Bretagne 2014 – 4. Tag: Der Sandsuppenkasper

Wache morgens auf und stelle fest, dass ich nicht mehr weiß, welcher Wochentag heute ist. Damit hat sich endgültig die Urlaubsentschleunigung durchgesetzt. Dies macht sich dadurch bemerkbar, dass alltägliche Sachen für nicht mehr so wichtig erachtet werden (z.B. Rasieren und Kämmen). Darüber hinaus werden Tätigkeiten generell sehr viel langsamer durchgeführt als zuhause.

Ein wenig wie in den Action-Szenen der Matrix-Filme, wenn Keanu Reeves den Kugeln ausweicht. Nur dass ich mich nicht mit der gleichen Eleganz wie Neo in den Filmen bewege. Eigentlich eher wie so ein Pandabär, der den größten Teil des Tages mit Schlafen und dem Verzehren von Bambus verbringt. Wobei meine Urlaubsnahrungsmittel eigentlich hauptsächlich aus Weißbrot, Grillgut und Bier bestehen.

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Ein Blick aus dem Fenster zeigt, dass das Wetter eher zu wünschen übrig lässt. Es regnet.

Wetter. Schlecht.

Wetter. Schlecht.

Aber der Bonner Freund und ich haben uns vorgenommen, heute zu laufen. Und wenn wir uns das vorgenommen haben, machen wir das auch. Sie wissen schon: der Altersstarsinn, die Selbstüberschätzung und der Übermut.

Machen uns schwerfällig im Nieselregen auf den Weg. Durch das feuchte Wetter sind die Wege voll mit Schnecken, denen wir ausweichen müssen. Und nein, sie sind nicht schneller als wir, sondern wir überholen die Schnecken. Wobei es manchmal ganz schön lang dauert, bis wir an ihnen vorbeigezogen sind.

Schnecke. Unscharf.

Schnecke. Unscharf.

Heute laufen wir wieder an der Küste entlang, aber diesmal in die andere Richtung nach Point Croix. Noch ein wenig vom Muskelkater unseres letzten Laufs geplagt, lassen wir es etwas gemütlicher angehen und sind diesmal so vernünftig, dass wir nach fünf Kilometern umdrehen und wieder den gleichen Weg zurücklaufen.

Die Vernunft endet allerdings, als wir wieder den Sandstrand erreichen und ich spaßeshalber sage, wir könnten ja ein paar Kniehebeläufe auf dem Sand machen. Da Laufen aber eine ernste Sache ist, biegt der Bonner Freund auf den Strand ein. Sie wissen schon: der Leichtsinn, der Übereifer und die Selbstüberschätzung.

Der Sand ist durch den Regen aufgeweicht und viel schwerer zu belaufen als eigentlich gedacht. Stampfen daher mit der Grazie und Anmut zweier spätpubertierender Haflinger-Pferde über den Sand. Ein Anblick, der den anderen Strandläufern und –spaziergängern das Entsetzen in die Gesichter treibt und wahrscheinlich zu einer nachhaltigen Schädigung des bretonischen Fremdenverkehrswesens führt.

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Da wir noch genügend Backwaren fürs Frühstück haben, fällt die ‚French Challenge‘ heute etwas spärlich aus. Im Grunde genommen beschränkt sie sich darauf, dass ich beim Joggen sich nähernden Läuferinnen und Läufern ein unartikuliertes „Bonjour!“ entgegen keuche. Aufgrund meines stark geröteten und durch die läuferische Anstrengung zur furchteinflößenden Fratze verzehrten Gesichts ziehen diese es aber vor, jeglichen Blickkontakt mit mir tunlichst zu vermeiden. Na gut, wer nicht will, der hat schon.

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Nachdem sich das Wetter doch noch aufklart, fahren wir alle zusammen zum Strand. Spiele dort mit der dreijährigen Tochter der Bonner Freunde. Dies ermöglicht mir, mich vor dem Baden im Meer zu drücken. Sie wissen schon: die kalten Temperaturen, das nasse Wasser und die persönliche Empfindlichkeit.

Meer. Mit Wellen.

Meer. Mit Wellen.

Heute bereiten wir Salat- und Sandsuppe zu. Auch diesmal werde ich nicht in Rezept und Zutaten eingeweiht. Ohnehin besteht mein Beitrag eher im Verrichten niedriger Hilfsdienste. Bin vor allem für das Herbeischaffen großer Mengen an Meerwasser zuständig („Wir brauchen mehr Wasser. Ich geh‘ da aber nicht mit.“). Nachdem ich mich beim Wasserholen bewährt habe, wird mir sogar gestattet, in den Töpfen zu rühren.

Schließlich darf ich obendrein die Suppe verköstigen. Werde dabei kritisch von der Dreijährigen beäugt. Sie merkt kritisch an, dass ich beim Probieren sehr viel verschütte („Das geht alles daneben.“) und sie achtet penibel darauf, dass ich tatsächlich die komplette Suppe auslöffel („Da is‘ noch was drin.“).

Sandsuppe. Mit Liebe zubereitet.

Sandsuppe. Mit Liebe zubereitet.

Nach unserem Kochvergnügen erzählt die Kleine eine geradezu phantastische Geschichte. Von einem Fuchs, einer Bäckerei und einer erbosten Frau, die vor der geschlossenen Bäckerei steht. Die Story hat noch leichtes Entwicklungspotenzial bezüglich einer spannungaufbauenden Dramatik, der inhaltlichen Logik und einer zeitlichen Stringenz. Dafür wird sie mit sehr viel Enthusiasmus und Leidenschaft vorgetragen.

Danach vertreiben wir uns die Zeit, indem wir Pupsgeräusche machen und uns hinter unseren Händen verstecken. Die Dreijährige amüsiert sich prächtig. Ich mich ebenfalls. Dies ist ungefähr das intellektuelle Niveau, zu dem ich mich im Urlaub imstande sehe. Wobei ich nicht behaupten möchte, dass sich meine Intellektualität außerhalb der Urlaubszeit in wesentlich höheren Sphären bewegt.

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Später stellen die Kinder biologische Feldstudien an. Sie fangen dazu die Sandflöhe und sammeln sie in Eimern. Die Flöhe fangen sofort an, wild zu kopulieren (wahrscheinlich eine Übersprungshandlung).

Da zahlt es sich endlich aus, dass wir Tochter und Sohn frühzeitig mit Büchern wie ‚Peter, Ida und Minimum‘ aufgeklärt haben. Müssen Ihnen daher jetzt nicht erläutern, warum sich die Flöhe die ganze Zeit Huckepack tragen wollen. Später dürfen die Flöhe alle zusammen ein neues Zuhause beziehen – sie werden in eine riesige Sandburg eingebuddelt.

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Zum Abschluss des Strandtages gibt es wieder das Ritual des Zusammenpackens unserer Strandmuschel. Da wir dabei seit Tagen nach dem Trial-and-Error-Prinzip operieren (wobei der Error-Aspekt stark im Vordergrund steht), wissen wir immer noch nicht genau, nach welchem Prinzip der Einpack-Prozess im Detail funktioniert. Dafür haben wir aber die Synchronisation unsere Bewegungen inzwischen so weit perfektioniert, dass ich mir vorstellen könnte, dies als Nummer beim ‚Cirque du Soleil‘ aufzuführen.

Fuß. Aus Steinen.

Fuß. Aus Steinen.

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Nach dem Abendessen steht die obligatorische abendliche Kniffelrunde an. Kann nun aus eigener Erfahrung bestätigen, dass, wenn man innerhalb von drei Abenden dreizehn Kniffel wirft und alleine mehr Spiele gewinnt als alle Mitspieler zusammen, einem allmählich die offene Ablehnung der anderen entgegenschlägt. Sie wissen schon: der Neid, der Missgunst, der Hass. Und die eigenen Popularitätswerte steigert man auch nicht gerade, indem man beim Eintragen eines Kniffels das Pippi-Langstrumpf-Lied pfeift.

Überlege, morgen einfach mit Absicht etwas schlechter zu spielen. Sehe sonst die Gefahr, dass die anderen nicht bei der Stange bleiben. Bin mir aber nicht sicher, ob dies überhaupt mit meinem Kniffel-Ethos vereinbar ist.

Gute Nacht!


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