Bretagne 2015 – Anreise 2: Von Nuspli-Moral, belgischen Verkehrskampagnen und französischen Autofahrern

Es ist erneut 3 Uhr morgens, aber nicht das Murmeltier grüßt uns, sondern der Bonner Freund, der uns weckt. Der Entspannungsfaktor eines Urlaubs ist definitiv noch ausbaufähig, wenn man zwei Tage hintereinander mitten in der Nacht aufsteht, um stundenlang Auto zu fahren. Aber wenigstens haben wir dann einen guten Grund, uns erholen zu müssen, nachdem wir übermüdet und gerädert in der Bretagne ankommen. Finde, für die frühe Stunde ist das wirklich eine bestechende Logik.

Nachdem alle Erwachsenen und Kinder durchs Bad geschleust wurden („Jeder geht noch mal auf Toilette, egal ob er muss oder nicht.“), sitzen wir um kurz vor vier wieder in unserem KIA. Stelle als routinierter Autofahrer fest, dass die Tankanzeige bedrohlich rot leuchtet und wir als erstes eine Tankstelle aufsuchen müssen. Dort erwerben wir außer dem Benzin zwei Kaffee für die Freundin und mich. Bitter und stark ist er, wie es sich für einen richtigen Tankstellen-Kaffee gehört.

Kaffee. Weckt Tote auf. Und bringt sie wieder um.

Kaffee. Weckt Tote auf. Und bringt sie wieder um.

Bin mir nicht sicher, ob der Kaffee meine Lebensgeister weckt oder aber vertreibt. Wahrscheinlich beides. Fahre daher wie ein Zombie auf Speed auf die Autobahn. Zur Stärkung der Moral vor der langen Fahrt essen wir alle erstmal Nuspli-Stullen.

Nachdem wir eine Weile unterwegs sind, überqueren wir die Grenze nach Belgien, das Land, in dem die EU-Institutionen beheimatet sind. Das Radio spielt ‚Heal the world‘ von Michael Jackson. Halte das für ein bisschen dick aufgetragen. Bevor die EU die Welt rettet, wäre es schön, wenn sie das mit Griechenland hinbekommt.

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Während der Rest der Familie schläft, fällt mir auf der Mittelkonsole die letzte Nuspli-Stulle ins Auge. Das stellt mich vor ein schweres moralisches Dilemma: Einerseits äße ich das Brot gerne („Nervennahrung für den Chauffeur“), andererseits müsste ich es zur Aufrechterhaltung meines Images als treusorgender Familienvater für die Kinder aufheben.

Nuspli-Stulle. Wirft moralische Fragen auf.

Nuspli-Stulle. Wirft moralische Fragen auf.

Was wohl Dr. Dr. Erlinger dazu sagen würde? Der ist Philosoph und gibt in seiner Kolumne „Die Gewissensfrage“ jede Woche im SZ-Magazin Ratschläge zu Leserfragen wie „Darf ich eine nicht entwertete Fahrkarte ein zweites Mal benutzen?“ (Nein!) oder „Muss ich meiner besten Freundin sagen, dass ich ihre Kinder doof finde?“ (Nicht unbedingt.).

Wahrscheinlich würde Dr. Dr. Erlinger den kategorischen Imperativ von Kant anführen (Das macht er nämlich sehr häufig), der umgangssprachlich besagt: „Was du nicht willst, was man dir tut, das füg‘ auch keinem andren zu.“ Auf meine Situation angewendet, hieße das, wenn ich nicht möchte, dass mein Vater mir die letzte Nuspli-Stulle wegisst, muss ich sie meinen Kindern überlassen. Da mein Vater aber überhaupt kein Nuspli mag, bedeutet das im Umkehrschluss, dass er gar keinen Wert auf die Stulle legt und ich sie demnach mit ruhigem Gewissen essen kann. Eine philosophisch-argumentative Meisterleistung, wie man sie nur nach zwei Nächten mit zu wenig Schlaf zu vollbringen imstande ist.

Greife gerade nach dem Brot, als der Sohn aufwacht und fragt, ob er die Stulle haben kann. Resigniere seufzend und sage, er müsse aber die Hälfte seiner Schwester abgeben, sonst würde Dr. Dr. Erlinger dolle schimpfen. Der Sohn schaut mich verständnislos an. Dann weckt er seine Schwester und sie teilen sich die Nuspli-Stulle. Es sei Ihnen vergönnt. Ein bisschen.

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Fahre aufgrund des entgangenen Schoko-Brots etwas unbefriedigt über die belgischen Autobahnen, als mir ein Plakat am Straßenrand auffällt. Ein – anscheinend bekannter – belgischer Tischtennis-Spieler ist in Sportler-Kluft abgebildet und daneben ist geschrieben, er spiele gerne, aber nicht mit seinem Leben. Kurze Zeit später entdecke ich ein zweites Plakat mit einem Tennisspieler, der die Autofahrer ermahnt, häufiger Pausen einzulegen. Was die beiden Sportler mit Autoverkehr zu tun haben? Mir erschließt sich das nicht, aber ich habe die Kampagne ja auch nicht entworfen. Die ist wahrscheinlich das Ergebnis eines Einmann-Brainstorms eines belgischen Werbepraktikanten.

Belgische Verkehrssicherheits-Kampagne. Andere Länder, andere Sitten.

Belgische Verkehrssicherheits-Kampagne. Andere Länder, andere Sitten.

Überlege, wie die Kampagne in Deutschland aussehen könnte. Mit Boris Becker als Werbeträger für mehr Sicherheit im Verkehr. Kichere in mich hinein. Ist doch ein toller, subtil doppeldeutiger Gag, oder? Findet man zumindest, wenn man um 3 Uhr morgens aufgestanden ist und seit mehreren Stunden im Auto hockt. Wahrscheinlich kommt Mario Barth so zu seinem Bühnenprogramm. Er steht mitten in der Nacht auf, fährt durch die Nacht und schon schreiben sich die Zoten von fast alleine.

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Etwas später erreichen wir Frankreich. Mir gefällt, dass hier auf den Autobahnen Tempo 130 gilt. Das ermöglicht eigentlich ein recht entspanntes Fahren. Frage mich allerdings, wie französische Männer mit kleinen Penissen, dies kompensieren können, wenn sie nicht mit 210 km/h über die Autobahn brettern dürfen.

Wahrscheinlich, indem sie extrem schlecht Auto fahren. Denn dafür gibt es genügend Beispiele. Blinken scheint anscheinend in Frankreich nur nach dem Zufallsprinzip vorgenommen zu werden und meistens in die entgegengesetzte Richtung, die man eigentlich einschlagen möchte. Es wird außerdem extrem dicht aufgefahren und einen anderen Fahrer, in die Spur hineinzulassen, verstößt möglicherweise gegen irgendeinen französischen Autofahrer-Kodex. Eventuell gilt dieser Kodex aber auch nur gegenüber deutschen Autofahrern. Man weiß es nicht.

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Werde allmählich müde und daher übernimmt die Freundin das Steuer. Versuche ein wenig zu schlafen. Das ist allerdings einfacher gesagt, als getan. Zuerst braucht der Sohn Hilfe beim Öffnen der Wasserflasche. Dann fragt die Tochter, ob sie eine DVD schauen darf. Außerdem möchte die Freundin eine Cola gereicht bekommen. Dazu erreicht die Blase allmählich einen Füllstand, der normale Sitzpositionen erschwert. Und das Navi plärrt unentwegt, dass wir weiter geradeaus fahren müssen. Ob ich Opfer einer von der NSA organisierten Schlaffolter bin? Ich möchte es nicht ausschließen.

Da unser Auto mehr Benzin schluckt als ein Burschenschaftler während seines Studiums, müssen wir nach knapp 600 Kilometern an einem Rasthof halt machen. Im Tankstellen-Shop mache ich eine großartige Entdeckung. Eine Kaffeemaschine fürs Auto! Wenn das nicht eine Meisterleistung der Ingenieurskunst ist! Die Freundin will trotzdem nicht, dass wir sie kaufen. Schade.

Mobile Auto-Kaffeemaschine. Nobelpreisverdächtig.

Mobile Auto-Kaffeemaschine. Nobelpreisverdächtig.

Aber vielleicht kommen wir auf der Heimreise in zwei Wochen noch einmal an der Raststätte vorbei. Bestimmt kann ich sie dann überzeugen. Obwohl das letztes Jahr mit dem Toiletten-Golf-Set auch nicht geklappt hat, das mir in einem deutschen Rasthof auffiel und mir viel Spaß auf dem stillen Örtchen versprach.

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Da wir im letzten Jahr auf der Fahrt in die Bretagne auf den mautpflichtigen Autobahnen so oft im Stau standen, haben wir uns diesmal für einen mautfreien Weg entschieden. Ein Plan so vielversprechend als habe Hein Blöd ihn sich höchstpersönlich ausgedacht. Mochte er uns vor Antritt der Reise als genialisch erscheinen, die Wirklichkeit lehrt uns eines Besseres: Wenn wir letztes Jahr die Pest hatten, so leiden wir dieses Jahr an Cholera.

Unser schon etwas veraltetes Navi lotst uns über abenteuerliche kurvige Landstraßen und gibt uns die Möglichkeit, die französischen Landschaften zu bestaunen. Das ist aber auch nur für eine knappe Stunde erbaulich und danach so inspirierend wie ein schlechter Posterdruck eines Paul Gauguin-Gemäldes.

Den ein oder anderen Stau nehmen wir außerdem auf den Landstraßen und mautfreien Autobahnen auch mit und die Fahrt zieht sich allmählich. Ungefähr 250 Kilometer vor unserem Ziel stelle ich mit Entsetzen fest, dass sich unsere Süßigkeitenvorräte allmählich dem Ende entgegen neigen. Die Kinder tragen es allerdings mit mehr Fassung als ich.

Langsam gehen die Süßigkeitenvorräte zuneige und die Stimmung im Auto droht zu kippen. Die Kinder sagen, wir sollen uns nicht so anstellen.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 18. Juli 2015

Als ich dann kurze Zeit später freudestrahlend verkünde, dass es jetzt nur noch zwei Stunden bis zu unserer Ankunft sind, hält sich wiederum die Begeisterung der Kinder in Grenzen. Nie war die ‚Meuterei im KIA‘ näher als in diesem Moment! Eigentlich eine hübsche Idee für einen Roman. Solange man nicht selbst darin mitspielen muss.

„Super, jetzt sind es nur noch zwei Stunden.“ Die Kinder können meine Begeisterung nicht ganz teilen. Eigentlich gar nicht.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 18. Juli 2015

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Erreichen nach ungefähr 16 Stunden Fahrt endlich das Ferienhaus in Esquibien. Die Bonner Freunde sind schon seit mehreren Stunden da und haben für alle gekocht. Zur Einstimmung auf den Urlaub gibt es landestypisches bretonisches Abendessen: Spaghetti Bolognese. Guten Appetit!


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