✰ Bruno Apitz – Nackt unter Wölfen

Von Claudiamarina

Als Nackt unter Wölfen 1958 erschien, wurde der Roman unerwartet zum Welterfolg – und in 30 Sprachen übersetzt. Trotz allem blieb die Kritik nicht aus. Über 50 Jahre später bringt der Aufbau-Verlag den Roman nun neu heraus, in einer überarbeiteten Fassung und mit Anhang – sechs Texten von Bruno Apitz selbst und einem Aufsatz der Historikerin Susanne Hantke. Und lässt den Text in ganz neuem Licht erscheinen.

1945 wird, versteckt in einem Koffer, ein dreijähriges Kind ins KZ Buchenwald geschmuggelt. Es ist dem Tode geweiht, denn wenn die SS es findet, werden sie es töten. Man könnte es verstecken, mit Hilfe des illegalen Lagerkomitees, einer internationalen Gruppe von Kommunisten, doch das Risiko, selbst dabei erwischt zu werden, ist groß. Deshalb steht schnell fest, dass der Junge nicht im Lager bleiben kann; er soll mit dem nächsten Transport nach Bergen-Belsen weitergeschickt werden.

Die Häftlinge geraten in eine Zwickmühle. Einerseits wollen sie die Arbeit des ILK nicht gefährden – der Krieg steht kurz vor dem Ende und das Lager vor seiner Evakuierung, was den sicheren Tod bedeuten würde – doch man hat Vorkehrungen getroffen, Bündnisse geschmiedet, Waffen versteckt. Andererseits verbietet ihnen ihr Mitgefühl, ihre Menschlichkeit, ein Kind in den sicheren Tod zu schicken nur um die eigene Haut zu retten.

Die Häftlinge hören auf ihr Herz und verstecken das Kind – gegen die Anweisung des ILK. Denn das Kind muss überleben, sie alle müssen überleben. Der kleine Junge hat einen Funken in ihnen allen zum glühen, zum brennen gebracht – ihren Überlebenswillen – an dem sie nun stärker als je zuvor festhalten.

Menschlich denken und handeln, trotz der unmenschlichen Umstände, unter denen die Häftlinge leben müssen, steht im Zentrum von Nackt unter Wölfen. Bruno Apitz appelliert damit an das Gewissen eines jeden. Wie würdest du handeln? Was würdest du tun, wie weit würdest du gehen, um ein Menschenleben zu retten?

Im Mittelpunkt stehen einfache Menschen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen. Sie wissen, dass der Krieg nicht mehr lange andauern wird, dass sie dann entweder befreit oder erschossen werden. Zukunft hat für diese Menschen kein Gesicht, und doch klammern sie sich ans Leben. Bruno Apitz spiegelt das in der klaren, einfachen Sprache wieder, mit der er schreibt. Er gibt den Häftlingen ihre Sprache zurück und macht sie damit unvergessen. Er schreibt authentisch, denn er war selbst Gefangener im KZ Buchenwald und hat die Befreiung hautnah miterlebt. Er schreibt nicht nur irgendeine Geschichte auf, er schreibt seine eigene Geschichte auf, damit die Verbrechen im KZ nicht in Vergessenheit geraten.

Jahrelang wurde den überlebenden Kommunisten vorgehalten, ja sogar vorgeworfen, dass sie sich in das System der SS nahtlos eingefügt hätten, dass sie doch Aufgaben im KZ gehabt hätten, es also doch gar nicht so schlecht gehabt hätten wie andere. Was dabei vergessen wurde, ist, dass sie keine andere Wahl hatten und dass es sie innerlich zerrissen hat. Auch das wird in der Neuauflage jetzt deutlich. Der innere Konflikt – nicht nur auf das versteckte Kind bezogen – muss enorm gewesen sein. Für den Feind arbeiten zu müssen um das eigene Leben zu sichern, ihm jeden Tag erneut in die Augen blicken zu müssen und zu wissen, dass das Leben am seidenen Faden hängt. Nein, in dieser Situation kann man wirklich nicht von friedlicher Koexistenz oder sogar einem Bündnis reden – das ist Abhängigkeit!

Hoffentlich gelingt es dieser Neuauflage, mit diesem Vorurteil aufzuräumen. Im KZ gab es keine bessergestellten Häftlinge – sie waren alle Opfer!

Heute wäre Bruno Apitz 112 Jahre alt geworden, ihm widme ich diese Rezension. Damit er nicht vergessen wird, damit der Horror, den er und Millionen andere erlebt und überlebt haben, nicht vergessen wird.

Ein anderer Bruno wäre heute 90 Jahre alt geworden – mein Opa. Auch ihm ist diese Rezension gewidmet. Auch er ist unvergessen.

Links: Bruno Apitz - Rechts: Bruno Rotzoll



Gebundene Ausgabe: 586 Seiten, erschienen im Aufbau Verlag, März 2012.

ISBN: 978-3351033903