Dolan schreibt nicht nur als War Nerd über Guerillakriege in der Dritten Welt, sondern hat es auch auf sich genommen, die Ilias zu übersetzen. Oder, man muss es genauer sagen, zu paraphrasieren. Wie Dolan im Vorwort so treffend erklärt: Lyrik in Buchlänge wird zwar gelegentlich noch geschrieben, aber nicht gelesen. Unser Zeitalter ist ein Zeitalter der Prosa. Da Dolan selbst Lyrik schreibt, muss er es wohl wissen. Die Prämisse dieser Übersetzung der Ilias ist, dass Dolan die grundsätzliche Geisteshaltung der Bronzezeit beibehält, eine Geisteshaltung, die uns mehr als fremd ist. Er modernisiert die Geschichte in diesem Sinne nicht. Die Modernisierung ist auf sprachlicher Ebene, verbunden mit einigen Erklärungen, wo sie notwendig sind, die allerdings ebenfalls die Mentalität der Bronzezeit erhalten. Was heißt das konkret? In Dolans Ilias bekommen wir nicht nur die Paraphrase der einzelnen Verse aus Homers epischem Werk, in dem Speere in irgendwelche Gesichter gestoßen werden (und ja, das wird bei Homer in blutigem Detail ausgedichtet), sondern auch die lakonischen Erklärungen, warum die Leute agieren wie sie agieren. So macht Dolan keinen Hehl daraus, dass die Ilias auch ein Klassenkampf ist, in dem einzig die Adeligen zählen und die Fußtruppen reines Kanonenfutter sind. Er beschreibt die Plünderungen der Gefallenen (und wie gefährlich sie sind, weil man beim Bücken verletzlich ist) und dass die Streitwagen ein ineffektives Statussymbol sind. Auch die Götter und ihr Eingreifen auf dem Schlachtfeld werden beschrieben, auf eine Art, die deutlich zeigt, wie der Olymp von den Griechen wahrgenommen wurde und gleichzeitig einen tiefen Einblick in die Psyche der antiken Griechen gibt. Die Ilias wird in ihrer Bedeutung nicht ohne Grund mit der Bibel gleichgesetzt, was ihre Wirkung als fundamentalen Text der Kultur angeht. Auch für dieses Buch gilt daher eine absolute Kaufempfehlung. Wie Lektüre ist grandios, die Einblicke die man gewinnt wertvoll.
Quasi als Folgelektüre für meine Serie zum real existierenden Parlamentarismus ist dieses Buch zu empfehlen. Als Wort der Warnung gleich vorweg ist es sicherlich angeraten, auf dem in meinen Artikeln dargestellten Niveau über die entsprechenden Institutionen und Regeln Bescheid zu wissen, denn Meinel hält sich nicht mit langen Erklärungen auf, sondern geht in die Details. Er diskutiert dabei solche medialen Dauerbrenner wie den Fraktionszwang nur am Rande, eher mit Irritation, dass jemand immer noch die gleiche dumme Diskussion wiederholt, sondern geht direkt in die Verfassungstheorie. Seine zentrale These ist die: Die Struktur des bundesrepublikanischen Parlamentarismus' ist durch das Grundgesetz nicht vorgegeben, sondern hat sich über die Zeit des Bestehens der BRD mehrfach gewandelt, vor allem, aber bei weitem nicht ausschließlich, durch das Parlament selbst.
Fred Kaplan - The Bomb. Presidents, Generals and the Secret History of Nuclear War
Die Trennung der Geschichte der BRD in die "Bonner Republik" 1949-1990 und die Berliner Republik (seither) war Anfang der 1990er Jahre noch hoch umstritten, aber inzwischen ist deutlich geworden, was für eine Zäsur der Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin darstellt. Manfred Görtemaker unternimmt es in diesem kleinen Bändchen, nachzuzeichnen, welche Ereignisse in dieser Epoche liegen und warum sie eine solche Abkehr von den politischen Routinen Bonns darstellen. Hierzu verfolgen wir den Zusammenbruch der DDR und die Politik Kohls, gehen in die 1990er Jahre, in denen Treuhand und Aufbau Ost das Land vor ungeahnte Probleme stellen und betrachten dort auch den gleichzeitigen Wandel der Außenpolitik hin zu einer interventionistischeren Ader. Unter den gleichen Auspizien steht dann auch die Betrachtung der Rot-Grünen Ära, ehe Görtemaker mit dem Übergang zur Regierung Merkel - mehr Kontinuität als Bruch - seine Betrachtung schließt. So gern ich eine gute Geschichte dieser Ära lesen würde, so wenig kann ich leider dieses Buch empfehlen. Görtemaker begeht in dem Band in meinen Augen gleich zwei Kardinalfehler. Zum Einen lässt er seine persönlichen politischen Überzeugungen als Prämissen einfließen. Alles, womit er übereinstimmt, wird als hartes Fakt gehandhabt, alles andere maximal als unsaubere Alternative ausgeschlossen. Grundsätzlich ist es kein Problem, wenn ein Historiker eigene Ansichten in die Analyse einbringt, aber Görtemaker macht seine Prämissen und Werturteile weder deutlich (etwas, das selbst im Nebenfach Geschichte in der Oberstufe als zwingende Voraussetzung mehr als ausreichender Noten gilt), noch liefert er irgendwelche Begründungen für seine Behauptungen. Sie stehen einfach nur als axiomatische Urteile da. Der zweite Kardinalsfehler ist die Beschränkung der Geschichte auf die Felder der Außenpolitik und der großen Regierungsvorlagen. Das Einzige, was in dem ganzen Buch überhaupt diskutiert wird, ist deutsche Außenpolitik auf der einen und große Reformvorschläge aus dem Kanzleramt andererseits. Gesellschaftlicher Wandel und ähnliche "weiche" Themen kommen gar nicht vor, so dass Görtemakers Geschichte sich liest wie eine, die in den 1960er Jahren verfasst wurde. Die ganze Ära Rot-Grün etwa beschränkt sich auf Kosovo, Afghanistan, Irak, Elbeflut und Hartz-IV. That's it. Der Atomausstieg wird am Rande erwähnt, die restliche Umweltpolitik kommt gar nicht vor, auch werden gesellschaftliche Umbrüche in der Sozialgesetzgebung genauso wenig verhandelt wie das neue Staatsbürgerschaftsrecht (und die rassistische Hetze der CDU dagegen). Görtemaker steht offensichtlich voll hinter Schröders Maxime, dass es sich bei all dem nur um "Gedöns" handelt, das der Aufmerksamkeit eines echten Historikers (weiß, männlich, fortgeschrittenes Alter, versteht sich von selbst) nicht wert ist. Finger weg von solch angestaubtem Kram.
Die Idee hinter dem vorliegenden Band ist eine Aufsatzsammlung, in der ein bestimmtes Querschnittsthema anhand eines bestimmten Ereignisses aufgegriffen und vertieft wird. So behandelt ein Essay unter dem Ereignis "Mauerbau" die gesamte Geschichte der Grenzübergänge (oder ihr Verhindern), kümmert sich ein Essay mit dem letzten gesamtdeutschen Kirchentag um die Beziehung der Evangelischen Kirche in Ost und West, wird anhand der Einladung Thomas Manns nach Weimar die Literaturpolitik beider deutscher Teilstaaten verglichen, und so weiter. Der Vorteil des Essay-Formats ist klar. Einzelne Aspekte, die sonst in Gesamtabhandlungen in einem Absatz untergehen würden oder gar nicht erwähnt würden (looking at you, Görtemaker) kommen zu ihrem vollem Recht. Wie viel man aus ihnen jeweils herauszieht, liegt natürlich auch immer ein wenig am Eigeninteresse. Ich muss zugeben, bei manchen Essays deutlich aufmerksamer gelesen zu haben als an anderen, aber dafür bietet das Werk ja auch genug davon. Man kann quasi à la carte lesen. Der Nachteil ist klar der, dass eine solide Grundkenntnis der Geschichte beider deutscher Staaten und der zugrunde liegenden Systeme und Dynamiken schon vorausgesetzt wird. Es wird schwierig, Kirchenpolitik einzuordnen, wenn einem nicht klar ist, was Jugendweihe und FDJ sind. Daher sei hier kurz die Warnung abgegeben, dass das kein Werk für Einsteiger ist. Jedem aber, der sich für die grundsätzliche Prämisse eines Vergleichs zwischen beiden Teilstaaten interessiert, sei dieser Band engstens ans Herz gelegt. Wer dagegen einfach nur eine Überblicksgeschichte sucht, muss weiter schauen.
ZEITSCHRIFTEN
"Die Stunde Null" ist ein Thema, bei dem ich erst einmal instinktiv aufstöhne. Sie ist ein typischer Guido-Knopp-kompatibler Mythos, eine Meistererzählung ähnlich dem "Wirtschaftswunder", die ungefähr so viel Bezug zu realen historischen Gegebenheiten hatte wie der Sturm auf die Bastille mit der Populärversion, die sich die Franzosen jedes Jahr erzählen. Umso beruhigender ist es, dass die GEO-Epoche-Redaktion es geschafft hat (wie in fast jeder Ausgabe) der Versuchung zu widerstehen, einfach nur die übliche Guido-Knopp-Narrativität drüber zu knallen und es gut sein zu lassen. Stattdessen wird in mehreren Artikeln die Zeit zwischen (grob) 1945 und 1947 ausführlich beleuchtet. Zeitzeugen kommen dabei ebenso zu Wort wie die Autoren selbst, so dass eine vielschichtige Collage an Erfahrungen entsteht, die allein die Vorstellung, es habe eine für alle Deutschen auch nur ähnliche Stunde Null gegeben, Lügen straft. So verzichtet die Redaktion etwa darauf, den Mythos der Trümmerfrauen wiederzukäuen und erwähnt nur kurz am Rande, dass diese von den Besatzungsmächten gezwungen wurden. Hungersnot und Mangel werden thematisiert, der Schwarzmarkt, die Flucht hochrangiger Nazis (am Beispiel von Mengele) mit Hilfe der katholischen Kirche und der argentinischen Diktatur, die Entnazifizierung, die Willkür der Besatzungsbehörden. Es gibt noch weitere Themen, aber der Band ist wie praktisch immer absolut empfehlenswert.