Bretagne 2015 – 6. Tag: Von Regen-Lauf-Romantik, Dudelsäcken und Süßigkeiten

Erstellt am 24. Juli 2015 von Christianhanne

Werde morgens vom Regen, der gegen das Fenster peitscht, geweckt. Kontrolliere sicherheitshalber die Wetter-App. 100 Prozent Regenwahrscheinlichkeit. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit regnet es also tatsächlich.

Esquibien. Regenwahrscheinlichkeit 100 Prozent.

Eigentlich wollten der Bonner Freund und ich heute laufen. Der wankt um 8 Uhr jedoch nur kurz ins Schlafzimmer und wir grunzen uns zu, dass das Joggen heute ins sprichwörtliche Wasser fällt. Lieber faul im warmen Bett, als sportlich im kalten Nass. Ist eine alte bretonische Weisheit. Die ich gerade erfunden habe.

Drehe mich um und versuche, wieder zu schlafen. Aber eine Stunde später kommt der Bonner Freund schon wieder ins Schlafzimmer. In Sportklamotten. In seinen Augen lodert das Feuer der Laufleidenschaft. Es habe aufgehört zu regnen und nun gebe es keine Entschuldigung mehr, nicht laufen zu gehen, erklärt er euphorisch.

Würde ihm da nicht uneingeschränkt zustimmen wollen. Denn mir fallen so einige Entschuldigungen ein: Das Bett ist warm, das Müde groß, das Wach klein, die Laufstrecke lang, die Berge anstrengend, der Boden feucht, der Wind windig und so weiter und so fort.

Zu der frühen Uhrzeit und dem fortgeschrittenen Urlaub stellt das Artikulieren klarer Aussagen für mich jedoch eine große Herausforderung dar. Außerdem trippelt der Bonner Freund erwartungsvoll vor mir rum. Deute also ein Nicken an, rolle mich aus dem Bett, schlüpfe irgendwie in Laufkleidung und schon laufen wir gemeinsam die hügelige Straße Richtung Audierne entlang.

Wie vor zwei Tagen benötigen wir erneut zwei, drei Kilometer, bis unser Laufstil allmählich runder wird und wir legen auch an Tempo zu. Für die einen* (*uns) springen wir mit dem Enthusiasmus jugendlicher Gemsen die Anstiege hinauf, für die anderen (**alle anderen) walzen wir wie die dicken Geschwister von Manni, dem Mammut aus ‚Ice Age‘, die Berge hoch.

Auch heute steuern wir eine der Bäckereien an, um die Backwaren für das Frühstück zu kaufen. Man kennt uns dort inzwischen und winkt die stinkenden Wisente an den anderen Wartenden vorbei, damit wir schnell wieder den Laden verlassen.

Bepackt mit Baguette, Graubrot und Milchbrötchen machen wir uns auf den Heimweg. Kaum haben wir die Bäckerei verlassen, fängt es an zu schütten. Kühl und windig ist es auch noch. Das ist nicht schön. Und jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit: „Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Laufklamotten.“ Das ist natürlich grober Unfug. Eine Erfindung der Dumme-Sprüche-Industrie. Und der Funktionskleidungsindustrie. Wenn es wie aus Kübeln gießt, macht Laufen nie Spaß, selbst wenn man undurchlässige, wasserabweisende, atmungsaktive Regenjacken trägt. Und wir tragen keine undurchlässigen, wasserabweisenden, atmungsaktiven Regenjacken. Gießen wie aus Kübeln tut es trotzdem.

Das Laufen im Regen könnte eigentlich ganz romantisch sein. Wenn im Hintergrund Wet Wet Wet ‚Love is all around‘ spielten. Und wir Brad Pitt und Angelina Jolie wären. Es gibt aber keine Hintergrundmusik und wir sind auch nur wir. Schade eigentlich.

Klatschnass erreichen wir kurze Zeit später das Ferienhaus. Als wir die Einfahrt betreten, hört es auf zu regnen.

Blume in Rosa. An Regentropfen.

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Das Wetter bleibt sehr regnerisch und windig, so dass der Strandbesuch heute ausfallen muss. Stattdessen machen wir alle einen Ausflug nach Quimper, das gut 40 Kilometer östlich von Esquibien liegt. Quimper zählt etwas mehr als 60.000 Einwohner und ist die Hauptstadt des Départements Finistère. Die größte Sehenswürdigkeit von Quimper ist die ‚Cathédrale Saint Corentin, die zwischen 1240 und 1856 erbaut wurde. Im Vergleich dazu liegt der Berliner Flughafen eigentlich noch ganz gut im Rennen.

Rathaus von Quimper. Unspektakulär.

In Quimper gibt es außerdem sehr viele Macarons-Läden, Konditoreien, Chocolatiers, Confiserien, Crêperien und andere Läden, in denen man süße, fettige, zuckerhaltige und leckere Speißen kaufen kann. Das macht Quimper sehr sympathisch. Ich mag Quimper sofort.

Kaum haben wir unser Auto geparkt, betreten wir einen Macarons-Laden, der eine riesige Auswahl des köstlichen Baisergebäcks in allen vorstellbaren und unvorstellbaren Geschmacks- und Farbrichtungen anbietet. Darüber hinaus gibt es Pralinen, Kuchen und Teilchen. Eine hübsche junge Verkäuferin fragt mich, ob ich wüsste, was ich gerne hätte. Alles!

Macerons-Landen in Quimper. Mein neues Zuhause.

Ärgere mich, dass mir die Französischkenntnisse fehlen, um der Verkäuferin zu sagen, dass ich sie heiraten und mit ihr in dem Laden wohnen möchte. Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen will mir die Freundin nicht mit dem notwendigen Vokabular aushelfen. Manchmal ist sie etwas komisch. Und kurzsichtig. Ich könnte sie doch immer mit kostenlosen Macarons versorgen, wenn ich erstmal mit meiner neuen Frau in dem Laden lebe.

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Unser Ausflug nach Quimper fällt genau in den Zeitrahmen des jährlich im Juli stattfindenden Dudelsack-Festivals, eines der größten sozialen und kulturellen Ereignisse der Stadt. An jeder Ecke spielt eine andere Dudelsack-Combo: Junge und Alte, Männer und Frauen, Traditionelle und Moderne.

Dudelsackfestival. Ohne Worte.

Mein Musikgeschmack ist abseitig genug, dass mir Dudelsack-Musik ganz gut gefällt. Nach 15 Minuten Dudelsack-Beschallung finde ich es super. Nach 30 Minuten immer noch ganz gut, nach 45 Minuten okay und nach 60 Minuten so lala, nach 75 Minuten schwer erträglich und nach 90 Minuten so angenehm wie ein Tinnitus und ich möchte den Erfinder des Dudelsacks umbringen beziehungsweise sein Grab schänden.

Trinke später einen Cidre sowie noch drei Viertel des Cidres der Freundin. Bin dann leicht angeheitert und finde die Dudelsack-Musik wieder super. Überlege, mich einer der Combos anzuschließen und mit ihnen durch die Stadt zu ziehen. Die Freundin findet, das sei keine gute Idee und sagt, wir sollten jetzt besser zurück nach Esquibien fahren.

Dudelsack-Combo. Meine neuen besten Freunde.

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Auf dem Heimweg müssen wir noch fürs Abendessen einkaufen und fahren zu einem der riesigen französischen Supermärkte, deren Grundfläche größer ist als viele der bretonischen Nester sind. Um mich bei den Kindern einzuschleimen, verkündige ich ihnen, dass sich jeder eine Süßigkeit ganz für sich alleine aussuchen kann. Wenig überraschend sind die Kinder geradezu ekstatisch und stürmen in die Süßigkeiten-Abteilung. Irgendwas haben sie aber anscheinend an der Ansage ‚eine Süßigkeit‘ nicht verstanden, denn als sie wieder kommen, schleppen sie ihr eigenes Körpergewicht in Schokolade, Keksen, Gummibärchen und Chips an.

Erkläre den Kindern, das ginge so nicht und sie müssten einen Teil der Sachen wieder zurückbringen. Das macht mich in ihren Augen zu einem Riesenspießer und ich büße einen Großteil meiner neu gewonnenen Popularität wieder ein. Es beginnen äußerst zähe und leidenschaftliche Verhandlungen wie zwischen der französischen Regierung und den Viehbauern, die erst kürzlich Autobahnen und Supermärkte mit Traktoren, Misthaufen und angezündeten Autoreifen blockierten. Kurz bevor die Kinder ebenfalls brennende Barrikaden errichten, finden wir schließlich einen Kompromiss, Teile der Süßigkeiten werden ausgetauscht und alle Beteiligten sind halbwegs zufrieden.

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Nach den entspannten Strandbesuchen der letzten Tage ist so ein Ausflugstag doch recht anstrengend. Erreichen abends erschöpft das Ferienhaus und nach einem schnellen Abendessen (Hühnchen-Pilaw mit Reis) werden die Kinder ins Bett geschickt. Pflichtbewusst spielen die Erwachsenen noch ein paar Runden Kniffel. Besondere Vorkommnisse: Eine 329er-Runde der Freundin.

Für morgen liegt laut Wetter-App die Regenwahrscheinlichkeit bei unter 30 Prozent. Das schreit nach einem Strandbesuch. Hoffentlich ohne Dudelsäcke.

Esquibien. Abendramontik.

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