Bruder, Freund, Russe

Bruder, Freund, RusseLangsam, ganz langsam knüpft das neue, bessere Deutschland an immer mehr längst verschüttet geglaubte Sitten und Gebräuche seines missratenen Zwillings DDR an. Nicht nur, dass demokratische Abstimmungen wie bei FDP und SED wieder im völkerverbindendem Block stattfinden und die Gesinnungspolizei im Hochgefühl der Wichtigkeit ihrer Aufgabe um die Häuser schleicht. Nein, auch der Sprachgebrauch der Arbeiter- und Bauernrepublik ist zurück, als habe die alte BRD die zwar geschluckt, aber nicht verdaut.
Da ist das "noch", das unter Honecker als Kritikcode herhalten musste: Es musste nichts besser werden im Reich des Sozialismus, sondern allenfalls "noch besser", weil ja im Grunde längst alles gut war. Heute sagt die Bundesintegrationsbeauftragte "Wir brauchen noch mehr Eltern, die Deutsch können" und "wir müssen noch mehr in die Waagschale werfen" assistiert ihr Verteidgungsministerkollege. Beide meinen, was Günter Mittag schon sagen wollte: Unser Weg ist richtig, unsere Strategie ist gut, lasst uns weiter forsch ausschreiten, dann werdet ihr das auch noch merken.
Wenigstens werden die es tun, denen das alles vorkommt wie ein langezogenes deja vú. Die Lügen und die Schamlosigkeit, das Abgehobene und die Parteidisziplin, die Nachrichten mit der jeweiligen Tageswahrheit und die persönlichen Angriffe auf Leute, die dreist wagen, auf Recht und Gesetz zu pochen. Es ist nicht genau dasselbe. Aber es ist das Gleiche.
Selbst die Kulissen werden wieder aufgebaut. Zum Beispiel der Russe, der seinerzeit der "Bruder" und "Freund" sein sollte, im tiefsten Inneren der DDR-Seele aber immer der Besieger und Besatzer blieb, nach Leder, Machorka und Knoblauch riechend, in Lumpen gekleidet und meist mit schlechten Zähnen. Eine Vorlage, die aus dem armen Sieger den Vorlagengeber für ein ganzes Genre gebräuchlicher Beschimpfungen machte.
Weltkriegsepen aus den Mosfilmstudios avancierten zur Vorlage für den spöttishcen Spruch "das gibts doch in keinem Russenfilm". Die Dumpfheit, die der DDR-Deutsche beim Sowjetmenschen zu bemerken glaubte, weil der alle Lasten des Klassenkampfes so still zu dulden schien, führte direkt zur Entstehung des Neuerfindung des Wortes "Russe" als Verbalinjurie.
Ab da war der Dumme in der DDR "dumm wie ein Russenkind", "blöd wie ein Russenbrot" oder ein "Russenassi". Technik, die nicht funktionierte, war "Russentechnik", Wetter, das zu kalt war, hieß "Russenkälte", Essen, das nicht schmeckte, war "Russenfraß". Wer das nicht begriff, war einfach nur ein "Russe", was je nach Zusammenhang und Betonung stellvertretend für "Hinterwäldler", "Arschloch" oder "Parteiknecht" stehen konnte.
Erstaunlich damals, dass die Befreiten ihre Befreier in einem halb geheimen, halb nur nie erwähnten Akt der Auflehnung so beschimpften. Bemerkenswert, dass "Russe" heute immer noch oder schon wieder als Zutat bei der Produktion von zusammengesetzten Substantiven taugt (Screenshot oben). Während der zweite Begriff, der damals so gebraucht wurde, jedem, der es auch nur versuchen würde, die bürgerliche Existenz zu kosten verpricht.

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