von Uwe Lehnert
Die Kindertaufe – so stellt Engelmayer fest – geht auf die Amtskirche, nicht auf den biblischen Jesus zurück. Ursprünglich wurden nur Erwachsene getauft, die Kindertaufe wurde erst Mitte des 16. Jahrhunderts zur Pflicht. Art. 4, Abs. 1 unseres Grundgesetzes lautet: “Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.” Und innerhalb des Art. 140 heißt es: »“Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder Teilnahme an religiösen Übungen … gezwungen werden.” Damit wird deutlich, dass hier Grundrechte, das heißt grundlegende Rechte, verletzt werden. Aus durchsichtigen Gründen hat die Kirche dennoch immer darauf gedrungen, die Kinder so früh wie möglich ihrer Obhut zu übergeben. Im frühen Kindesalter werden bekanntlich besonders leicht Einstellungen geprägt und so tief im Unterbewusstsein verankert, dass sie später so gut wie nicht mehr einer rationalen Analyse zugänglich sind.
Ist es dann verwunderlich, wenn der Autor feststellt: “dass die ‘Gläubigen’ zu fast 100 Prozent nicht aus Freiwilligen rekrutiert wurden, sondern aus Säuglingen, nicht einwilligungsfähigen Kleinkindern oder aus einer Schar von naiven und wehrlosen Missionsopfern.” (S. 18) (Die Parallele zum Beschneidungsritus stellt sich dem Leser hier ganz von allein ein.) Dem steht der Befund entgegen – worauf der Autor auch verweist – dass in weiten Teilen Mitteleuropas trotz Kirchenzugehörigkeit inzwischen etwa die Hälfte der so zwangsweise “Rekrutierten” sich dennoch als ungläubig oder mehr oder weniger atheistisch bezeichnen.
Zu Recht wird – nicht nur – von Engelmayer festgestellt, dass ein Mensch von Geburt aus weder katholischen, noch evangelischen, noch muslimischen Glaubens ist, ebenso wenig wie es christdemokratische, sozialdemokratische oder grüne Säuglinge gibt. Und weiter stellt der Autor fest, dass dieser religiöse Initiationsritus schon eine erste gesellschaftliche Trennung von Menschen darstellt, die sich dann später zu einer immer tiefer gehenden Spaltung im Denken und im gesellschaftlichen Leben auswächst.
Selbstbewusst und mit guten Gründen wird die von Religionsvertretern gern vertretene These zurückgewiesen, dass eine religionsbefreite und gottfreie Weltanschauung als Defizit, als Defekt zu werten sei. Im Gegenteil – eine atheistische Weltanschauung, die die heutigen naturwissenschaftliche Einsichten nicht ignoriert, die ihre Werte und Normen nicht aus einem tausende Jahre alten Buch bezieht, sondern den Regeln der Vernunft folgt, eine Weltanschauung, die ihren Lebenssinn in dieser Welt findet, nicht in einem bloß behaupteten Jenseits, eine solche Weltanschauung stellt eine Weiterentwicklung, ja eine Höherentwicklung dar. “Zum Atheismus kommt man nur durch kritisches Denken und Bildung, was viel Energie erfordert, jedenfalls mehr als zu allem ‘Ja und Amen!’ zu sagen und im Hirte-Schaf-Muster zu leben.” (S. 70) Einer solchen Auffassung kann der Rezensent nur voll und ganz zustimmen.
Dem Leser wird eine große Anzahl von unmittelbar einsichtigen Gründen offeriert, weshalb die Taufe seiner Kinder abzulehnen ist, weshalb Religion längst als Auslaufmodell erkannt werden sollte. Und er wird an die wahrhaft unchristliche Geschichte des Christentums und der Kirche erinnert, mit der diese Institution ihren Anspruch auf Autorität und Moral längst verspielt hat. Das alles wird in einer geschliffenen Sprache, unpolemisch, aber dennoch klar und deutlich und immer nachvollziehbar vorgetragen. Bei diesem schmalen Büchlein handelt es sich um einen Essay, der die weltanschaulichen Konflikte knapp und präzise auf den Punkt bringt.
Angesprochen fühlen sollte sich m. E. von dieser Abhandlung vor allem jener Typus von Religionsangehörigen, der – obwohl selbst nicht mehr gläubig – aus Tradition und nichtreligiösen Beweggründen durch seine und seiner Kinder Kirchenmitgliedschaft das undemokratische Wirken der Kirche unterstützt. Es ist jener Typ von Religionsangehörigen, der gern von den christlichen Werten und den christlichen Grundlagen des Abendlandes schwadroniert und doch nur deshalb Kirchenmitglied ist, weil er auf die beruflichen und gesellschaftlichen Vorteile, die diese mächtige Institution ihm bietet, nicht verzichten möchte. Er erkennt zwar die Brüchigkeit und Widersprüchlichkeiten der Lehre, aber mit dieser intellektuellen Unredlichkeit hat er gelernt zu leben. Man sieht, der Opportunist und Mitläufer vom Typ “Herr Karl” eines Helmut Qualtinger lebt in vielerlei Varianten weiter.
Engelmayer schreibt: “Die großen monotheistischen Religionen führen … weg von den aufklärerischen Werten, die auch Europa ausmachen, hin zu Bildungsfeindlichkeit, geistiger Abhängigkeit und totalitären Strukturen, während wir in Europa kritisches Denken, Kreativität und Vernunft, aber vor allem Bildung für die Lösung der heutigen Probleme brauchen. Die Front heißt aufgeklärter Humanismus versus unaufgeklärte Abhängigkeit von einer theokratischen Lobby. Das ist eine Front, wie wir sie überall auf der Welt erleben, in Ägypten, in der Türkei und im Nahen Osten und neuerdings auch hier in Europa. Diese Problematik wird in der Öffentlichkeit aus Rücksicht auf die Kirche und auf die sie überlagernde Integrationsfragen immer kleingeredet oder komplett negiert.” (S. 90)
Wie inzwischen viele religions- und kirchenkritische Bücher erschöpft sich auch diese Schrift nicht nur in Kritik und Ablehnung. In allen kritischen Argumenten erkennt man direkt und indirekt die säkular-humanistische Alternative. Die Vertreter der Religionen in der Politik und in den meinungssteuernden öffentlichen Medien wissen, warum sie alle erlaubten und unerlaubten Register ziehen müssen, um zu verhindern, dass die Stimme der Aufklärung und der weltanschaulichen Vernunft sich in der Gesellschaft so Gehör verschafft, wie es dem Stand der wissenschaftlichen Einsicht und der Einstellung eines inzwischen erheblichen Anteils der Gesellschaft eigentlich entspräche. Noch verfügen die Anhänger der Religionen über die stärkeren Bataillone. Aber der subversiven Kraft der Vernunft und der Evidenz der Argumente werden sie sich auf Dauer nicht erwehren können.
Rezensenten kritisieren gern. An diesem Buch, das man in zwei Nachmittagen bequem durchlesen kann, ist nichts zu kritisieren. Deshalb: Uneingeschränkt empfehlenswert!
Gerhard Engelmayer: Warum man seine Kinder nicht taufen lassen sollte. Limbus Verlag, Innsbruck 2014, 117 S. ISBN 978–3–99039–008–5 – 10,00 Euro[Erstveröffentlichung: hpd]