Der Start in den Tag ist eher ernüchternd. Nicht nur, dass ein frühmorgendlicher 10-Kilometer-Lauf zum Bäcker ansteht, sondern auch das Wetter lässt weiterhin schwer zu wünschen übrig. Die gestern von der Wetter-App euphorisch angekündigte Sonne mit lediglich leichter Bewölkung ist noch nicht in Esquibien angekommen. Eventuell handelt es sich um eine Touristen-App, die falsche Wettervorhersagen vorspielt, um tumbe Deutsche bei Laune zu halten.
Esquibien. Das Wetter ist kaputt. Oder die Wetter-App.
Wie dem auch sei, es ist auch heute sehr diesig (Kategorie ‚Erbsensuppe‘). Befürchte gleich wird hier das Set für eine Verfilmung des Edgar-Wallace-Klassikers ‚Im Nebel siehst du keinen Feind‘ aufgebaut. Das Wetter wäre auf jeden Fall perfekt dafür.
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Der Bonner Freund und ich dehnen uns ausgiebig auf der Terrasse. Da es irgendwann kein Körperteil mehr gibt, das noch nicht gedehnt wurde, können wir den Start unseres heutigen Laufs nicht länger hinauszuzögern. Wir traben mäßig gut gelaunt und wenig enthusiastisch los. Erst als wir zwei, drei Kilometer hinter uns gebracht haben, laufen wir allmählich geschmeidiger und fühlen uns besser. Für die einen* (*uns) laufen wir leichtfüßig wie der Elbe Legolas aus ‚Herr der Ringe‘ über den Bootssteg, für die anderen** (**alle anderen) sehen wir aus wie Teilnehmer von ‚The Biggest Loser‘, die den Steg bedrohlich zum Wanken bringen.
Nachdem wir knapp sechs Kilometer hinter uns gebracht haben, erreichen wir den Bäcker, wo wir uns gestern mit dem bretonischen Hüftgold eingedeckt hatten. Die Schlange reicht vom Laden bis auf die Straße, aber die anderen Kunden lassen uns vor. Wohl weniger aus Höflichkeit, sondern um so schnell wie möglich dem von unseren Funktionshemden verströmten Wasserbüffel-Geruch zu entkommen. Wir kaufen Baguettes, Milchbrötchen (‚Petit pain au lait‘) und eine köstliches Graubrot, dessen Namen wir nicht aussprechen können (also noch weniger als ‚Petit pain au lait‘). Überlege kurz, ob wir uns für die restliche Strecke eine Schnitte von dem gestrigen Schokoladen-Kouign Amman gönnen sollten, um einem möglichen Hungerast vorzubeugen. Haben aber nicht mehr genügend Kleingeld, um dieses ernährungs- und sportwissenschaftlich revolutionäres Vorhaben in die Tat umzusetzen. Eigentlich schade!
Bäcker. Authentisch.
Dann machen wir uns auf den Heimweg. Weil wir so unglaublich klug sind, beschließen wir, nicht den gestrigen hügeligen Weg zu wählen, bei dem es andauern bergauf und bergab ging, sondern Audierne gen Norden zu verlassen und dann über ein paar kleine Landstraßen das Feriendomizil zu erreichen. Dieser Weg ist tatsächlich weniger hügelig. Stattdessen steigt der Weg permanent und stetig an. Das liegt daran, dass Esquibien ungefähr 1.500 Meter höher liegt als Audierne.
Wenn Sie im Internet recherchieren, wird der Höhenunterschied möglicherweise lediglich mit ungefähr 60 Metern angegeben. Dabei handelt es sich aber um veraltete inkorrekte Angaben. Der Bonner Freund und ich werden ihnen das aus erster Hand bestätigen können, da wir diese Höhenmeter erfolgreich absolviert haben. Erstaunlicherweise und auch enttäuschenderweise werden wir am Ferienhaus nicht von einer Spalier stehenden, jubelnden Menge empfangen, die unsere erneute sportliche Höchstleistung angemessen würdigt.
Laufschuhe. Erschöpft.
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Am Frühstückstisch ist die Stimmung wegen der ernüchternden Sonnenscheindauer eher so semi. Ob das heutige schlechte Wetter am Ende darauf zurückzuführen ist, dass wir gestern Abend beim Grillen den letzten Gemüse-Spieß nicht gegessen haben? Wie fahrlässig von uns. Insbesondere, da er in der Gesamtkalorienbilanz des gestrigen Tages mit dem reichhaltigen Kuchen und dem zahlreichen Grillgut zu vernachlässigen gewesen wäre.
Das darf uns nicht noch einmal passieren. Halte die Kinder an, bei Baguette und Milchbrötchen zuzuschlagen und ja nichts von Wurst, Käse, Marmelade und Schoko-Creme übrigzulassen. Gehe mit gutem Beispiel voran, indem ich mein Baguette fingerdick mit Nuss-Nougat-Creme beschmiere.
Die Strategie scheint tatsächlich aufzugehen, denn nach dem Frühstück passiert etwas Unglaubliches: am Himmel erscheint das erste Mal seit drei Tagen etwas helles Rundes! Die Eltern rufen die Kinder auf der Terrasse zusammen und zeigen ihnen die Sonne. Der allgemeine Jubel ist riesengroß. Endlich können wir an den Strand gehen.
Da wir solange auf den ersten Strandbesuch warten mussten, sind wir mit der Vorbereitung latent überfordert. An was muss man dabei eigentlich alles denken?
- Sich und die Kinder mit Sonnenmilch eincremen: wichtig!
- Strandtücher, -klamotten und –muschel richten: wichtig!
- Lektüre und Sandspielzeug einpacken: sehr wichtig!
- Kalte Getränke in die Kühlbox verfrachten: sehr wichtig!
- Ausreichend Proviant vorbereiten: extrem wichtig!
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Dann geht es endlich los. Auf dem Parkplatz am Strand versuchen wir, möglichst schräg einzuparken. Man möchte ja nicht gleich als deutscher Tourist erkannt werden, nur weil man das Auto korrekt in die Parklücke gestellt hat. Danach bauen wir in Nullkommanix unsere Strandmuscheln aus und breiten unsere Handtücher aus. Nun kann die Erholung beginnen.
Strandmuschel-Lager. Unaufgeräumt.
Der Strand ist fantastisch. Der Sand ist ganz feinkörnig, es ist insgesamt sehr sauber, nicht zu überlaufen und man hat genügend Abstand zu den anderen Strandbesuchern. Außerdem ist der Einstieg ins Meer recht flach und der Wellengang nicht sehr stark. Somit ist der Strand besonders für Familien mit kleinen Kindern hervorragend geeignet.
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Liege schläfrig mit geschlossenen Augen neben der Freundin, die Sonne scheint und die Wellen rauschen sanft im Hintergrund. So habe sie sich das vorgestellt, sagt die Freundin. Ich mir auch, entgegne ich, nur ohne das Reden. Finde das eigentlich ganz lustig. Die Freundin weniger.
Ansonsten ist der Tag am Meer wahnsinnig entspannend. Man versucht zu dösen, die Kinder stören einen dabei. Man geht mit den Füßen ins Meer und trocknet sich ab. Die Kinder gehen auch ins Meer und man trocknet die Kinder ab. Man backt Sandkuchen und wischt danach Sand von allen Extremitäten. Man versucht zu lesen, die Kinder stören einen dabei. Die Kinder rennen über die Handtücher, man schüttelt Sand aus den Handtüchern. Man isst den Proviant und trinkt die Getränke. Die Kinder springen in die Sandmuschel, man schüttet den Sand aus der Strandmuschel. Man schimpft mit den Kindern, weil sie alles vollsanden. Man hält die Füße wieder ins Meer, die Kinder gehen auch ins Meer und spritzen einen nass. Man trocknet sich und die Kinder ab. Man cremt die Kinder wieder ein und vergisst, sich selbst einzucremen. Man sammelt Muscheln und Steine. Man erlaubt den Kindern Eis zu kaufen und schimpft mit den Kindern, weil sie alles mit Eis vollkleckern. Man versucht noch ein wenig zu dösen, die Kinder stören einen wieder dabei. Zwischendurch schüttelt man wieder Sand von irgendwas. Ein ganz normaler Familientag am Strand halt!
Tagesbeschäftigung: Sand-Eis-Produktion.
Habe nach ungefähr vier Stunden genug Sonne getankt und schlage vor, dass wir zusammenpacken. Die Freundin fragt, ob ich nicht länger den Bauch einziehen könne. Eine Aussage, die sowohl für ihre mangelnde Sozialkompetenz als auch ihre scharfe Beobachtungsgabe spricht. Würdige ihre infame Äußerung nicht mit einer Antwort. In erster Linie, weil ich etwas kurzatmig bin aufgrund des andauernden Baucheinziehens.
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Nachdem alles wieder verpackt ist, gehen die Kinder zurück zum Ferienhaus, die Erwachsenen fahren zum Supermarkt, um fürs Abendessen einzukaufen. Möchte als Überraschung für die Kinder die furzenden Spielzeugschweine kaufen, die sie vorgestern dort entdeckt haben. Kann sie in dem riesigen Supermarkt jedoch nirgends finden. Aber wie fragt man in einer fremden Sprache nach furzenden Schweinen? Und wie vermeidet man es, sich dabei ein Hausverbot einzuhandeln? Die Mission ‚Furzende Schweine‘ muss vorerst verschoben werden.
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Als wir vom Einkaufen zurückkehren, gehe ich unter die Dusche. Würde gerne schreiben, dass ich es einmal geschafft habe, mir am ersten Strandtag im Urlaub keinen Sonnenbrand zugezogen zu haben. Noch lieber würde ich schreiben, dass ich mich heute wie ein Davidoff-Cool-Water-Model mit Sixpack und ausdefiniertem Bizeps im Sand geräkelt habe. Beides entspräche leider nicht der Wahrheit.
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Nach dem Abendessen (Gebackener Fisch mit warmem Kartoffelsalat) fällt das obligatorische Kniffeln aus. Der Bonner Freund ist etwas desillusioniert, da er von den bisherigen zwölf Runden keine einzige gewinnen konnte.
Für morgen sagt die Wetter-App wieder viel Sonne voraus. Das hört sich nach einem weiteren Strandtag an. Werde noch mehr Sandkuchen backen. Aufregender wird’s nicht. Toll!
Habe heute am Strand 32 Sandkuchen gebacken. Damit war ich produktiver als an den meisten Arbeitstagen im Büro.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 21. Juli 2015
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