Bretagne 2015 – 13. Tag: Von radelnden Senioren, kalten Meeren und unschönem Kniffeln

Trete morgens auf die Terrasse und werde von der Sonne, der klaren Luft und dem mit Schleierwolken durchzogenen Himmel begrüßt. Grüße zurück. Ein wahrhaft würdiges Wetter für meine Abschieds-Berg-Radtour zum Bäcker.

Esquibien. Napoleonisches Kaiserwetter.

Esquibien. Napoleonisches Kaiserwetter.

Im Wissen, das letzte Mal die Hügel, Berge und Anstiege zwischen Esquibien und Audierne alleine mit der Muskelkraft meiner Beine bezwingen zu müssen, radle ich übermütig pfeifend los. Meine persönliche Tour d’Honneur, wie sie sonst nur Radprofis auf der letzten Etappe der Tour de France erleben. Die trinken allerdings sogar zum Start ein Gläschen Champagner. Bei mir fehlt nicht nur der französische Schaumwein, sondern auch die Abwesenheit jubelnder Menschenmassen am Straßenrand schmälert meint Hochgefühl ein wenig.

Lasse mich aber nicht entmutigen und winke den vereinzelten frühen Spaziergängern fröhlich zu. Diese sind etwas irritiert und ihre Beifallskundgebungen könnten etwas enthusiastischer ausfallen. Also, wenn sie überhaupt reagieren würden, wäre das schon ganz schön.

Überlege, während ich einen der Anstiege hochschnaufe, ob ich mit dem Radfahren zwischen Esquibien und Audierne nicht meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Das örtliche Fremdenverkehrsamt könnte mich als zauseliges Dorf-Maskottchen engagieren. Durch eine geschickte Vermarktung kämen dann irgendwann Touristen aus ganz Europa, ach was, aus der ganzen Welt, um einen Blick auf den radelnden Beluga zu werfen. Das wäre schön. Allerdings auch etwas anstrengend, wie mir der Schweiß, der mir brennend in die Augen fließt, zu verstehen gibt.

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Beim Bäcker erwartet mich eine lange Schlange. Diese verursacht ein deutsches Touristen-Pärchen, das verzweifelt versucht, seine Baguettes und Croissants zu bestellen. Schüttele in einer Mischung aus Abscheu, Verachtung und einem Hauch Mitleid den Kopf. Wie kann man nur nach Frankreich reisen und ist nicht in der Lage, ein paar simple Backwaren zu ordern. Einfach nur peinlich!

Bäckerei. Von Broten und Brötchen.

Bäckerei. Von Broten und Brötchen.

Da bin ich schon an der Reihe. Bestelle lässig und extra laut drei Baguettes, damit die deutschen Französischanalphabeten, die gerade dabei sind den Laden zu verlassen, etwas lernen können. Dirigiere danach die Verkäuferin mit einer Reihe von „No!“- und „Oui!“-Ausrufen und meinem ausgestreckten Zeigefingern zu den Milchbrötchen in der Auslage, von denen ich mir sechs Stück erbitte. Nie hat diese Bäckerei souveräneres Brötchenkaufen eines Nicht-Franzosen gesehen.

Ordere noch zwei Laibe Landbrot und bitte die junge Verkäuferin, mir diese zu schneiden: „Couper, s’il vous plait.“ Damit keine Missverständnisse entstehen und ich versehentliche eine rituelle Beschneidung verlange, mache ich mit meiner rechten ausgestreckten Hand dynamische Sägebewegungen. Die Verkäuferin versteht mein Ansinnen und packt das Brot in eine große Brotschneidemaschine. Das mit dem Brotschneiden läuft ja wie geschnitten Brot, denke ich und kichere ob meines sensationellen Wortspiels, für das Heinz Erhardt im Grab vor Neid erblasst, innerlich vor mich hin. Anscheinend habe ich jedoch laut gelacht, denn die anderen Kunden schauen mich an, als hätte ich mir gerade die Kleider vom Leib gerissen und würde unter schamanischen Gesängen durch den Laden tanzen. Schaue kurz an mir herunter und bin erleichtert, noch vollständig bekleidet zu sein. Bezahle schnell und mache mich auf den Heimweg.

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Bin von meiner Performance beim Bäcker immer noch recht angetan und auch das Radfahren geht heute doch verhältnismäßig gut. Diese Gedanken schwirren mir durch den Kopf, als mich der Fahrrad-Gott unsanft auf den noch unsanfteren Boden der am unsanftesten Tatsachen zurückholt. Denn am letzten mörderischen Anstieg hoch zum Ferienhaus überholt mich eine Gruppe rüstiger Rentner auf hochmodernen Rennrädern so zügig wie einst Lance Armstrong den Schwarzwälder-Kirschtorten-gemästeten Jan Ullrich am Col du Tourmalet.

Einige der radelnden Renter rufen mir ermunternde Worte zu. Bilde mir ein, dass sie dabei höhnisch grinsen. Diese verdammte Best-Ager-Generation, die noch bis ins hohe Alter sportliche Höchstleistungen verbringen. Überlege kurz, dem letzten Fahrer der Gero-Radler eines meiner Baguettes in die Speichen seines Hinterrads zu stecken. Und wenn er dann am Boden liegt, schaue ich in meinem Handy nach, was auf Französisch heißt „Hochmut kommt vor dem Fall“ und schleudere ihm diesen Satz ins Gesicht.

Nehme zum Wohl der deutsch-französischen Völkerverständigung aber Abstand von der Idee. Außerdem waren die Senioren so schnell unterwegs, dass ich die Weißbrot-Stange nicht schnell genug aus meinem Rucksack ziehen konnte. Verdammt!

Erreiche schließlich erschöpft und demütig das Ferienhaus.

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Das heutige Frühstück ist heute unser letztes und kann, da es der Wetter-Gott gut mit uns meint, draußen auf der Terrasse stattfinden. Das Frühstücksmotto lautet: „Clean Sweep – Alles muss raus“ – die restlichen Lebensmittel müssen verbraucht werden.

Frühstückstisch. Gedeckt.

Frühstückstisch. Gedeckt.

Es gibt Rührei, gebratenen Schinken, viel Salami, sehr viel Käse, wenig Marmelade, mittelmäßig viel Honig und – schon seit Tagen – keine Schokocreme mehr (zur gleichermaßen großen Enttäuschung bei Kindern und Eltern).

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Nach dem opulenten cholesterintreibenden Restefrühstück geht es ein letztes Mal zum Strand. Der Sohn gönnt uns fünfzehn Minuten zum Ausruhen, dann möchte er Fußball, Beach-Tennis und Boccia spielen – genau in dieser Reihenfolge.

Spiele also mit dem Sohn und der Tochter Fußball. Da der rippenversehrte Vater leichte Defizite in punkto Dynamik, Spritzigkeit und fußballerischem Talent aufweist (Wobei letzteres eigentlich nichts mit der Rippe zu tun hat, aber das tut hier eigentlich nichts zur Sache.), einigen wir uns schnell darauf, ein Elfmeterschießen zu veranstalten. Sohn gegen Tochter und ich im Tor. Allerdings schießen die beiden Kinder als wären sie in einem englischen Fußballinternat ausgebildet worden. Reihenweise segeln die Schüsse am Tor vorbei oder direkt in meine Arme. Nach 30 Minuten steht es 2:2 und das Elfmeterschießen endet unentschieden.

Nach einer kurzen ebenfalls unerquicklichen Partie Beach-Tennis gehen wir zum Boccia über. Die Freundin schließt sich uns an und gewinnt schließlich mit 5 Siegen vor der Tochter und mir (jeweils 3 Siege) und dem Sohn (1 Sieg). Möchte für Protokoll allerdings anmerken, dass ich zwei Drittel des Turniers mit zwei ungefüllten Kugeln bestreiten musste, die so leicht waren, dass ich quasi auch ohne Kugeln hätte spielen können.

Boccia. Sinnbild des Scheiterns.

Boccia. Sinnbild des Scheiterns.

Als guter und fairer Verlierer (beziehungsweise geteilter zweiter Sieger) bestehe ich aber nicht darauf, dass die Boccia-Geschichtsbücher umgeschrieben werden müssten, hätte ich mit wettbewerbskonformem Gerät spielen können.

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Nach dem Bocciaspielen wollen die Kinder und die Freundin ins Wasser. Werde mit dem Argument, ich hätte in den letzten zwei Wochen noch gar nicht im Meer gebadet, genötigt, mich ihnen anzuschließen. Beschränke meine Rolle zunächst auf die eines schlecht gelaunten Bademeisters, der am Wasserrand die Szenerie kritisch beäugt.

Gehe dann mit den Füßen ins Wasser. Überlege, während ich mit einem Herzinfarkt kämpfe, ob es eine naturwissenschaftliche Erklärung dafür gibt, dass die Temperatur des Wassers deutlich unterhalb des Gefrierpunkts liegt, es aber dennoch den flüssigen Aggregatszustand beibehalten hat. Ist mir aber auch egal, denn ich entscheide für mich, dass ich keinen Millimeter weiter ins Wasser gehen werde.

Meer. Sehr kalt.

Meer. Sehr kalt.

Die Kinder schwimmen derweil bereits fröhlich und haben eine andere Vorstellung über meine Freizeitgestaltung in den nächsten Minuten. Immer energischer und fast schon unangemessen provozierend fordern sie mich auf, richtig ins Wasser zu kommen. Die Freundin, die immerhin schon kurz bis zu den Schultern im Wasser war, vernachlässigt ihre mütterlichen Erziehungspflichten aufs Gröbste und untersagt unseren Kindern nicht, laut zu klatschen und quer über den Strand zu brüllen: „Der Papa muss ins Wasser! Der Papa muss ins Wasser!“. Stattdessen beginnt sie sogar selbst rhythmisch in die Hände zu klatschen.

Nun gut, da ich meine Würde in den letzten vierzehn Tagen ohnehin irgendwo auf den Lauf- und Radstrecken zwischen Esquibien und Audierne verloren habe, gebe ich dem Drängen der Brut nach. Entledige mich meines T-Shirts und meiner Brille und beginne mit der Mission „Wassereinstieg“ (demnächst auch als Tier-Dokumentation auf N24 zu sehen).

Millimeter für Millimeter gehe ich weiter ins Meer. Derweil üben Tochter und Sohn enthusiastisch kraulen. Dabei produzieren sie Fontänen wie isländische Geysire. Väterlich-gütig aber mit der Strenge eines Navy-Seal-Ausbilders befehle ich den beiden unter Androhung von Hausarrest, Taschengeldentzug und lebenslangem Süßigkeitenverbot dies unverzüglich zu unterlassen.

Ändere inzwischen meine Wassereinstiegstaktik und bleibe einfach stehen. Die nahende Flut wird die Meeresoberfläche anheben, so dass ich mich ganz langsam und organschonend and die Wassertemperaturen gewöhnen kann, ohne einen spontanen Kältetod erleiden zu müssen.

Nach einer dreiviertel Stunde steht das Wasser bei mir auf Brusthöhe und ich finde, dass muss für heute beziehungsweise für diesen Urlaub beziehungsweise für diesen Sommer beziehungsweise für dieses Jahr und am besten dieses Leben reichen. Danach gibt es allerdings heftige familieninterne Diskussionen darüber, zum einen ob das Wasser bei mir überhaupt brusthoch war, und zum anderen, sollte das der Fall gewesen sein, ob dies denn tatsächlich als Schwimmen zählt. Bejahe beides, kann aber keinen mehrheitsfähigen Konsens diesbezüglich herstellen. Mache meine Minderheitenrechte geltend und wir einigen uns darauf, uns nicht einigen zu können. Damit ist das Thema bis zum nächsten Urlaub am Meer vertagt.

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Nach dem Strandtag gibt es einen letzten Besuch im Supermarkt, wo unter anderem die Mission ‚Furzendes Schwein‘ erfolgreich durchgeführt wird.

Furzendes Schwein. Nun in unserem Besitz.

Furzendes Schwein. Nun in unserem Besitz.

Anschließend steht das Packen an. Meine vornehmliche Aufgabe besteht darin, das Auto zu säubern, in dem sich nach den letzten beiden Wochen mehr Sand als am Strand von Esquibien befindet.

Zum Abschluss gibt der Bonner Freund noch einmal den Grillmaster de Luxe. Aufgrund der besonderen Lebensmittelsituation müssen die Wurst- und Fleischwaren mit wenig Ketchup, mittelmäßig viel Grill-Sauce und viel Senf gegessen werden. Unter Verweis auf die frühe Abreisezeit am nächsten Morgen (4 Uhr) werden die protestierenden Kinder nach dem Abendessen ins Bett geschickt.

Für die Eltern stehen die letzten Kniffelrunden des Urlaubs an. Damit Sie sehen, dass Kniffeln kein einfacher Urlaubsspaß ist, präsentiere ich das folgende – für mich ernüchternden – Ergebnis:

  • Die Bonner Freundin gewinnt die Gesamtwertung mit fast 400 Punkten Vorsprung. Außerdem hat sie die meisten Kniffel geworfen (25 an der Zahl).
  • Die Freundin belegt den zweiten Platz. Sie hat mit 329 Punkten die höchste Punktzahl in einem Spiel erzielt.
  • Der Bonner Freund wird Dritter. Er hat (gemeinsam mit der Freundin) die meisten Runden gewonnen (15 Mal).
  • Mir bleibt der unehrenwerte letzte Platz. Darüber hinaus habe ich mit 132 Punkten den absoluten Low-Score in einem Spiel vorzuweisen.
Kniffel. Zu selten für mich.

Kniffel. Zu selten für mich.

Meinen Vorschlag, im nächsten Urlaub nur noch Halma zu spielen, lehnen die anderen kategorisch ab.

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Dafür scheint zum Abschied wieder der Mond über Esquibien. Um es mit Mark Foster zu sagen: Au Revoir!

Mond. Über Esquibien.

Mond. Über Esquibien.

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Alle Artikel der „Bretagne 2015″-Serie finden Sie hier.


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