Stehe auf der Terrasse und genieße den wunderschönen Morgen mit viel Sonne und einigen wenigen Schleierwolken. Freue mich fast schon auf die obligatorische Fahrt mit dem Rad zum Bäcker. Nicht wirklich, aber ich versuche, mir die bevorstehenden zermürbenden Bergritte durch Selbstsuggestion schön zu reden.
Morgenstund. Hat Gold im Mund (nicht auf dem Bild zu sehen).
In Audierne angekommen erwartet mich eine ‚French Challenge‘ für Fortgeschrittene. Stelle nämlich fest, dass der Stammbäcker geschlossen hat, was für einen Menschen, der sich gerne in geordneten Bahnen bewegt, eine sehr unwillkommene Störung der Alltagsroutinen bedeutet. Außerdem ist weit und breit kein anderer Bäckerladen zu sehen.
Spreche daher todesmutig einen Mann an, der mir mit drei Baguettes unter dem Arm entgegenkommt: „Bon jour, monsieur. S’il vous plaît, ou est la boulangerie?“ Mir stockt der Atem. Ein französischer Satz! Mit den korrekten Worten! Und mit untadeliger Grammatik!
Es ist eine Sensation globalen Ausmaßes! Das Geschehen um mich herum verlangsamt sich, alles ist mit Weichzeichner bearbeitet und im Hintergrund spielt ein Streichquartett die „Ode an die Freude!“
Doch plötzlich geraten die zeitlupenhaften Bewegungen der Leute ins Stocken und die Musik stoppt abrupt mit einem hässlichen Kratzen. Habe nämlich vergessen, eines bei meiner Konversationsanbahnung zu antizipieren: Der angesprochene Herr gibt mir eine Antwort. Eine französische. Mit ganz vielen Worten. Und ich verstehe nichts!
Versuche dennoch, einen verständigen Blick aufzusetzen und wissend zu nicken. Vielleicht ein wenig zu oft. Wie so ein Wackeldackel. Werfe außerdem an Stellen, die mir richtig erscheinen, ein affirmatives „Oui“ ein. Bedanke mich freundlich für die Auskunft und ziehe meines Weges.
Eine andere Strategie muss her. Versuche herauszufinden, aus welcher Straße die Menschen mit den Brötchentüten herkommen. Werde schließlich fündig und betrete eine alternative Bäckerei.
Erschöpft von der ersten ‚French Challenge‘ grunze ich unartikuliert meine Bestellung und zeige mit dem Finger auf die gewünschten Backwaren. Die Verkäuferin hält mich wahrscheinlich für einen modernen Kaspar Hauser, der jenseits der menschlichen Zivilisation aufgewachsen ist und von wilden Tieren großgezogen wurde. Erhalte dennoch meine Baguettes, Croissants und Brioches und steige wieder aufs Rad.
Brotkorb. Im Schweiße des Angesichts erworben.
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Auf dem Heimweg ereignet sich ein einzigartiges klimatologisches Phänomen. Fast der ganze Himmel ist strahlend blau. Der ganze Himmel? Nein. Über mir befindet sich eine kleine graue Wolke, aus der es kräftig regnet.
Zwei Meter vor mir ist es trocken. Zwei Meter hinter mir ist es trocken. Zwei Meter links von mir ist es trocken. Zwei Meter rechts von mir ist es – genau, Sie ahnen es bereits – trocken. Nur über und vor allem auf mir ist es nass.
Die Wolke begleitet mich treu auf meinen Nachhauseweg. Wenn ich mich einen Berg hochkämpfe, verlangsamt sie ihr Tempo, wenn ich bergab schneller fahre, beschleunigt sie ebenfalls. Am Gartentor verabschiedet sie sich freundlich von mir, wünscht mir einen schönen Tag und äußert ihre Hoffnung, mich morgen wiederzusehen. Dann sei ja Lauftag.
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Begegne im Badezimmer meinem Spiegelbild. Es ist immer noch verstimmt wegen meiner harschen Worte am Ende unseres Rasur-Diskurses vom Samstag. Um es versöhnlich zu stimmen, rasiere ich mich. Das Spiegelbild lächelt beseelt. Ich ebenfalls.
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Beschließen, heute einen neuen Strand auszuprobieren und ganz nach Westen nach Tréspassés zu fahren. Die dortige Bucht ist traumhaft. Erinnert mich ein wenig an die ‚Blauen Lagune‘. Nur größer. Und die Landschaft ist anders. Und es sind mehr Menschen da. Brooke Shields ist leider nicht unter ihnen.
Bucht von Tréspassés. Fast wie die blaue Lagune. Nur anders.
Nachdem wir unsere Sachen ausgepackt haben, erteilt mir die dreijährige Bonnerin die Ehre, mich dazu auszuwählen, für sie Wasser zum Matschen zu organisieren. „Du gehst Wasser holen. Und ich gehe nicht mit.“ Damit wäre das auch geklärt. Da gerade Ebbe ist, liegt ein Marsch von knapp 150 Metern mit einem gefüllten 15-Liter-Behälter vor mir.
Gnädigerweise begleitet mich die Kleine doch. Allerdings nur, um meine niedrigen Hilfsdienste zu beaufsichtigen („Du verschüttest so viel.“). Später werde ich für meine Unterstützung mit einem Sand-Macaron entlohnt.
Wasser. Im Schweiße des Angesichts getragen.
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Kurz danach ereilt mich der Ruf der Natur. Sehr dringend. Ich muss auf Toilette (wahrscheinlich mal wieder ein Kaffee zu viel zum Frühstück). Glücklicherweise weist ein Schild am Strand die Richtung zu einem öffentlichen WC in 100 Meter Entfernung.
Toilette. In 100 Metern. Dann nochmal 400 Meter.
Nach einem Fußweg von etwas mehr als 500 Metern erreiche ich tatsächlich die Toilette. Zufriedener kann auch Christoph Kolumbus bei seiner Ankunft in Amerika nicht gewesen sein als ich beim Betreten der sanitären Räumlichkeiten.
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Auf dem Weg zurück zum Strand passiere ich ein Hotel, das Heißgetränke zum Mitnehmen anbietet.
Kaffee to go. Preise wie bei Starbucks. Mal drei.
Die körperliche Erleichterung durch das Urinieren hat anscheinend zu einem Ausstoß von Glückshormonen geführt, die mich wiederum dazu verleiten, eine zweite ‚French Challenge‘ für den heutigen Tag einzugehen. Die erste war ja auch nur knapp über dem Desaster-Niveau. Und wie man nach einem Sturz vom Fahrrad sofort wieder aufsteigen soll, erscheint es mir ratsam, mich schnell wieder einer französischen Herausforderung zu stellen.
Betrete also mit festem Schritt das Hotelrestaurant und frage: „Il est possible café emporter?“ Simuliere dabei mit der linken Hand das Trinken aus einem Becher und mache gleichzeitig mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand Laufbewegungen.
Meine pantomimische Glanzleistung ist erstaunlicherweise von Erfolg gekrönt. Ungeachtet meines avantgardistischen Satzbaus nickt die Kellnerin. Bestelle dann souverän einen Kaffee, einen Milchkaffee und zwei Cappuccini.
Danach werde ich Zeuge einer Vorführung, die sich am besten als Kaffeemaschinen-Challenge umschreiben lässt. Die Servicekraft macht nicht den Eindruck, als habe sie das Gerät schon einmal bedient oder eine Einweisung in seine Funktionsweise erhalten.
Bekomme nach einer gefühlten Ewigkeit vier im Prinzip identische Kaffeegetränke, in die die junge Frau mal mehr und mal weniger geschäumte Milch schüttet. Als Reaktion auf meine skeptische und ein Prädikat vermissen lassende Nachfrage „Café noir?“ nickt sie eifrig mit dem Kopf. Danach verlangt sie von mir eine Summe, bei der ich davon ausgehe, dass das Gewicht der Getränke in den heutigen Goldpreis umgerechnet wurde.
Dennoch bin ich der Held der anderen Erwachsenen als ich mit den vier Kaffeebechern wieder am Strand auftauche. Und niemand wagt es, die Qualität des Kaffees zu kritisieren.
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Nachdem sich die Kinder und ein Teil der Erwachsenen in den mannshohen Wellen ausgetobt haben (die Bonner Freundin und ich beschränken uns größtenteils auf die Supervision unserer kleinen Badegesellschaft aus sicherer Entfernung), treten wir die Heimfahrt an. Um sicherzustellen, dass auch heute der durchschnittliche Urlaubstagesbedarf von 3.000 Kalorien eingehalten wird, werden zuhause erstmal Kuchen und Teilchen aufgetischt.
Kuchen-Tafel. Ein Stillleben.
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Anschließend frönen die Kinder ihrem neuen Hobby, das sie sich im Urlaub zugelegt haben. Sie vertreiben sich die Zeit mit dem Knüpfen von Armbändern, die sie in massenindustrieller Stückzahl anfertigen. Diese tragen sie alle mit viel Stolz an ihren Armen.
Armbänder. Auch Wolle Petry hat klein angefangen.
Irgendwo sitzt Wolfang Petry in Hennef in seinem Wohnzimmer und weint vor Freude.
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Zum abendlichen Kniffeln sei angemerkt: Wenn eine Mitspielerin bei drei Runden fünf Kniffel wirft, freut man sich selbstverständlich mit ihr. Aber mehr so nach innen.
Gute Nacht!