
Der Brexit kann keine gute Entscheidung sein
Im Gegenteil: Ich fürchte, dass die Briten mit dem Feuer gespielt haben und jetzt einen Flächenbrand ausgelöst haben. Die ersten Folgen sind schon spürbar: Das Pfund ist jetzt auf den niedrigsten Stand seit 1985 gefallen. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s streicht Großbritannien das AAA-Rating. Der DAX ist zu Handelsbeginn um zehn Prozent gefallen; es wird weltweit ein schwarzer Freitag an den Börsen erwartet. Heißt es nicht: „Die Märkte haben immer Recht“?
Der Brexit gibt den Nationalisten wie Geert Wilders Auftrieb
Für mich sind die ersten Reaktionen das Indiz, dass Europa und die Briten keineswegs Freunde bleiben werden. Was wir sehen, sind die Teller, die im Affekt geworfen werden; wir verbrennen gerade Souvenirs aus unseren glücklicheren Zeiten.
Und das war erst der Anfang. Schon jetzt beginnen unsere Bekannten und Freunde, auf unsere Trennung zu reagieren. Eben lief über den Ticker, dass David Cameron als Premierminister zurücktreten wird. Der rechtspopulistische Niederländer Geert Wilders hat schon angekündigt, dass er einen „Nexit“ will; die Diskussion, ob Nordirland und Schottland sich jetzt von England lossagen, hat ebenfalls schon begonnen.
Ja, solche Diskussionen sind wichtig, sie sind Teil des demokratischen Prozesses. Ich bin Jahrgang 1972, ich habe die deutsch-deutsche Vereinigung erlebt, das Zusammenwachsen von Europa, das Fallen von Grenzen und Barrieren. Ich bin, Gott sein Dank, in einem friedlichen Europa aufgewachsen. Aber auf einmal beschleicht mich dieses schlimme Gefühl, dass die Geschichte eben auch nicht immer gut ausgehen muss.
Wir müssen aufeinander zugehen statt uns zurückzuziehen
Was jetzt passiert, wird Großbritannien und Rest-Europa auf Wochen, Monate, Jahre lähmen. Und das in einer Zeit, in der wir so viel größere Herausforderungen zu stemmen haben: Der Zustrom an Zuwanderern, die nach Europa fliehen. Die Frage der Integration. Mega-Trends wie Digitalisierung und Globalisierung, die unsere Welt nachhaltig verändern. Der Rückzug, das Einigeln kann nicht die Lösung sein.
Die Schweiz und Norwegen sind die Freunde, die man schon viel zu lange kennt, als dass „aus uns nochmal irgendwas wird“, wie Klaus Lage einst sang. Mit Großbritannien hingegen ist das anders: Wir waren verheiratet, wir haben uns Versprechungen gemacht und uns vertraut.
Die EU hat doch jetzt gar keine andere Chance, als hart zu reagieren. Sie muss den Wohnungsschlüssel abnehmen und die Koffer vor die Tür stellen. Täte sie es nicht, wäre das das Eingeständnis, dass Europa dieses ehrgeizige Projekt EU auch gleich sein lassen könnte.
In den sozialen Netzwerken kursiert eine spannende Detail-Analyse: Von den 18- bis 24-Jährigen haben 64 Prozent klar für den Verbleib in der EU gestimmt. Bei den Über-65-Jährigen hingegen waren es 58 Prozent, die sich für einen Austritt ausgesprochen haben. Ich bin sehr gespannt, was die Zeit uns lehren wird.
