Buchtipp: Eberhard Rathgeb - Das Paradiesghetto (noch LiteraTour Nord 2014-15)

Das Paradiesghetto: Zu gewollt, zu stark konstruiert kam mir die grundlegende Geschichte vor; doch kann ich mich täuschen, denn es gibt offenbar autobiografische Bezüge des Autors. Eberhard Rathgeb wurde 1959 in Buenos Aires geboren und übersiedelte im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland. Eliza, die Hauptfigur des Romans, jetzt 81, war vor dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Eltern nach Argentinien gekommen und kehrte nach dem Krieg als verheiratete Frau mit ihrem Mann zusammen nach Deutschland zurück. Sie beschäftigt sich jetzt, da sie alleine lebt, noch immer mit dem Erbe des Dritten Reiches, insbesondere mit Eichmann, der in Argentinien untergetaucht war.

Das Paradiesghetto


Mag sein, dass dieser Teil nicht glaubhaft ist - dennoch ist dieser Roman eines der berührendsten Bücher über das Alter (das Glück im Alter, das Warten auf den Tod). Elizas Mann ist inzwischen gestorben, sie lebt alleine in dem Vorstadthäuschen - alleine mit einem Hund -, ihre Töchter besuchen sie nicht allzu oft, sie mögen ihre Mutter nicht mehr von der dunklen Vergangenheit reden hören, vor denen sie selber lieber die Augen verschließen. Wirkliche Gespräche kommen sowieso nicht zustande, nur einmal wird ein Dialog mit den Töchtern wiedergegeben, alles andere sind Monologe der Mutter - und Pseudodialoge, sie redet mit ihrem Mann, ihrem Vater, dem Hund ... Manchmal ist es schwer zu unterscheiden: Redet sie wirklich mit den Töchtern, oder denkt sie es nur unhörbar? Wie auch immer, sie reden aneinander vorbei.
Weshalb Eliza sich immer noch mit der Nazivergangenheit beschäftigt: Sie kann sich nicht sicher sein, ob ihr Vater nicht doch auch Schuld auf sich geladen hat. Er war als Unternehmer ins "Paradiesghetto" gekommen und zwischendurch mehrmals dienstlich in Deutschland gewesen; um welche Geschäfte es ging, weiß die Tochter nicht.
Ein Ausschnitt: Ich bin die Letzte. Alle anderen sind gegangen. - Wir sind doch da, riefen die Töchter aus weiter Ferne. - Übrig geblieben, vergessen, liegengelassen, dachte sie. - Wir denken an dich, riefen die Enkel aus weiter Ferne. - Keiner interessiert sich für mich, sagte sie. Ich bin euch allen eine Last. - Das ist nicht wahr, sagten die Töchter mit schlechtem Gewissen, weil ihnen die alte Mutter oft eine Last war. - Sie sah ihre Töchter an und schmatzte mit den Lippen. - Ihr seid fort, sagte sie. Eine nach der anderen seid ihr weggegangen. - Wir kommen dich bald besuchen, beteuerten die Töchter jedes Mal, wenn sie ihre Mutter anriefen, und legten auf, ohne sich auf einen Tag festgelegt zu haben. - Ihr kommt nicht gern zu mir, fuhr sie fort. Ich bin euch zu alt. Ihr könnt mit mir nichts mehr anfangen. - Das ist nicht wahr, beteuerten die Töchter. - Aber bald ist Schluss, sagte sie ...

Durch diese Art des Schreibstils kommt Eberhard Rathgeb der Realität sehr nahe. Im Gespräch nach der Lesung in Hannover bekennt er, dass er tatsächlich beim Schreiben von eigenen Erfahrungen ausgeht und diese radikal weiterdenkt. Wesensmerkmal des alt gewordenen Menschen sei, dass das Leben kein Strauß voller Möglichkeiten mehr ist. Die letzten Meter ihres Lebens geht diese Frau alleine; sie hat es aber gelernt, mit der Wirklichkeit ihres verbliebenen Lebens umzugehen, die sie als Reichtum empfinden kann. Was Glück ist, glaubt sie allerdings nicht zu wissen oder wollte das gar nicht - deshalb die ersten Sätze des Romans, ausgesprochen von den Töchtern nach der Beerdigung (ob sie recht haben, darf bezweifelt werden): "Sie hatte das Glück nicht gemocht und war mit ihrem Unglück alt und einsam geworden. Sie wusste, dass sie nicht in Frieden sterben würde. Die Unruhe blieb, der Zweifel, das Misstrauen, die Empörung und eine ungewisse Sehnsucht. Das Leben zog sich aus ihr zurück, müde und schwermütig, wie nach einer Niederlage, ganz so, als sei ihr nicht zu helfen gewesen ..."

Nach Lektorat bei Klett-Cotta und Journalismus (FAZ) ist Rathgeb jetzt auch als Schriftsteller erfolgreich - Leserinnen und Leser empfinden seine Nähe zu dem, worüber er schreibt, als wahrhaftig.

Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Bild: Titelbild des Verlages

Buchtipp: Eberhard Rathgeb Paradiesghetto (noch LiteraTour Nord 2014-15)

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