Die Deutschen tun sich bekanntlich schwer mit militärischen Interventionen und verlegen sich lieber auf "politische Lösungen", den Zauberstab der Verhandlungen. Doch weder das eine noch das andere ist eine immer zu bevorzugende Lösung, und Brockmaier und Rothmann behandeln in ihrem Buch diverse Fallbeispiele von Libyen zu Mali und Syrien, in denen sie untersuchen, welches Instrument angewandt wurde und mit welchem Erfolg. Grundsätzlich für ihre Argumentation ist die nicht unbedingt neue, aber stets zutreffende Kritik, dass es der deutschen Außenpolitik grundsätzlich an einer sinnvollen strategischen Ausrichtung fehlt. Sie beklagen die einseitige Verengung der Debatte auf die Frage, ob militärische Mittel eingesetzt werden sollen, und wehren sich dagegen, es als beständigen Dualismus zu sehen - Militär schlecht, Zivil gut -, ohne dass eine Strategie dahintersteht. Völlig zurecht fragen sie etwa, wie eine "politische Lösung" aussehen soll, die der damalige Außenminister Steinmeier vorschlug, als der IS die Jesiden massakrierte; gleichzeitig kritisieren sie aber auch die "Intervention auf Autopilot" in Libyen 2011. Ihre Argumentation ist insgesamt differenzierter, was wenig verwunderlich ist: ihre Kernforderung ist die nach differenzierter Werkzeugauswahl in den internationalen Beziehungen und einer dahinterliegenden Strategie. Diese Kernforderung wird in verschiedenen Dimensionen, von Entwicklungshilfe über logistische Unterstützung zu rechtsstaatlichen Prozessen zu Interventionen immer wieder wiederholt und an konkreten Beispielen sehr greifbar gemacht. Brockmaier und Rothmann schauen dabei auch über den Tellerrand hinaus, welche Interessen und legalistischen Theorien von anderen Akteuren wie etwa Brasilien (2011 Vorsitzende des UN-Sicherheitsrats) vertreten werden und wie diese mit Europa interagieren. Sehr empfehlenswertes, leicht lesbares Buch, das mit einem guten Mix an Beispielen und theoretischen Abhandlungen aufwarten kann.
James S. A. Corey - Tiamat's Wrath. The Expanse Book Eight (James S. A. Corey - Tiamats Zorn)
For some reason, the publication of the eighth novel in the Expanse cycle in March totally went past me, so I only read it now. The book picks off a few years after Book 7, in which the Laconians conquered the known galaxy and James Holden was taken captive by High Consul Duarte. As we check back in, Naomi is a vital figure in the Underground's leadership cadre, Bobby commands a stolen Laconian destroyer (piloted by Alex), and Amos is MIA on a mission to Laconia, where he was supposed to plant a Nuke but has since missed every evacuation window. Holden remains a captive of Laconia. The story is told from five POV characters perspectives: Naomi, Elvi, Alex, Bobby and, new to the mix, Duarte's daughter Theresa. Without going too much into spoilers, the plot covers a scientific mission of Elvi's that's supposed to research anomalies in the weirder ring systems, several terrorist attacks carried out by Bobby and Alex, Naomi's struggle with the ultimate goal of the resistance and how to achieve it and Theresa's development as the teenage daughter of the new Empire's God King. In two chapters, we get an intermission from Holden's viewpoint, but in general, for the first time, the man remains aloof and closed to us.
Dan Carlins Podcast "Hardcore History" gehört sicherlich zu den bekanntesten Geschichtspodcasts überhaupt, und zu den erfolgreichsten. Es ist so gesehen verwunderlich, wie lange es gedauert hat, bis Carlin endlich ein Buch dazu geschrieben hat. Der Titel "Hardcore History" ist dabei Programm; Carlins Geschichtserzählungen sind nichts für Zartbesaitete. Seine Selbstbeschreibung ist, dass er an den "extremes of the human experience" interessiert ist. So beschäftigt er sich mit Völkermorden, dem Zusammenbruch von Zivilisationen, dem Einsatz der Atombombe oder Kindesmisshandlung in der Geschichte. Das vorliegende Buch ist langjährigen Hörern des Podcasts thematisch bereits bekannt; die darin vorliegenden Kapitel sind allesamt polierte Versionen früherer Episoden des Podcats (etwa "Suffer the Children", "Beubonic Plague" oder "Logical Insanity"). Das ist auch gleich der erste Kritikpunkt. Wer wie ich diese Folgen noch gut im Ohr hat, wird in der Buchversion (die Carlin im Hörbuch in seinem ihm eigenen Stil selbst vorliest) wenig Neues entdecken. Für Fans des Formats dürfte das allerdings kaum abschreckend sein. Tatsächlich ist absolut faszinierend, wenn Carlin seine großen Geschichtserzählungen entwirft. Er ist ein herausragender Erzähler, erst einmal völlig unbenommen vom eigentlichen Inhalt. Aber auch der Inhalt weiß überwiegend zu überzeugen. Wenn Carlin die Logik des "moral bombing", also des Flächenbombardements vor allem im Zweiten Weltkrieg nachvollzieht, stecken wir als Leser/Hörer in den Schuhen der Verantwortlichen. Wir mögen immer noch instinktive Abwehrreaktionen gegen die Logik haben, aber wir verstehen sie. Gleiches gilt für die logic insanity des atomaren Rüstungswettlaufs. "Erschrecken" dürfte die relevante Reaktion sein, wenn man die Erzählungen von der Herrschaftspraxis der Assyrer liest, bei denen Völkermord und Menschenrechtsverbrechen Staatsräson waren. Geradezu erschütternd ist seine Geschichte der Kindesmisshandlung. Die große Frage, die Carlin hier aufwirft, ist, ob bis Mitte des 20. Jahrhunderts nicht praktisch alle Kinder konstant misshandelt wurden - und welche Rückschlüsse das auf die Geschichte und ihre Entscheidungsträger zulässt. "Frage" ist übrigens die richtige Formulierung für Carlins gesamten Ansatz. Er liebt es, Fragen aufzuwerfen, den Leser zu provozieren und zum Nachdenken über die Frage nicht nur anzuregen, sondern geradezu zu zwingen. Die große Leistung seines Ansatzes ist es, sein Publikum zum fundamentalen Zweifel zu bringen, zur Reflexion über Themen, mit denen man sich sonst nicht beschäftigt hätte. Eine letzte Schwäche soll nicht verschwiegen werden. Die Verschriftlichung der früheren Podcast-Beiträge sorgt für einige Redundanzen, die im Hör-Medium bei weitem nicht so stark ins Gewicht fallen, in der konzentrierten Form hier aber auffällig sind und durch ein entschlosseneres Lektorat hätten verhindert werden können. Es ist nichts Schlimmes, nur hat Carlin einige Lieblingsvergleiche, die sich auf der kleinen Fläche dieses Buches häufen dessen Hörbuchversion keine acht Stunden lang ist - während Carlins Podcast locker 20 Stunden und mehr Gesamtlaufzeit zu einem Thema erreichen können, wo das dann weniger auffällt. Die unbedingte Kauf- und Leseempfehlung aber bleibt bestehen.
Manchmal liest man Bücher, die einen Erkenntnisgewinn bringen, der wie ein scharfes Schwert in die Unordnung des Geistes schlägt und alles neu strukturiert. Hoffentlich gibt es auch welche, die mir helfen, bessere Vergleiche zu finden. Anyway. Lesern dieses Blogs dürfte nicht neu sein, dass ich das Aufkommen von #metoo und der deutlich verbesserten Wahrnehmungsschwelle gegenüber sexueller Gewalt sehr offen gegenüberstand. Aber gemäß dem sokratischen Motto dass ich eigentlich nur weiß, dass ich nichts weiß, hätte mich nicht überraschen sollen, wie wenig ich eigentlich über die Hintergründe der Bewegung, gerade auf intellektueller Ebene, eigentlich durchdrungen hatte. Glücklicherweise gibt es Linda Hirshman. Von den 1960er Jahren bis heute zeichnet Kirhsman den Kampf der Frauenbewegung für die Anerkennung sexuellen Missbrauchs als Straftat nach. Dieser vollzog sich auf verschiedenen Ebenen: Von der rein juristischen Überarbeitung der Strafgesetzbücher und der zugrunde liegenden Normen (wie so oft ist der Civil Rights Act von 1964 eine Wasserscheide) zu ersten realen Entscheidungen hin zu einem gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandel, den die Autorin in der #Resistance der #Pussyhats und der #metoo-Bewegung ein vorläufiges Ende finden lässt. Was dieses Buch so brillant und unbedingt lesenswert macht (ich halte es für DAS Buch, für das ich dieses Jahr eine Empfehlung aussprechen will!) ist, wie die Autorin einerseits in der Lage ist, die systemischen Strukturen zu analysieren, die hinter dem langen Kampf für die Anerkennung dieses Strafbestands und der Täter liegen. Entscheidend dafür ist ihre Fähigkeit, die juristischen Auseinandersetzungen auf ein verständliches und packendes Level zu holen (angesichts des trockenen Stoffes nicht eben einfach) und mit feministischer Theorie zu verbinden, und andererseits, wie sie es schafft, die inhärenten Widersprüche dieses Kampfes gerade auf progressiver Seite offen zulegen. Die zentrale Erkenntnis ist die Dichothomie zwischen zwei Unterdrückungsrichtungen für Frauen: einerseits die von konservativer Seite kommende Einschränkungen der Reproduktionsrechte und formellen Bürgerrechte (das klassische Patriarchat) und andererseits die von liberaler Seite kommende "sexuelle Befreiung" der 1960er Jahre, die Hirshman in einer Art geißelt, die jeden Konservativen zu Jubelrufen reizen dürfte. Vor dieser analytischen Brille macht plötzlich die lange Reihe liberaler, sich öffentlich zum Feminismus bekennender Sexualstraftäter von Bill Clinton bis Harvey Weinstein Sinn. Hirshman zeichnet dabei mit analytischer Brillanz und Schärfe das schwierige Verhältnis des Feminismus zu diesen Leuten und Strömungen nach, einerseits als Ganzes und andererseits als interner Richtungskampf zwischen zweiter und dritter Welle. Zudem enthält das Buch eine klare Theorie des sozialen Aktivismus, die permanent mit diesen Ereignissen verknüpft wird und als analytisches Instrument dient. Der beständige Kreislauf von rechtlicher Umgestaltung, Präzedenzfällen, Aktivismus, Backlash, Anerkennung und der Rolle des technologischen Wandels (Stichwort Hashtag-Aktivismus) werden von ihr alle ebenso kühl wie präzise analysiert. Noch einmal: eine absolute Empfehlung, und ein wahres Ausnahmebuch.
Dinosaurier gehören genauso wie Sterne und Planeten zu den Themen, zu der Kindersachbücher in Hülle und Fülle existieren (ich lese sie permanent mit meinen Kindern, kann also auf Erfahrung aus erster Hand zurückblicken) und die für Jugendliche und Erwachsene meist völlig vom populärwissenschaftlichen Radar verschwinden. Das ist sehr bedauerlich, und eigentlich interessieren mich beide Themen ja auch. Ich habe daher ein wenig recherchiert und bin auf dieses Werk von Steve Brusatte gestoßen, das einen Überblick aus der Feder eines Paläontologen verspricht. Vom Beginn der Trias nimmt uns der Autor auf eine Zeitreise bis zum Einschlag des Meteoriten, der die Kreidezeit beendet. Brusatte weiß gut, für welches Publikum er schreibt. Neben einigen exotischeren Dinosauriern und Forschungsgegenständen weiß er die Klassiker abzuarbeiten: Sauropoden, Triceratops, Tyrannosaurus Rex und Konsorten. Dabei bringt er stets den aktuellen Stand der Forschung ein und vermag aus der Beschreibung der Forschungsmethodik ein lebendiges Bild der längst vergangenen Zeit zu zeichnen. So erfährt man nicht nur etwas über die Dinosaurier, sondern auch über die Paläontologie. Diese nimmt einen wesentlich größeren Stellenwert ein, als der Buchtitel vielleicht erst einmal vermuten ließe; zu jedem Thema stellt und Brusatte einige seiner Kollegen in farbenfrohen Kurzbiographien vor (jeder seiner Bekannten ist effektiv ein Charakter aus Jurassic Park, wenn man ihm Glauben schenken darf). Es ist ein sehr amerikanischer Stil, aber er ist unterhaltsam. Etwas problematischer empfinde ich den Rückgriff auf narrative Kunstformeln, in denen beständig von "König" und "Dominanz" die Rede ist, sprich, welche Lebensform evolutionär an der "Spitze" steht. Das ist eigentlich eine ziemlich veraltete und schlicht gefährliche Sichtweise, vor allem, wenn man wie Brusatte explizite Analogien zur Menschheit zieht. Es ist ein bisschen Vulgär-Evolutionstheorie. Insgesamt aber ist das Buch für den interessierten Laien super verständlich und gut zu lesen. Daher klare Empfehlung, wenn man mal wieder - auf Erwachsenenniveau - der kindlichen Begeisterung für Dinosaurier nachspüren möchte. Buchtipps für eine ähnliche Reise durch das Sonnensystem sind herzlich willkommen.