Wenn jemand die derzeitige Phase des Films historisch deuten und bezeichnen will, könnte er es „Die Suche nach der verlorenen Kreativität“ nennen. Die großen Highlights im Kinojahr 2010 bilden Fortsetzungen, Buchverfilmungen, Comicverfilmungen, Verfilmungen von Internetblogs oder Remakes von Filmen, die Romane verfilmt haben. Wenn es keine bereits vorhandene Vorlage ist, die auf die Leinwand gebannt wird, dann werden es haarsträubende Kombinationen unmöglicher Einzelteile. Zum Beispiel kommt bald ein neuer Film von Lars von Trier, in dem eine Hochzeitsgesellschaft von einem aus dem All heran rasenden Planeten bedroht wird. Mal sehen, wie viel Kreativität der Erstling von Regisseur Rowan Joffe zu bieten hat. „Brighton Rock“ - natürlich ein Remake.
Brighton ist ein schönes kleines Städtchen an der Südküste Englands. Hier gibt es das Meer, eine wunderschöne Strandpromenade und umher fahrende, randalierende Motorrollergangs. Moment was? Das passt aber gar nicht zum kleinen Vorzeigebadeort. Die Gegend wird leider von marodierenden Jugendlichen heimgesucht und in Brighton wurden die Bürger bisher deshalb davon verschont, weil sich das organisierte Verbrechen hier eingenistet hat. Die Mobs um den Ganoven Cyde und den Edelmafioso Corleoni haben sich zähneknirschend geeinigt und die Stadt unter sich aufgeteilt. Sie verdienen ihre Brötchen durch das Eintreiben von Schutzgeldern und so herrscht Ruhe und Ordnung in Brighton. Eines Tages kommt Cyde in arge Bedrängnis und durch Corleonis Gehilfen Fred Hale versehentlich umgebracht. Das findet Pinkie – der hoffnungsvolle Zögling von Cyde – gar nicht gut und sinnt auf Rache. Seine Freunde wollen ihm helfen, Hale und Corleoni zu zeigen, dass mit den Kollegen nicht zu spaßen ist. Sie stellen Hale nach und der flieht auf die dicht bevölkerte Strandpromenade. Dort wird er von Pinkie gestellt, der sich in seiner Wut nicht beherrschen kann und Hale umbringt. Die junge Kellnerin Rose wird Zeuge des Vorfalls und Pinkie sieht nur einen Weg, sie zum Schweigen zu bringen.
Es ist eine ganz klassische Gangstergeschichte. Überhaupt ist alles an diesem Film klassisch. Regisseur Rowan Joffe hat so viel Respekt vor dem Original von 1947, dass er teilweise komplette Sequenzen einfach übernimmt. Perspektive, Schnitt und Dialoge finden sich beinahe eins zu eins im Original wieder. Genau, wie die Darstellung der Figuren. Die Musik ist zwar neu komponiert, orientiert sich allerdings enorm stark an den Themen des Originalsoundtracks. Und so geht es weiter. Sämtliche Motive, bis hin zum malerischem Finale am nächtlichen Leuchtturm sind nach gemacht. Es ist beinahe so, als sieht man sich die alte Inszenierung eines klassischen Theaterstücks mit neuen Schauspielern an. Nun steht die Frage im Raum, ob man einen solchen Film sehen muss, und ob man ihn überhaupt genießen kann. Die Antwort fällt relativ leicht. Ich habe den Film genossen, gerade weil er den Charme eines alten Klassikers so unverblümt auf die Leinwand zaubert. „Brighton Rock“ erzählt obendrein eine sehr spannende Geschichte und ist unglaublich intensiv und hoch dramatisch geraten. Die Wenigsten der heutigen Kinogeneration dürften das Original mit Richard Attenborough kennen, werden aber den Staub, der dem Stoff anhängt bemerken. Dass sich ein Regisseur für seinen Erstling auf einen etablierten Filmklassiker ausruht ist heutzutage vollkommen legitim und wirkt auch nicht unkreativ oder aufgesetzt.
In seinem Stil und seiner Art passt „Brighton Rock“ perfekt in die aktuelle Phase der Filmentwicklung. Wie auch immer man sie später nennen wird, Rowan Joffe könnte ein der Lage sein, diese Phase nicht nur zu überstehen, sondern eine neue ein zu läuten.
Brighton Rock (GB / USA, 2010): R.: Rowan Joffe; D.: Sam Riley, Helen Mirren, John Hurt, Andy Serkis, u.a.; M.: Martin Phipps; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
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