Einmal mehr stellt gabelingeber einen vergessenen Hollywood-Film von anno dazumal vor – diesmal stammt er sogar von Meisterregisseur Frank Capra. Damit nicht genug, er berichtet zudem über einen zweiten vergessenen Film, der allerdings aus unserer Zeit stammt: The Confession von 2016 mit Clive Owen. Des weiteren wird die Neuverfilmung von Die Schöne und das Biest kurz belichtet.
BROADWAY BILL
USA 1934
Mit Warner Baxter, Myrna Loy, Walter Connolly, Raymond Walburn u.a.
Drehbuch: Robert Riskin
Regie: Frank Capra
Studio: Columbia
Im deutschsprachigen Raum war Broadway Bill bislang nicht zu sehen.
Ein vergessener Film vom grossen Frank Capra (Ist das Leben nicht schön?, Arsen und Spitzenhäubchen)? Ja, das gibt es. Broadway Bill galt lange Zeit als verschollen. In den 50er-Jahren drehte Capra ein Remake davon, Riding High (1950, dt.: Lach‘ und wein‘ mit mir), mit Bing Crosby und Colleen Gray.
In den 1990-er-Jahren tauchte Broadway Bill dann wieder auf, nicht ganz vollständig, die fehlenden acht Minuten konnten bis dato nicht wiedergefunden werden.
Obwohl der Drehbuchautor Robert Riskin heisst (Risikin war massgeblich an den Drehbüchern der grössten Capra-Hits wie It Happened One Night, Mr. Deeds goes to Town oder You Can’t Take it with you beteiligt) und obwohl es auch hier um typische Capra-Themen geht, will Broadway Bill einfach nicht so richtig zünden.
Die Regie stimmt, das Drehbuch stimmt, das bei Capra übliche Quentchen Sozialkritik ist auch drin, die skurrilen Nebenfiguren sind da, die Dialoge zünden – warum springt der Funke nicht?
Ich denke, es liegt an den beiden Hauptdarstellern! Dem heute praktisch vergessenen Warner Baxter nimmt man den netten Aussteigertypen einfach nicht ab, seine Herzlichkeit wirkt künstlich, „gemacht“ – kein Vergleich zu Gary Coopers Longfellow Deeds oder zu James Stewarts Tony Kirby! Die waren authentisch; Baxter dagegen ist ein hoch bezahlter Schauspieler, dessen hoch bezahlte Fassade jeden Moment durchscheint. Auch seine Partnerin Myrna Loy überzeugt nicht. Sie war eine überzeugende Ulk- und Skandalnudel, die Rolle des rebellischen, aber im Grunde netten Mädchens hingegen liegt ihr nicht; man sehnt sich gestandene Capra-Heroinen wie Jean Arthur oder Claudette Colbert an ihre Stelle. Baxter und Loy sollten den Film tragen, und das gelingt ihnen nicht.
Zugegeben, auch die Geschichte gibt nicht so viel her wie Capras berühmtere Klassiker. Es gibt zwar wunderschöne Sequenzen, die an diese Klassiker erinnern, aber ein gelungenes Ganzes wird nie draus. Etwa die Anfangssequenz im Städtchen Higginsville, wenn der Patriarch J.J. Higgins seine vier Töchter und deren Ehemänner zum monatlichen Geschäftsessen zusammentrommelt. Jeder der Ehemänner darf eine von Higgins Firmen leiten, und sie tun das mit Innbrunst und Hingabe. Nur einer nicht, Dan Brooks (Baxter), der will aussteigen. Er will zurück zu seinem Pferd Broadway Bill und wieder für Pferderennen trainieren.
Brooks haut ab aus der Enge des Higgins-Clans und versucht, mit Hilfe der jüngsten Higgins-Tochter (Loy) und seines schwarzen Gehilfen Whitey Broadway Bill zum Rennpferd auszubilden. Der Weg zum Sieg ist mit vielen Steinen gepflastert, und als es soweit ist, kommt ein schrecklicher Rückschlag.
Broadway Bill ist ein durchaus solider Film, der seine guten Momente hat; für diese sind vor allem bewährte Nebendarsteller wie der grandiose Raymond Walburn oder der sauertöpfische Lynne Overman verantwortlich. Der Rest des Films ist heute wohl nur für Capra-Fans wirklich von Interesse. Und das obwohl er zwischen den beiden Mega-Klassikern It Happened One Night (dt.: Es geschah in einer Nacht, 1934) und Mr. Deeds Goes to Town (dt.: Mr. Deeds geht in die Stadt, 1935) entstand.
7 / 10
Broadway Bill ist in der Reihe Warner Archive Collection erschienen und bei amazon.co.uk zu relativ günstigen Versandkosten zu beziehen.
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Filmschnipsel:
DIE SCHÖNE UND DAS BIEST (Kino)
(OT: Beauty and the Beast)
USA 2017
Mit Emma Watson, Dan Stevens, Luke Evans, Kevin Kline, Josh Gad, Evan McGregor, u.a.
Drehbuch: Stephen Chbosky und Evan Spiliotopoulos
Regie: Bill Condon
Früher gelangten die alten, handgezeichneten Disney-Trickfilmklassiker in regelmässigen Abständen zur Wiederaufführung in die Kinos. Das ist längst passé. Inzwischen ist das Disney-Studio dazu übergegangen, die alten Filme neu zu drehen – als Realfilme mit CGI-Unterstützung.
Nach Cinderella und dem Dschungelbuch ist nun also Beauty and the Beast (Original von 1991) dran.
Die Neuverfilmung hinterlässt gemischte Gefühle: Einerseits versucht sie sich mit einem grandiosen, zuerst deftigen, dann düsteren Produktionsdesign vom Original zu emanzipieren, andererseits hält sie, vor allem in der Dramaturgie und dem Handlungsverlauf, fast sklavisch daran fest. Das irritiert mit zunehmender Filmdauer und man fragt sich: „wozu?“
Songs wie «Be Our Guest» wirken im Gesamtkonzept deplatziert, weil die Parodie klassischer Hollywood-Musicals, zu welcher der Song im Originalfilm Anlass gibt, eins zu eins übernommen wird. Das parodistische Element passt aber nicht zum ernsthaft-realistischen Grundton und Look von Bill Condons Neuverfilmung – ebenso wenig wie ein herumhüpfender Kerzenhalter und eine sprechende Teetasse (die fand ich schon in der Zeichentrickversion grenzwertig). Beauty and the Beast 2017 startet wie eine eigenständige Variation der Vorlage, erstarrt aber mit zunehmender Filmdauer zur Hochglanz-Kopie derselben.
Das Resultat ist m.E. gemischt, weil sich die Vorlage schlecht für einen Realfilm eignet. Das führt zum Schluss, dass nicht jeder Zeichentrick in eine Realfilmversion umgearbeitet werden muss / kann / soll. Die Macher tun zwar ihr Bestes, da gibt es nichts zu rütteln! Doch Uncle Walts Erben hatten wohl genaueste Vorgaben, an die man sich zu halten hatte. Schade für die grandiosen Ansätze!
7 / 10
THE CONFIRMATION (Blu-ray)
USA 2016
Mit Clive Owen, Jaeden Lieberher, Maria Bello, Patton Oswalt, Matthew Modine u.a.
Regie und Buch: Bob Nelson
Nein, der Film ist hierzulande nicht gelaufen.
Ja, das ist äusserst bedauerlich!
Auf The Confirmation bin ich zufällig gestoßen, nach der Sichtung des phänomenalen Midnight Special von Jeff Nichols. Da ich den Kinderdarsteller Jaeden Lieberher dort grandios fand und nach weiteren Filmen mit ihm suchte, kam ich auf den im selben Jahr entstandenen The Confirmation, der in seiner völlig unaufgeregten Art zu erzählen und dabei Wesentliches wie nebenbei einfließen zu lassen, große Ähnlichkeit mit Midnight Special aufweist.
Und Lieberher ist darin sogar noch besser als in Nichols‘ Film!
„The Confirmation“ erzählt scheinbar Unspektakuläres: Der kleine Anthony (Lieberher) verbringt ein Wochenende bei seinem geschiedenen Vater Walt (Owen); dieser ist Schreiner, hat aber nur zeitweise Arbeit. Gerade als Walt einen lukrativen Job bekommt, wird ihm die Kiste mit dem teurem Spezialwerkzeug geklaut. Zusammen mit Anthony macht er sich auf die Suche nach dem Dieb.
Das ist alles und ist doch längst nicht alles! Am Ende der Suche wird Anthony Wesentliches fürs Leben gelernt haben, Vater und Sohn sind sich zudem nähergekommen. Das kommt nicht so banal ‚rüber, wie es hier klingt, absolut nicht! Auf ihrer Suche treffen die beiden auf Leute, die „ganz unten“ sind, denen es noch dreckiger geht als Walt, der zugunsten des Kleinen gegen seine Alkoholsucht ankämpft und stets abgebrannt ist. Bob Nelson zeigt ein schäbiges, ärmliches Amerika, eines, das man im US-Kino nur selten zu sehen bekommt. Nelson gelingt dabei ein realistisches, sehr differenziertes und mehrschichtiges Bild der unteren Schichten. Seine Regie ist funktional und vor allem unprätentiös, was sehr gut zum lakonischen Ton der Vorlage passt. Und sämtliche Schauspieler sind perfekt besetzt und vermögen zu begeistern.
Wer mit stillen, langsamen Filmen nichts anfangen kann, lässt lieber die Finger davon; den anderen sei The Confirmation wärmstens empfohlen! Eine Schande, dass er bei hiesigen Filmverleihern auf Interesselosigkeit stiess.
10 / 10