Wache morgens auf, blinzle mit den Augen und da steht sie nun und lässt sich nicht länger verleugnen: die 40. Sie winkt mir aus der Ecke des Schlafzimmers freundlich zu. Winke zurück. Reibe meine Augen und als ich sie öffne, ist sie verschwunden. Scheint ein wenig schüchtern zu sein, die 40.
40! Was, jetzt schon?
Gehe erstmal ins Bad. Das Spiegelbild scheint den Eintritt ins fünfte Lebensjahrzehnt weniger gelassen zu nehmen (was bei der Formulierung ‚Eintritt ins fünfte Lebensjahrzehnt‘ auch mehr als verständlich ist). Auf dem Kopf trägt es eine Baseball-Kappe (verkehrt herum), im Gesicht eine dunkle Sonnenbrille und um den Hals eine schwere Silberkette, so dick wie ein Kinderarm. Es hält mir die Faust zum Ghetto-Gruß hin. Berühre zögerlich mit meiner Faust den Spiegel.
„Alter, yo, was geht?“, ruft das Spiegelbild. „Alles ROFL und LOL?“ Das Spiegelbild scheint mit der korrekten Anwendung des Jugend-Slangs nicht ganz vertraut zu sein. Aber woher auch, ich kenne mich da ja ebenfalls nicht aus.
Das Spiegelbild ist richtig in Fahrt: „Komm‘, Digger, lass‘ uns einfach abhauen. Scheiß‘ auf die Familie, scheiß‘ auf die Freunde. Nur du und ich, einen Trip nach Nizza.“ Bei den letzten Worten wedelt das Spiegelbild mit den Schlüsseln unseres Mietwagens.
Erkläre dem Spiegelbild, dass das nicht geht und ich nicht einfach abhauen kann. Dann dächten alle anderen, ich hätte ein Problem mit meinem 40. Geburtstag. Das ist natürlich totaler Quatsch. Das Spiegelbild ist beleidigt.
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Stehe immer noch im Bad und denke über die 40 nach. Wie die Zeit verfliegt. Kann mich noch an meinen 30. erinnern, als sei es erst zehn Jahre her. Habe damals gemeinsam mit der Freundin eine Party gefeiert. Und weil wir so wahnsinnig originell sind, haben wir zu unserem 60. eingeladen. Ihr 30. + Mein 30. = Unser 60. Mördergag, oder? Erstaunlich, dass überhaupt jemand gekommen ist.
In diesem Zusammenhang ist es für Sie möglicherweise eine interessante Information, dass die Freundin wesentlich älter ist als ich (Gut, dass interessiert Sie wahrscheinlich nicht die Bohne, aber ich denke, man kann dies gar nicht oft genug erwähnen.). Ich bin ziemlich genau vier Monate jünger als sie. Ich bevorzuge die Formulierung ‚120 Tage jünger‘. Das klingt nämlich nach mehr.
Aber eigentlich ist das auch egal. Ich habe ohnehin kein Problem mit dem Älterwerden und auch nicht mit der ominösen 40. Alter ist ohnehin nur eine soziale Konstruktion von Wirklichkeit. Hätten sich die Menschen dafür entschieden, dass ein Jahr 16 statt 12 Monate hat, wäre ich jetzt erst 30. Das entspräche ohnehin viel eher meiner körperlichen Fitness, meinem geistigen Esprit und meiner nahezu faltenfreien Haut. Irgendwo bricht gerade jemand in schallendes Gelächter aus. Das Spiegelbild? Die Stimmen in meinem Kopf? Oder etwa Sie?
Alter und Jahre sind aber nun einmal wirklich relativ. Nehmen Sie beispielsweise die islamische Zeitrechnung. Die beginnt erst 622 n. Chr. Und das Jahr dauert zwölf Mondmonate, was ungefähr 354 Tagen entspricht. Daher ist es im Islam jetzt erst 1436. Das heißt, als Muslim wäre ich noch gar nicht geboren. Was aber auch irgendwie schade wäre.
Sie können meiner Argumentation nicht ganz folgen? Das macht nichts, ich auch nicht. Möglicherweise sollte ich auf meinem Urlaubsspeiseplan den Anteil Vitamin-A-haltiger Lebensmittel erhöhen. Das ist gut fürs Denkvermögen.
Langsam sollte ich vielleicht doch mal das Bad verlassen. Sonst machen sich vielleicht die anderen Sorgen, ich könnte auf den glatten Fliesen ausgerutscht sein und habe mir den Oberschenkelhals gebrochen. Ist im Alter ja eine der häufigsten Verletzungen. Und dann liegste im Krankenhaus und verlässt es erst wieder mit den Füßen zuerst.
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Als ich endlich aus dem Bad komme, fallen mir Tochter und Sohn um den Hals und gratulieren mir zum Geburtstag. Laut dem Sohn bin ich der beste Geburtstagspapa der Welt. Er findet es auch gar nicht schlimm, dass ich alt werde. (Altersmäßig hält er mich wahrscheinlich jetzt schon für Morla, die Schildkröte, aus ‚Die unendliche Geschichte‘.). Das ist irgendwie tröstlich. Werde ihn daran erinnern, wenn er mich später ins Altersheim abschieben will.
Die Tochter möchte wissen, ob ich mich über meinen Geburtstag freue. Erkläre ihr, dass mir das nicht so wichtig sei und ein Geburtstag doch ein Tag wie jeder andere sei. Die Tochter schaut mich fassungslos an, als hätte ich gerade verkündet, meine liebste Freizeitbeschäftigung bestünde darin, süße Hundewelpen zu ertränken.
Sie wirft ein, Geburtstage seien spitze, weil man da Geschenke bekomme. Entgegne, ich hätte doch sie, ihren Bruder und die Mama und das sei Geschenk genug (Ein Satz, der so schlimm ist, dass er es noch nicht mal in eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung schafft.). Jetzt ist die Tochter endgültig davon überzeugt, dass man mit 40 ein Alter erreicht hat, bei dem Erwachsene ihren Verstand verlieren. Sie findet wahrscheinlich außerdem, dass ein neues, topmodernes Smartphone geschenkemäßig durchaus auf einer Stufe mit dem Bruder und den Eltern steht (womöglich sogar eine Stufe darüber).
Der Sohn schüttelt ebenfalls verständnislos den Kopf. Geburtstage seien immer spitze, denn da gäbe es Kuchen, belehrt er mich. Und da hat er natürlich Recht.
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Nun darf ich zum Frühstückstisch treten, der dem Anlass entsprechend festlich geschmückt ist. Eventuell ein paar 40en zu viel in der Deko, aber sonst wirklich wunderhübsch.
Geburtstagstisch. Licht und Schatten.
Einen Geburtstagskuchen gibt es auch. Eventuell wird von allen ein paar Mal zu oft gesagt, dass da 40 Kerzen auf dem Kuchen seien und dass sei ganz schön viel. Brauche fünf Anläufe, um alle Kerzen auszupusten und muss mir eventuell ein paar Mal zu oft anhören, dass das Lungenvolumen im Alter halt nachlässt (wahrscheinlich kann das der seit Jahrzehnten ketterauchende Helmut Schmidt sogar besser).
Kuchen. Mit Kerzen. Zu vielen.
Anschließend werde ich mit Geschenken überhäuft. Eine 40er-Geschenkebox ist dabei. Mit einer Notfall-Clownsnase (sehr wichtig!) und einer Anti-Falten-Créme, Vitalisierungsmaske und Koffein-Shampoo zur Kräftigung der Haare (Weiß leider nicht, was ich mit diesen Dingen anfangen soll, habe damit aber schon ein Geburtstagsgeschenk für meinen älteren Bruder.). Bekomme außerdem unter anderem noch Bücher (nein, nicht ‚Der alte Mann und das Meer‘ von Hemingway) und DVDs (nein, nicht die Verfilmung von ‚Der 100-Jährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand‘) sowie von den Kindern ein großes rotes Notizbuch, damit ich weitere Blog-Geschichten schreiben kann.
Geburtstagsgeschenke. Meins, meins, meins.
Zum Frühstück gibt es neben Baguette und Milchbrötchen noch Käsekuchen und bretonischen Butterkuchen. Das Tagesmotto ‚4.000 Kalorien für 40 Jahre‘ ist in greifbarer Nähe.
Käsekuchen. Von WeightWatchers gehasst.
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Da sich das Wetter geburtstaglich sonnig präsentiert, steht nach dem Frühstück ein ruhiger Strandtag an. Man will es im Alter ja nicht übertreiben (jetzt fange ich auch schon damit an!).
Der Sohn hat allerdings andere Vorstellungen von einem faulen Nachmittag. Er nötigt mich, Beach-Tennis mit ihm zu spielen. Willige schließlich ein, um zu zeigen, dass ich es auch mit 40 noch voll drauf habe. Aufgrund meiner weiterhin leicht lädierten Rippe, sieht es für Außenstehende möglicherweise aus, als fehle es mir ein wenig an Dynamik. Dafür bewege ich mich so würdevoll langsam wie ein Mitglied des englischen Königshauses (Vielleicht nicht gerade wie Prinz Harry, wenn er besoffen durch die Londoner Clubs torkelt, sondern eher wie die Queen persönlich, wenn sie ihrem Volk huldvoll zuwinkt.).
Für den Sohn hat eine sportliche Betätigung aber nur einen Sinn, wenn sie kompetitiven Charakter hat. Daher müssen wir zählen, wie häufig wir den Ball hin und her schlagen. Nach kurzer Zeit schaffen wir es 40 Mal. Der Sohn ist begeistert und brüllt quer über den Strand: „40! Genauso alt bist du!“ Mein sorgsames am Strand gepflegtes Image als vitaler Anfang-Dreißiger ist damit nur noch schwer aufrechtzuerhalten. Zumindest unter den deutschsprachigen Strandbesuchern.
Etwas später schaffen wir sogar 78 Berührungen. „Vielleicht wirst du ja auch mal so alt!“, freut sich der Sohn. Es macht mich sehr glücklich, dass der Sohn mein gesundheitliches Potenzial so positiv einschätzt.
Beach-Tennis: 78 Mal berührt. 78 Mal ist nichts passiert. Oder so ähnlich.
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Nach einem insgesamt geruhsamen Strandnachmittag springt der Bonner Freund mit den Kindern von dem Bootsteg in der Nähe von Audierne ins Meer. Beobachte die Unternehmung aus sicherer Distanz. Mit 40 muss man ja nicht unbedingt aus 2,50 Meter Höhe ins eiskalte Wasser hüpfen. Schon gar nicht am eigenen Geburtstag. Am Ende erleidet man einen Herzinfarkt und segnet an seinem Wiegenfeste das Zeitliche. Für den Steinmetz, der den Grabstein herstellt, mag dies zwar vorteilhaft sein, weil er dann datumsmäßig nicht überfordert ist, aber für den Rest der Familie und die Freunde wäre es eher ein Downer. Ziehe mich daher auf die Position des nicht-teilnehmenden Beobachters zurück.
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Nach der Rückkehr vom Strand trinken wir Kaffee. Es gibt noch mehr Käse- und Butterkuchen und dazu eine Auswahl köstlicher kleiner Küchlein.
Bretonische Obstspieße. Serviervorschlag.
Das Kaffeetrinken geht nahtlos in die Vorbereitung des Abendessens über. Der Bonner Freund verarbeitet zwei Kilogramm Hackfleisch zu Hamburgern, die er auf dem Grill zubereitet. Sollte das Tagesziel darin bestehen, am 40. Geburtstag an einer spontanen Herzverfettung zu sterben, kommen wir dem ziemlich nahe. Der Steinmetz reibt sich erfreut die Hände.
Birthday Burger. In the making.
Kniffelmäßig könnte man annehmen, am Geburtstag mit einer großen Anzahl von Kniffeln beschenkt zu werden. Dies ist mitnichten der Fall. Verliere an diesem Abend vier von sechs Spielen. Vielen Dank!
Männer, die aufs Meer starren. Beide Ü40. Mängelexemplare mit Gebrauchsspuren kostengünstig abzugeben.
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