China. Ausgerechnet China
Das sind die Gedanken die Keith, den Protagonisten in Tillman Rammstedts Buch „Der Kaiser von China“ bewegen.
Dieser Keith ist der Jüngste von 5 Kindern, die bei ihrem Großvater aufgewachsen sind. Alle leben bereits eigenständig. Außer er.
Stattdessen bewohnt er ein Haus in Großvaters Garten und schlägt sich tagtäglich mit ihm und seinem unangenehmen, aufdringlichen und fordernden Charakter herum.
So richtig anstrengend werden die Dinge für Keith allerdings als es um das Geburtstagsgeschenk des Großvaters geht. Allerhand Vorschläge machen die Runde. Alle nichts.
Aber dann;
eine Reise;
Wohin?;
soll sich der Großvater selbst aussuchen;
wer fährt mit?
Keith natürlich!!!
Während die anderen sich mit mehr oder weniger geschickten Ausreden aus der Affäre ziehen ergibt sich Keith seinem Schicksal und hat vor tatsächlich mit dem Großvater wegzufahren. Doch dann äußert dieser sein Reiseziel: China.
Jetzt helfen nur noch Verzögerungstaktiken. Am Ende, alles vergebens. Der Großvater versteift sich voll und ganz auf die Idee und ist sogar bereit mit dem Auto (!) nach China zu fahren…
Irgendwann hilft irgendwie gar nichts mehr; kein Verzögern, keine Ausreden und kein Bitten und Betteln. So kommt es dann, dass der Großvater sich einfach aus dem Staub macht. Mit dem Auto nach China.
Keith muss nun Haltung bewahren und fängt an Briefe zu schreiben aus dem vermeintlichen Chinaurlaub. Er wird nicht nur unfreiwillig zum Reiseberichterstatter sondern gleichzeitig auch noch zum Chronist der Familiengeschichte. Mit dem fortschreiten der imaginären Reise schreibt er die Geschichte des Großvaters und seiner Familie wie er sie sich vorstellt. Dabei gleitet er mehr und mehr in seine Phantasie ab und entwickelt die ein oder andere absurde Episode.
Doch nicht nur dieser Teil befeuert den absurden Charakter der Geschichte. Auch die Tatsache, dass Keith während er diese Briefe schreibt unter dem heimischen Schreibtisch hockt und seiner Außenwelt vormacht er sei verreist, unterstützen dies. Er geht nicht ans Telefon, ignoriert die Türklingel und achtet darauf nur auf Knien durch die Wohnung zu kriechen…Bis dieser Anruf kommt.
Einer Klinik im Westerwald ruft an. Der Großvater, sagt man am anderen Ende, sei verstorben.
Westerwald.
Weiter war er nicht gekommen. Und trotz der Tatsachen, dass Keith seine Version der Familiengeschichte weiterschreibt muss er sich langsam der Wirklichkeit stellen. Denkt zumindest der Leser bisweilen….
Was sich anhört wie ein Fetzen einer absurden Geschichte ist es auch. Tilman Rammstedt schafft mit dem „Kaiser von China“ eine Novelle die vermeintlich dahinplätschert und immer genau im richtigen Moment den Leser aufhorchen lässt, mit Paukenschlägen und dem Charme unwirklicher Anekdoten.
Der Plot an sich ist nicht auf Spannung oder Effekte ausgelegt, sondern bleibt eher flach und ohne echte Dramatik. Doch vor dem Kontext der abwechslungsreichen und teils absurden Details ist die Geschichte dennoch nie langweilig. Damit gelingt es Rammstedt immer wieder den Leser bei der Stange zu halten und ihn schmunzelnd die Geschichte zu genießen.
Vielleicht ein Buch für den herannahenden Sommer…
Tilman Rammstedt
„Der Kaiser von China“
192 Seiten
DuMont Verlag, 2008
ISBN: 978-3-832-18074-4