BSG: Vertragliche Beziehungen zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer

Die am 06.09.2007 unter dem Aktenzeichen B 3 KR 20/06 R gefällte Entscheidung des Bundessozialgerichts ist zwar schon etwas älter, aber trotzdem lesenswert:

In diesem Urteil hat sich das BSG umfänglich mit den Vertragsbeziehungen zwischen den Versicherten und den Leistungserbringern auf der einen und der Krankenkasse auf der anderen Seite beschäftigt – und festgestellt, wann das Vertragsverhältnis endgültig zustandegekommen ist und damit die Zahlungspflicht der Kassen begründet wird – wobei das BSG dort eigentlich nur allgemeingültige Rechtsgrundsätze (die auch schon die Vorinstanzen gleichlautend angewandt hatten) bestätigte – sozusagen, um es auch den Kassen noch einmal zu verdeutlichen.

Zur Entscheidung:

Zunächst einmal untersuchte das BSG die oben angesprochenen Vertragsbeziehungen und kam zu dem Ergebnis, dass es sich um öffentlich-rechtliche Verträge nach §69 SGB V handele. Diese seien in Verbindung zu sehen mit den zivilrechtlichen Vertragstypen, also

  • dem Kaufvertrag (§§433ff. BGB) bei der Abgabe und Übereignung fertiger Produkte
  • dem Sachlieferungsvertrag (§651 BGB)  bei noch herzustellenden oder zu erzeugenden Produkten und
  • dem Werkvertrag (§§631ff. BGB) bei vollständig individuell anzufertigenden Produkten,

also je nach dem, welche inhaltliche Ausgestaltung der konkrete Vertrag habe.

Nach §69 SGB V seien die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringer ausschliesslich öffentlich-rechtlicher Natur. Nach §69 III SGB V werde allerdings die inhaltliche Anwendung der zivilrechtlichen Normen postuliert, sodass die Voraussetzungen für einen Vertragsschluss sich aus dem Zivilrecht ergeben.

Daraus wiederum leitete das BSG den Zeitpunkt ab, zu dem der Vertragsschluss und damit die Leistungspflicht auch der Krankenkasse auf Zahlung der Vergütung abzuleiten sei:

  • beim Kaufvertrag sei dies der Zeitpunkt der Abgabe des Produkts
  • beim Sachlieferungs- oder Werkvertrag, bei dem die Leistung des Leistungserbringers ja erst noch produziert werden müsse, mit dem Angebot des Versicherten zur Versorgung nach Massgabe der vertragsärztlichen Verordnung und des Angebots des Leistungserbringers, die Versorgung durchzuführen.

Dabei wurde der der Versicherte durch das BSG  ausdrücklich als Vertreter der Krankenkasse nach §164 BGB klassifiziert – damit sind sämtliche Handlungen des Versicherten der Krankenkasse zuzurechnen, nicht dem Leistungserbringer; ein Umstand, der von den Krankenkassen auch immer wieder gerne übersehen wird.

Streng davon zu trennen sei nach Auffassung des BSG (und auch der eindeutigen Rechtslage des BGB) die Frage der Fälligkeit der Ansprüche: beim Kaufvertrag ist diese natürlich nach Abgabe sofort fällig (denn der Leistungserbringer hat ja seine vertraglich geschuldete Leistung erbracht), beim Sachlieferungs- oder Werkvertrag ist die Zahlung erst fällig, nachdem der Leistungserbringer die Versorgung durchgeführt hat. Aber: dies ändere nichts an dem Umstand, dass schon während der gesamten Versorgung das Vertragsverhältnis besteht und die Krankenkasse dementsprechend längst Schuldner der – nur noch nicht fälligen – Zahlung ist.

Diese Lösung begründet das BSG übrigens nicht nur mit vertragsrechtlich, sondern – doppelt genäht hält bekanntlich besser – auch systematisch und unter Bezug auf die bisherige Rechtsprechung. Dabei bezieht es sich ausdrücklich auf seine eigene Rechtsprechung zur Leistungspflicht der Krankenkassen bei stationären Krankenbehandlungen und sonstigen Arten zeitlich gestreckter medizinischer oder pflegerischer Versorgung, in deren Verlauf eine leistungsrechtlich oder leistungserbringerrechtlich relevante Änderung der Sach- oder Rechtslage eintritt (zB Beginn oder Ende der Mitgliedschaft in einer Krankenkasse, Kassenwechsel, Gesetzesänderung).

Bei einer zeitlich gestreckten Versorgung ist für die Leistungspflicht der Krankenkasse grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob für die vor und nach dem Zeitpunkt der Änderung der Sach- oder Rechtslage erbrachten Teilleistungen jeweils eine gesonderte Vergütung vorgesehen oder ob für die gesamte Leistung eine einheitliche, nicht aufteilbare Vergütung zu zahlen ist.

Bei gesonderter Vergütung der Teilleistungen ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Durchführung der jeweiligen Teilleistung maßgeblich, im Falle eines Kassenwechsels ist also die frühere Krankenkasse für die vor dem Stichtag erbrachten Teilleistungen und die neue Krankenkasse für die danach erbrachten Teilleistungen zuständig.

Bei einheitlicher Vergütung der Gesamtleistung ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Behandlung bzw Versorgung abzustellen, es sei denn, gesetzliche oder vertragliche Regelungen gebieten eine Beurteilung der Leistungspflicht nach dem sachlichen Schwerpunkt der Leistungserbringung.

Bei einem Kassenwechsel ist in solchen Fällen also grundsätzlich die neue Krankenkasse zur Leistung verpflichtet, soweit nicht nach dem Schwerpunkt der Leistungserbringung zu entscheiden ist und dieser vor dem Stichtag liegt. Der Anspruch eines Versicherten gegen die Krankenkasse auf Krankenbehandlung in Form der Versorgung mit Hilfsmitteln (§27 I 2 Nr 3 iVm §33 SGB V) stellt lediglich ein ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht dar, das der Konkretisierung bedarf, damit es sich zum Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit einem bestimmten Hilfsmittel (§33 SGB V) wandelt.

Im Falle eines Kassenwechsels bei einer zeitlich gestreckten Hilfsmittelversorgung ist grundsätzlich maßgeblich, in welchem Zeitpunkt der Versicherte sein Wahlrecht (§33 SGB I, §9 SGB IX) verbindlich ausgeübt und sich damit der Versorgungsanspruch als Rahmenrecht auf ein ganz bestimmtes Hilfsmittel konkretisiert hat (vgl BSGE 89,86= SozR 3-2500 § 19 Nr 4, BSG SozR 3-2500 § 19 Nr 3, BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 14, BSGE 90,220= SozR 4-2500 § 33 Nr 1, BSG SozR 2200 § 182b Nr 32).

Eine lesenswerte Entscheidung, zB. veröffentlicht:

http://lexetius.com/2007,3411


Filed under: Bundessozialgericht (BSG), Krankenkassen, Leistungserbringer, Sozialrecht

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