Brief aus Greifswald

Von Sibylla Schwarz

Meine Leier, Geehrter Herr Bruder, hat den halben Teil ihrer Wohlfahrt dir zu danken, dieweil sie, durch des Neides dicken Dunst überzogen, mitten in solcher Finsternis, von dem klaren Licht deiner Liebe, zur Poeterei, oder vielmehr zur Tugend ist erleuchet, und bis dahero erhalten worden. Wie nun jedermann bekannt ist, daß das Laster der Undankbarkeit aller Untugenden Mutter und Gebärerin ist, also, wo ich nicht mit unter die Undankbaren gerechnet sein wollen, hab ich billig etwas herfür suchen müssen, dadurch ich die erzeigte Wohltat in etwas belohnete. Da mir aber nichts mehr oder Bessers gefallen, als die Histori von der Susannen in Reimen zu bringen, alldieweil keine dergleichen Historien sich so wohl auf die hiesigen Ortes betriebene Laster schicken wollen. Dann wo find man in dieser Stadt treue und ohn-falsche Herzen? Wiewohl es mir nicht wohl anstehet, daß ich mein eigen Vaterland, das doch noch etliche keusche Gemüter, göttliche Helden, heroische Geister, und tugend- und gerechtigkeitliebende Herzen, wiewohl ihrer sehr wenig, träget, wegen solcher Laster, die mehr zur Verkleinerung, als Erhöhung dienen, betrachten soll. Wann ich aber auch der Wahrheit schonen wollte, so würd es nicht allein der guten Stadt, sondern auch mir und meiner Leier verkleinerlich sein. Doch, wenn mans beim Licht besiehet, so ist die ganze Welt mit solchen Lastern beflecket; dann wo ist Schönheit, da sie nicht angefochten wird? Und weil man die Ungerechtigkeit bei denen, die den Namen der Richter und Gerechten führen, selbsten nicht vermutet, als wird auch selbst darüber die Gerechtigkeit verdorben, und zur Ungerechtigkeit gemachet. Daß dennoch Recht und Strafe der Gottlosen nicht außen bleibe, dessen haben wir an dieser Geschichte Zeugnisses genug, wiewohl streiten wollen, daß selbige sich also verhalten habe, das aber allhier zu verfechten Zeit und Gelegenheit  nicht leiden, so ist auch gegenwärtiges Werk nicht etwan, um eine Handvoll Gunst oder Ehre dadurch zu erjagen, angefangen, sondern aus Liebe zur Geschicht ´, aus Reizung zur Poeterei, und Lust zur Übung in derselben, und im übrigen meine schwesterliche Liebe und Pflicht damit an den Tag zu geben, darum ich dann auch freundlich bitte, der herr Bruder woll dies so lang vor gut auf- und annehmen, bis bequemere Gelegenheit ihm zu dienen mir das Verhängnus, oder die Gunst des Glückes bescheren wird; Gott befohlen.



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