur daran, dass ich eine Affinität zum (Zen)-Buddhismus und zur japanischen Küche habe. Malte Härtig führt uns sehr sachkundig in die Tradition des Kaiseki ein, er ist nicht einfach gereist, er hat einige Zeit in Japan gelebt und sich in der Teezeremonie ausbilden lassen. Zudem schreibt er auch mitreißend und persönlich. Wer also anfangen möchte, sich mit Kaiseki zu beschäftigen, dem sei dieser Band dringend ans Herz gelegt.
Ein Interview mit Malte Härtig zum Nachlesen gibt es hier:
- Taschenbuch: 128 Seiten
- Verlag: mairisch Verlag
- Sprache: Deutsch
- ISBN: 978-3938539521
- € 12,00