Bretagne 2015 – Anreise 1: Von Bleifüßen, Morgen-Shows und Kinder-Auto-Spaß

Erstellt am 17. Juli 2015 von Christianhanne

Es ist 3 Uhr morgens. Das Radio weckt uns unerbittlich. Mit ‚Autobahn‘ von Kraftwerk. Wie passend, verbringen wir doch heute mehrere Stunden auf der selbigen. Außerdem fand ich das Lied schon immer ziemlich öde und so wird wohl auch unserer heutiger 6-Stunden-Trip nach Bonn.

Niemand hat die Absicht, um 3 Uhr morgens aufzustehen, um in Urlaub zu fahren. Oh!

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 17. Juli 2015

Um richtig wach zu werden, dusche ich kalt und trinke einen doppelten Espresso. Oder heißt es doppelter Espressi? Egal. Besonders zu dieser Uhrzeit. Die Kinder sind auch ohne kalte Dusche und Koffeindoping hellwach und voller Vorfreude auf den Urlaub.

Mache mich mit der Freundin daran, das Auto zu packen. Unter Ausnutzung jeden Kubikzentimeters des Kofferraums schaffen wir es entgegen unserer Befürchtungen, die diversen Koffer, Taschen, Rucksäcke und Beutel zu verstauen. Im Hintergrund läuft die Tetris-Melodie.

Leichtes Reisegepäck.

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Nachdem alles Gepäck im Auto ist, wir die Wohnung abgeschlossen und wieder aufgeschlossen haben, um zu kontrollieren, ob alle Fenster zu sind, setze ich mich ins Auto hinters Steuer. Das erste Mal seit ziemlich genau einem Jahr. Aber das Autofahren verlernt man ja genauso wenig wie das Fahrradfahren. Nur dass das Auto mehr Pedalen hat. Und viel mehr Schalter, Knöpfe und Hebel.

Ob ich mir den Spaß erlauben soll, die Freundin zu fragen, welche unterschiedlichen Funktionen die verschiedenen Fußpedale haben? Lieber nicht. Möchte sie nicht verängstigen. Obwohl es schon schön wäre, zu wissen, was passiert, wenn man das linke Pedal durchtritt. Erstmal nichts. Es wird wohl die Kupplung sein.

Nachdem ich mich mit unserem Gefährt einigermaßen vertraut gemacht habe, ist die erste Hürde der Fahrt zu überwinden: ich muss das Auto aus der doch recht schmalen Parklücke hinausmanövrieren. Mit dem Parkassistenten sollte das kein Problem sein. Dieser scheint mit meinen Rangierleistungen aber nur mäßig zufrieden zu sein und piept zunehmend wilder und hysterischer. Vielleicht ein akuter Fall von PMS?

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Dann geht es wirklich los. Das Auto und ich freunden uns immer mehr an und auf der Autobahn läuft es wie am Schnürchen. So verfliegen die ersten anderthalb Stunden wie im Flug. Meine euphorische Stimmung trübt sich allerdings ein wenig ein, als ich mit Blick auf die Uhr feststelle, dass erst acht Minuten seit unserer Abfahrt vergangen sind. Wahrscheinlich ein Fehler in der Bordelektronik.

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Zu der frühen Uhrzeit sind die Straßen erfreulich leer. So dauert es immerhin fünfzehn Minuten, bis mir das erste Mal ein testosterongeschwängerter Bleifuß mit der Lichthupe seines Mikropeniskompensators (aka 7er BMW) signalisiert, er müsse jetzt sofort und unverzüglich überholen. Wohlgemerkt, während ich mit 160 km/h auf der Mittelspur fahre, um einen LKW zu überholen, und die linke Spur total frei ist.

Jaja, freie Fahrt für freie Bürger. Eine Aussage, die sich mir in ihrer platten Schlichtheit noch nie erschlossen hat. Freier Käsekuchen für freie Bürger, das wäre eine Forderung, der ich etwas abgewinnen könnte. Sollte ich mal der FDP als Slogan für den nächsten Wahlkampf vorschlagen. Ist denen aber bestimmt zu spätrömisch dekadent.

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Das Fahren in den Morgenstunden hat zwar den großen Vorteil der freien Autobahn, aber auch den erheblichen Nachteil, der Gute-Laune-Diktatur der Morning-Shows im Radio erbarmungslos ausgesetzt zu sein. Egal welchen Sender ich wähle, jedes Mal terrorisiert mich irgendein unerträglich fröhlicher Radio-DJ auf Ritalin-Entzug, der mit dumpfen Anmoderationen permanent nervtötenden Frohsinn verbreitet. Dazu gibt es überall die besten Hits von gestern, heute, morgen und übermorgen. Wünsche mir eine Kettensäge, um die umliegenden Sendemasten zu fällen und mich beziehungsweise uns alle dadurch vom Joch des tumben Spaß-Radios zu befreien.

Während ich versuche, mein vegetatives Nervenzentrum gegen die Morning-Show-Attacken zu schützen, überqueren wir die Grenze nach Sachsen-Anhalt. Auch dieses Jahr heißt uns ein großes Plakat im Land der Frühaufsteher willkommen. Unterdrücke den unbändigen Impuls, laut zu brüllen: „Wir sind viel früher aufgestanden, ihr Amateure!“ Womöglich bekommen mir das Schlafdefizit und die Privatradio-Sender nicht so gut. Es wird Zeit für einen Fahrerwechsel.

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Steuere eine gute halbe Stunde später einen Rastplatz an, wo wir große Teile unseres Reiseproviants verputzen. Außerdem gönnen die Freundin und ich uns jeder einen Kaffee im Wert eines japanischen Kleinwagens. Danach müssen wir auf die Toilette und nötigen die Kinder, uns zu begleiten.

Der Sohn beendet schnell sein kleines Geschäft und studiert interessiert den Automaten mit den Präservativen. Mit ernster Miene erklärt er, sie hätten in der Schule gelernt, was ein Kondom sei. Ein Luftballon für den Penis.

Pragmatische Sexualaufklärung auf Raststätten-Toiletten.

Dann will er wissen, ob man auch den Ballon aufblasen und dann über den Penis ziehen könne. Verneine das und enthalte ihm die Information, dass es aber umgekehrt quasi möglich sei.

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Nun übernimmt die Freundin das Steuer und die Fahrt geht weiter. Im Radio gibt es derweil ein paar Ratgeber-Tipps, wie man lange Autofahrten mit Kindern am besten gestaltet. Obst und viel Wasser sind anscheinend recht wichtig. Kann mich aber nicht richtig auf den Beitrag konzentrieren, da ich damit beschäftigt bin, für die Kinder die Kekspackung zu öffnen und ihnen eine neue Apfelsaft-Schorle zu reichen.

Die Kinder sitzen im Auto hinten, schauen DVD, essen Schokokekse und trinken Apfelsaft-Schorle. Sie leben ihren Traum.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 17. Juli 2015

Für extrem lange Autofahrten richten wir für die Kinder nämlich im Fond immer eine Entertainment-Zone ein. Gewissermaßen eine mobile Neverland-Ranch. Die Tochter und der Sohn können dort tun und lassen, was sie wollen. Sie dürfen stundenlang DVDs schauen, ununterbrochen am Computer spielen, Jugendzeitschriften lesen, die sonst auf dem elterlichen Index stehen, malen, basteln, töpfern, Tontauben schießen. Dabei ist es ihnen erlaubt, Schokolade, Kekse und Kuchen zu essen und zuckerhaltige Brausegetränke zu trinken sowie alle Lebensmittel zu sich nehmen, die auf der schwarzen Liste der Deutschen Gesellschaft für Ernährung stehen. Hauptsache sie bleiben bei guter Laune und fragen nicht minütlich, wie lange wir noch fahren müssen.

Im letzten Jahr war diese Strategie sehr erfolgreich. Auf der ganzen Fahrt gab es kein Gequengel von den Kindern. Lediglich gegen Ende jammerte der Sohn ein wenig, weil seine Daumen vom pausenlosen Nintendo-Spielen schmerzten. Daher mussten die Kinder dieses Jahr im Vorfeld des Urlaubs regelmäßig spezielle physiotherapeutische Übungen zur Kräftigung der Finger- und Daumenmuskulatur absolvieren. Man lernt ja aus seinen Fehlern.

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Ungefähr 40 Kilometer vor Bonn erwischt es uns. Wir stehen im Stau. Es geht weder vor, noch zurück. Letzteres ist eigentlich ganz gut, denn warum sollte es auch zurückgehen. Vor allem auf der Autobahn.

Die erste Regel im Stau-Club: Ihr verlasst nie die Spur im Stau-Club.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 17. Juli 2015

Anscheinend findet es der Stau-Gott lustig, dass gerade in diesem Moment im Radio ‚Ich will Spaß, ich geb Gas‘ gespielt wird. Noch lustiger findet er es, dass die Kinder jetzt auf Toilette müssen. Und die Eltern auch.

Ich hasse den Verkehrsgott. Und Markus, der das blöde Lied geschrieben hat. Und die Radiostation, die diesen Schwachsinn auch noch spielt, anstatt in einem Giftschrank ganz tief im Keller zu vergraben.

Nach knapp 60 Minuten haben wir es geschafft und kommen endlich in Bonn an. Wir finden sogar einen Stellplatz in der Nähe der Wohnung unserer Freunde. Nach Einparken in 48 Zügen verbunden mit der Verdopplung des heutigen Benzinverbrauchs haben wir die erste Etappe unserer Anreise hinter uns gebracht und die Freunde begrüßen uns mit großem Hallo.

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Nachmittags ziehen der Bonner Freund und ich los, um einige letzte Besorgungen zu machen. Wenn zwei Männer im besten Alter zwanzig Rollen Klopapier in ihrem Einkaufswagen haben, ernten sie übrigens skeptische Blicke von den anderen Kunden. Wir erklären offenherzig, dass wir beide an einem sehr nervösen Reizdarm leiden. Das hilft aber auch nicht und vergrößert die Skepsis gegenüber uns zusätzlich.

Zum Schluss suchen wir die örtliche Metzgerei auf, um Fleisch für den Abend zu kaufen. Der Laden brummt und die Schlange reicht fast bis auf die Straße. In meinen Augen blitzen die Euro-Zeichen auf und ich schlage dem Bonner Freund vor, gemeinsam eine Fleischerei zu gründen und unermesslich reich zu werden. Er ist einverstanden. Wir werden sie ‚Gott des GeMETTzels‘ nennen.

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Zur Einstimmung unserer Mägen auf das Nahrungsangebot der nächsten zwei Wochen, grillen wir abends noch gemeinsam. Spiele anschließend zur Verbrennung einiger Grillkalorien im Flur ein wenig Fußball mit der vierjährigen Tochter der Bonner Freunde. Sie erklärt, dass es für zweimal Treten gegen den Ball eine gelbe Karte gibt und nach zwei gelben Karten bekommt man rot. Das gilt aber nur für mich. Verliere aufgrund des für mich ungünstigen Regelwerks haushoch.

Gehe danach erschöpft ins Bett und träume von Morning-Show-Moderatoren, die ein Kondom auf dem Kopf tragen und Mettwurst zubereiten. Das wird ein guter Urlaub!

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