Brodsky im Herbst

Brodsky im Herbst

Brodsky (c) Kurt Van der Elst

Es ist der erste kalte Herbstabend in Straßburg. Man möchte gerne im Warmen sein, sich geborgen fühlen, mit Freunden oder Familie. Nichts erinnert mehr an den heißen Sommer, die Tage und Nächte, die man im Freien verbringen konnte und das leichte Lebensgefühl, dass sich dadurch in uns verbreitete. Der Abend ist aber bestens geeignet für das, was Dirk Roofthofft und Kris Defoort, die beiden belgischen Künstler, im Le Maillon aufführen werden.

„Les Concerts Brodsky“ ist ein Abend, der ganz dem russischen Exilschriftsteller Joseph Brodsky gewidmet ist. Die Gedichte des Nobelpreisträgers für Literatur sind keine leichte Kost. Sie passen aber perfekt in jenen kalten Herbstabend. Liebe, Einsamkeit, die Themen Tod und Älterwerden beherrschen das Programm. Und werden durch Kris Defoort am Klavier je nach Stimmung begleitet. Der Schauspieler Dirk Roofthofft, der ganz nah am Wort agiert, schlüpft gleich zu Beginn in die Rolle Brodskys selbst und gibt eine Kindheitserinnerung wieder. Nämlich jene Begebenheit, bei der sein Vater, Schiffskapitän, mit einigen Kollegen von einer langen Reise nach China zurückgekommen war und am Wohnzimmertisch gemeinsam das große Paket ausgepackt wurde, in dem sich allerlei chinesische Mitbringsel befanden. Das Augenzwinkern, welches ein Kollege seines Vaters für ihn, den 10jährigen Buben übrig hatte, dieses Augenzwinkern konnte er damals weder deuten noch erwidern. Aber es blieb ihm über die Jahrzehnte in seinem Gedächtnis eingeschrieben. Wie ein Zeichen, eine Geste quer durch die Zeit, wie ein Sinnbeweis des Lebens, etwas, das nicht ad hoc entziffert werden kann, aber sich dennoch bleibend in unser Gedächtnis einschreibt.

Brodskys Gedichte leben von der Ursprünglichkeit, von der Direktheit der Sprache, die Roofthofft in all ihren Facetten wiedergibt. Ob verzaubert und leise, wie ein kleines Kind, das hinter einem Schmetterling herblickt, ob zornig und wild, dem Tod und dem Verfall trotzend, ob leise und melancholisch, die Zeit zwischen den Fingern verrinnend empfindend. Alles, was Brodsky fühlte und niederschrieb, fühlt auch Roofthofft und lässt es auch das Publikum fühlen. Und genau diese Empfindungen, die so direkt von der Bühne überschwappen, sind es, die verzaubern. Das Einfüllen von Wasser in ein Glas wird zum beachtenswerten Ereignis, jede Geste, jeder Blickkontakt zwischen Roofthofft und Defoort ist von Bedeutung. Die Inszenierung kommt völlig ohne heute so gerne eingesetzte Videoeinspielungen oder Lichtsensationen auf, konzentriert sich einzig auf die Gedichte und die sie begleitende Musik. Pur, einfach und gerade deswegen so voll Poesie, die über jene von Brodsky noch hinausgeht.

Ein Abend, mit ganz viel Lust an der Sprache und noch mehr Lust am Deklamieren. Bestens geeignet, um das Verlangen nach dem Lesen eines Buches von Brodsky zu entfachen und es sich mit einem solchen gemütlich zu machen. An einem kalten Herbstabend, der sich dafür besonders eignet.


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