„Ach, lass mal. Ich fahre gerne mit dem Rad zum Bäcker.“ Worte, die wahrscheinlich mal auf meinem Grabstein stehen werden. Und die ich aus mir unerklärlichen Gründen zum Bonner Freund gesagt habe, als er anbot, mit die Baguettes mit dem Auto zu holen. Und die dazu führen, dass ich heute Morgen wieder die unzähligen Hügel Berge zwischen Esquibien und Audierne hochstrample.
Hafen von Audierne. Ein Schiff wird kommen. Beziehungsweise: Viele Schiffe sind bereits gekommen.
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Nach circa fünfzehn Fahrt erreiche ich als rotgesichtiges, ausdünstendes Mufflon die Bäckerei. Habe heute ein neues Geschäft ausgesucht, damit alle Bäcker im Ort von unseren Konsumausgaben profitieren. Außerdem soll nicht einer alleine unter meiner Verunstaltung der französischen Sprache leiden müssen.
Bäckerei. Aus avantgardistischem Winkel fotografiert.
Souverän und nahezu akzentfrei (zumindest in den Ohren von Menschen, die kein Französisch sprechen), begrüße ich die junge Verkäuferin und erbitte drei Baguettes. Eigentlich eine sehr präzise Bestellung. Dachte ich. Die Verkäuferin ist allerdings anderer Meinung. Sie sagt einen französischen Satz, bei dem ich nicht ein einziges Wort verstehe, und macht dabei eine ausladende Handbewegung auf die vielen Weißbrote hinter sich.
Denn in Frankreich, dem Land der Weißbrot-Stange, gibt es selbstverständlich nicht nur eine Sorte Baguette. Nein, es gibt große und kleine, dicke und dünne, dunkle und helle. Diese Eigenschaften lassen sich dann auch noch in einer Vielzahl von Variationen kombinieren: Große, dicke, helle Baguettes, kleine, dünne, dunkle Baguettes, große, dünne, helle Baguettes, kleine, dicke, dunkle Baguettes und und und.
Die junge Frau schaut mich erwartungsvoll an. Schaue zurück und überlege fieberhaft. Das überbordende Angebot überfordert mich vollkommen. Aber selbst wenn ich eine Entscheidung treffen könnte, würde mir das Vokabular fehlen, um der Verkäuferin diese zu vermitteln.
Die Sekunden verstreichen und werden zu Minuten. Die anderen Kunden in der immer größer werdenden Schlange hinter mir, werden allmählich unruhig. Die Verkäuferin schaut auch nicht mehr erwartungsfroh, sondern zunehmend ungeduldig. Schwitze inzwischen mehr als bei meiner Tour de Force auf dem Rad. Instinktiv schießt mein linker Arm nach vorne und zeigt auf die Baguettes, die mir am nächsten sind. Dazu sage ich mit leicht zitternder Stimme: „Le!“. Schiebe sicherheitshalber noch ein „La?“ und ein „Les?“ hinterher.
„Le, La, Les“. Das könnte eigentlich der Anfang eines französischen Schlagers sein. Mit einer eingängigen Melodie, die allerdings mehr überzeugen sollte als der Text, könnte ich damit reich werden. Dann engagiere ich einen Butler, der für mich Baguette kauft. Und für mich Fahrrad fährt.
Bezahle schnell die Weißbrot-Stangen und schwinge mich draußen aufs Rad. Noch voller Adrenalin ob der dramatischen Situation in der Bäckerei komme ich auf die glorreiche Idee, dass der gestrige steile Laufheimweg viel leichter mit dem Rad als joggend zu bewältigen ist. Ist er aber nicht, wie ich kurze Zeit später feststelle, als ich im ersten Gang in Superzeitlupe den Berg hinaufradle. Wobei das Wort ‚radeln‘ eine Dynamik impliziert, die der Szenerie nicht ganz gerecht wird.
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Beim Frühstück stellt sich leider heraus, dass die hart erkämpften Baguettes geschmacklich nicht gerade in der Champions League spielen. Eher so Kreisklasse, hinteres Mittelfeld. Die Konsistenz ist sehr luftig und der Geschmack ebenfalls. Sie schmecken nämlich nach nichts.
Glücklicherweise hat die Bonner Freundin ihre berüchtigten Pancakes mit Schokobutter und Ahornsirup gemacht. Und ja, das ist wirklich so lecker, wie es sich anhört. Eigentlich noch leckerer.
Obstsalat. Serviervorschlag.
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Nach dem Frühstück machen wir Sonnenbrand-Inventur. Die Kinder sind bis auf die bedauernswerte 4-Jährige weitestgehend verschont geblieben. Von den Erwachsenen kann man das nicht gerade behaupten. Man könnte meinen, wir wären alle noch nie im Sommerurlaub gewesen und hätten noch nie etwas von Sonnenmilch gehört.
Der Bonner Freund ist der Ansicht, unsere DNA stimme zu 98,73 Prozent mit der von Hummern überein. Sowohl unsere Hautfarbe als auch unsere intellektuelle Fähigkeit, sich vor zu heftiger Sonnenbestrahlung zu schützen, sprechen für diese These. Was den Sonnenschutz angeht, sind uns Hummer wahrscheinlich tendenziell überlegen. Sehr wahrscheinlich sogar.
Bei mir sind die hinteren Oberarme stark in Mitleidenschaft gezogen. Unnötigerweise und mit leicht besserwisserischem Ton hebt die Freundin hervor, dass das dortige Sonnenbrandmuster darauf hindeutet, dass ich mich zu nachlässig eingecremt habe. Außerdem findet sie, ich hätte mal besser den Ratschlag der Friseurin befolgt, die mir vor dem Urlaub die Haare geschnitten hat, und meine Geheimratsecken besser eingecremt. Die seien nämlich ganz schön rot. Kann das natürlich nicht auf mir sitzen lassen und entgegne, dass ich dafür wenigstens nicht so viele graue Haare wie sie hätte.
Vielleicht finden Sie, werte Leserinnen und Leser, dass sei eine kindische Antwort, die auch noch vollkommen am Thema vorbeiginge, aber in meinen Augen ist es eine vollkommen angemessene Replik. Schließlich habe ich ihr nicht die Zunge rausgestreckt und ein Furzgeräusch gemacht. DAS wäre nämlich wirklich kindisch gewesen. Gut, das Furzgeräusch möchte ich nicht vollkommen ausschließen. Aber es war nur ganz leise.
Den stärksten Sonnenbrand habe ich an meinen Ohren. Sie kennen vielleicht die dunkelroten Trikots des 1. FC Kaiserslautern. Im Vergleich zu meinen Ohren sind sie altrosa. Auf dem Rad erwiesen sich heute früh meine leuchtenden Ohren aber als recht hilfreich. So hielten die Autofahrer immer einen respektvollen Abstand zu mir. Außerdem eröffnen sie mir die Möglichkeit, eine Karriere als Baustellenampel einzuschlagen. Man muss halt einfach die positiven Seiten im Unglück sehen. Das beugt Magengeschwüren vor und lenkt einen von den brennenden Ohren ab.
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Obwohl wir weder eine Burka noch ein Ninja-Kostüm zum Schutze unserer Haut zur Verfügung haben, gehen wir heute wieder an den Strand. Schließlich weiß man in der Bretagne nie, wie lange das Wetter einem das erlaubt.
Mein eigenes amateurhaftes Eincremeverhalten disqualifiziert mich, in Vorbereitung des Strandbesuchs die Kinder einzucremen. Somit hat alles auch ein Gutes. Dafür muss ich allerdings Baguettes in großer Zahl für den Strandproviant schmieren. Das Leben ist nun mal nicht perfekt.
Bild von Strand-Baguettes. Nicht gut genug für Instagram.
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Nachdem wir alle essenziellen Strandutensilien gerichtet haben, fahren wir zum Strand. Kaum haben wir dort Strandmuschel, Strandsitze und Liegetücher ausgepackt und arrangiert, zieht sich der Himmel zu. Es beginnt zu nieseln. Der Wettergott scheint fürsorglich zu sein und will verhindern, dass wir weitere Sonnenbrände bekommen beziehungsweise dass sich die alten nicht verschlimmern.
Strandstuhl. Grün.
Wenn man aber lethargisch, apathisch, bräsig, träge und faul genug ist, kann man so etwas auch aussitzen. Wir sind lethargisch, apathisch, bräsig, träge und faul genug. Kurze Zeit später scheint die Sonne.
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In einem Fall von geistiger Umnachtung habe ich dem Sohn gestern Abend versprochen, heute am Strand mit ihm Fußball zu spielen. Es war die einzige Möglichkeit, nicht schon gestern Nachmittag mit ihm im Garten spielen zu müssen. Väter kennen diese Ausreden-Vertröstungs-Verzögerungstaktik.
Aber heute gibt es kein Entrinnen mehr. Nach einigen „Der Papa liest noch ein wenig.“, „Später.“, „Der Papa döst noch ein bisschen.“, „Ja, gleich.“ und „Der Papa muss sich noch etwas ausruhen.“ besteht der Sohn darauf, dass wir jetzt endlich spielen. Um den Bewegungsradius für mich im erträglichen Maß zu halten, schlage ich vor, wir bauen ein Tor auf und machen Elfmeterschießen. Der Sohn ist einverstanden und die Mädchen machen alle mit.
Der Ball des Anstoßes.
So kommt es für die anderen Strandbesucher zu dem einzigartigen Schauspiel, wie ich mit der Eleganz eines Rudolf Nurujews Bällen hinterher hechte, Schüsse mit für das Auge kaum wahrnehmbaren blitzschnellen Reflexen pariere und quasi im Spagat die Pille ein ums andere Mal mit dem Fuß von der Linie kratze.
Damit Sie eine bessere Vorstellung meiner geschmeidigen, katzengleichen Bewegungen bekommen, hier ein kleines Video von einem nepalesischen Festival im Chitwan-Nationalpark in Sauraha:
Das Elefanten-Festival findet jährlich zwischen Weihnachten und Silvester statt. Und nächstes Mal vielleicht auch mit mir. Als Torwart.
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Am späten Nachmittag kehren wir zum Ferienhaus zurück. Als erstes steht unter der Dusche der Kampf mit der Strandpanade an.
„Das Zeug muss so schmierig sein, dass der Sand überall kleben bleibt und beim Duschen nicht mehr abgeht.“ Sonnenmilch-Entwickler. Immer.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 22. Juli 2015
Nach dem Essen (Moules-frites) haben wir wieder nicht gekniffelt. Möglicherweise behaupten die Freundin und die Bonner Freunde, wir hätten doch gespielt und ich hätte verloren. Aber das stimmt nicht. Ganz ehrlich.
Im Anschluss an das Kniffeln, das nicht stattgefunden hat, präsentiert der wolkenlose Himmel eine sternklare Nacht. Es sind unzählige Sterne und sogar ein paar Sternschnuppen zu sehen. Situativ unangemessen und geographisch unpräzise singt in meinem Kopf Stefan Remmler: „Keine Sterne in Athen, stattdessen Schnaps in Sankt Kathrein“. Schlimm!
Esquibien. Nicht Athen. Trotzdem romantisch.