Der Herr Gutenberg würde sich im Grabe umdrehen. Da revolutioniert der Herr den Buchdruck durch seine Erfindung der beweglichen Lettern und dann das: Neuerdings braucht der Mensch kein gedrucktes Buch mehr um Literatur zu lesen. Auch keine Zeitung muss gekauft werden, um auf dem Laufenden zu bleiben. Ja, nicht einmal der Computer muss noch als Übermittlungsmedium genutzt werden. All dies kann ersetzt werden durch kleine, flache elektronische Geräte. Sie haben ein schickes Display, das auch in der Sonne funktioniert, sie sind so klein und doch transportieren sie bis zu 1.800 Bücher von einem Ort zum Anderen. Gemeint sind E – Book – Reader, die an allen Ecken und Enden auftauchen. Sichtbar sind sie in Buchhandlungen, bei Bahnfahrten im Handgepäck und auch auf der Straße beim Gehen wurden sie schon gesichtet! Sie nennen sich “Kindle”, “Reader PRS 505″ oder “Bookman Cybook” und mit ihnen lässt sich im 21. Jahrhundert richtig Geld verdienen.
Aber wie kann die Literatur und mit ihr das Buch sich gegen die Evolution auf dem Buchmarkt behaupteten? Ist dieses Thema überhaupt einer Debatte würdig? Die Frage ist doch, kann das Buch weiterleben neben dem elektronischen Konkurrenten, der gewiss noch weiter entwickelt wird?
Schon in seinem Roman „Notre Dame de Paris“ schrieb Victor Hugo: „Ceci tuera cela” – “Dies wird jenes töten”. Da stellt sich zunächst die Frage, was überhaupt das Buch ausrotten oder ersetzten möchte. Was ist ein E – Book überhaupt? Wer glaubt, dass das E – Book eine Erfindung der letzten Jahre ist, der irrt. Schon seit 1971 gibt es so genannte elektronische Bücher, die vom Projekt Gutenberg im Internet bereitgestellt werden. Gelesen werden sie am Computer. Und mal ehrlich: Welcher Student greift nicht gerne auf die freierhältliche, vor allem kostenlose Variante eines Klassikers zurück, wenn Reclam dafür vielleicht 5 Euro haben möchte? Es wird versucht zu sparen, wo es möglich ist. Da wir also der sogenannten Informationsgesellschaft angehören, (ja wir wollen tatsächlich alles wissen und das bitte sofort und jetzt), ist es kein Wunder, dass schon 1988 das aller erste E – Book auf den Markt kam. Komplett wohlgemerkt und am PC lesbar, fehlte nur noch das Rascheln der Seiten und der wunderbare Geruch – Übertragung am PC leider nicht möglich!
Kulturell und historisch kann es der Reader allerdings nicht mit dem Medium Buch aufnehmen. Welche großartige Erfindung kann auf eine so weitreichende Vergangenheit zurück blicken? Bücher inszenierten die Lesewut, halfen gegen Analphabetismus und wurden später aus Angst vor revolutionären Inhalten verbrannt. Trotzdem öffneten sich andere Türen im Zeitalter der „neuen“ Medien. Warum fällt uns dieser Hype gerade jetzt 2012 so sehr auf?
Ganz einfach: Erst brauchten wir noch einen Computer um jenes E – Book zu lesen, dann folgten PDAs, später unsere Handys und dann schließlich der erste E – Book Reader. Jetzt, in diesem Moment, gibt es so viele verschiedene E – Book – Reader auf dem Markt, dass es schon fast einfacher ist, die passende Waschmaschine zu kaufen, als so ein kleines Ding, das elektronische Bücher lesbar macht.
Mittlerweile erreichen die E – Books einen Anteil von 1 % am Gesamtumsatz des Buchmarktes. 1% aller Bücher werden somit digital gelesen. Darunter sind Fachbücher, englische Bücher, Jugendbücher und auch Klassiker. Es ist ein großer Vorteil, dass es nur Minuten, wenn nicht sogar Sekunden dauert, und der Leser hat sein neues Buch „in der Hand“. Sofort kann das Wunschbuch gelesen werden und das oft noch zu einem geringeren Preis, denn im Buchhandel sind die gebundenen Bücher durch das Buchpreisbindungsgesetz teurer. 1.800 Bücher kann der geneigte Leser also mit sich herumtragen. Jene stolze Menge sogar in einer Handtasche oder einer extra tollen Hülle, die auch noch zusätzlich den Charakter des Lesers zur Schau stellen kann. Da blitzt es Pink auf aus dem Handtäschchen heraus! Die Dame von Welt trägt eine „Kindle – Tasche“ mit einer Glitzerschnalle oder ein schlauer, dummer Spruch steht sichtbar auf dem Täschchen drauf. Vorbei die Zeiten, in denen der Bücherliebhaber auf seinen dicken Schmöker aufpassen musste, damit er keine Knicke und Flecken abbekommt. Nie mehr erklingt die neugierige Frage von anderen Menschen: „Was lesen Sie da?“. So entstandene Konversationen bleiben auf der Strecke. Der Leser wird zum leisen Individuum, dem nicht mehr in die Karten geguckt werden kann. Fast ist es so, als ob der E – Book – Reader auch soziale Kontakte unterbinden würde. Schließlich bleibt sogar das Gespräch mit der ausgebildeten Buchhändlerin aus. Wofür hat sie alles über Bücher gelernt? Wofür weiß sie alles über den Zwischenbuchhandel? Um den Lesern eine Technikspielerei zu verkaufen und deren technische Daten auswendig zu lernen und sie sofort wiedergeben zu können? Und wozu aus dem Haus gehen, wenn Bücher downgeloaded werden können?
Früher waren Bücher ein Statussymbol. Viele Menschen träumten davon, ein Wohnzimmer voller Bücher zu besitzen. Sie wurden gehortet, lieb gehabt und manchmal entstand sogar eine Bücherjagd nach seltenen Schätzen. Wie aber können E – Books gesammelt und sichtbar gemacht werden? Gar nicht. Einzig der freie Platz im Wohnzimmer macht Platz für mehr Nippes. Ob der Staub an richtigen Büchern oder an kleinen Porzellanfigürchen hängen bleibt – da wären die Bücher einfacher abzustauben. Außerdem ist der Buchsammler meist - es gibt wenige, die dem widersprechen – ein intelligenter Mensch, wortgewandt und gut zu Fuß in der Welt der Literatur. Dieses Wissen sollte die Debattierenden, die mit neuen Inhalten die Debatte anheizen, dem E – Book Leser nicht absprechen, aber kann er ein Buch nochmals in die Hand nehmen und eine schöne Stelle heraus suchen ohne Knöpfe drücken zu müssen? Und ohne sagen zu müssen: „Moment mal er läd’ noch?“ Vorbei sind die Zeiten der bunten Post – It – Zettel, die munter aus den geliebten Büchern hervor blitzen. Wiederum vorbei sind die Zeiten in denen ein guter Student Notizen an den Rand geschrieben hat und mit dem Textmarker wichtige Stellen markiert hat.
Das Buch an sich, gedruckt auf Papier, mit wunderbarer Bindung und dem unvergleichlichen Geruch, ist ein Erlebnis. Nicht nur aufgrund seines Inhalts sondern auch, weil es ein Fest für die Sinne ist. Schon mal an einem Buch gerochen? Nichts duftet schöner als ein neues Buch, nichts riecht besser als ein ganzer Laden voller Bücher. Die Hände des Lesers fühlen meist gutes Papier beim Umblättern und man kann schöne Insignien oder ganze Bilder bestaunen. Sind Bilder nicht viel schöner vor den bloßen Augen, wenn sie nicht in Pixel umgewandelt wurden? Und mal ehrlich, braucht ein Buch ein Kabel, eine Steckdose oder eine Hülle, die es stoßfest macht? Ein gutes Buch verbraucht keinen Strom und ist robust. Wird es heruntergeschmissen hebt der Leser es wieder auf. Nässe ist schrecklich, aber lässt sich wieder trocknen und zur Not kann es gebügelt werden. Fällt aber ein E – Book –Reader ohne jeden Schutz hinunter, muss der Besitzer beten, dass Sony oder Amazon ihn robust genug konstruiert haben.
Einige werden jetzt die Stirn runzeln und feststellen, dass es für beide, Buch und E – Book, zahlreiche Argumente dafür und auch dagegen gibt. Gerade deshalb ist es die ewige Debatte, die im Gedächtnis bleibt. Es ist eine persönliche Entscheidung. Was will der Leser lieber? Etwas zum Anfassen oder mehr Technik? Im Endeffekt ist es gleich, welcher Art von Buch man die Hand reicht. Der Mensch sollte des Lesens mächtig sein, möchte er unserer Informationsgesellschaft angehören. Ohne Buchstaben, ob digital oder wie zu Gutenbergs Zeiten altertümlich gedruckt, läuft heute wie damals gar nichts mehr. Es ist nicht die Wahl nach dem „Wie?“ die wichtig ist, sondern „DAS“ es getan wird. Am Ende zählt nur:
Liest du schon, oder debattierst du noch?