Brasseur, Diane: Der Preis der Treue

Von Lesewucht

Ein großes Lob an den Verlag. Ganz selten gibt die Umschlaggestaltung das Wesen eines Buches so gut wieder. Der Blick, die Haltung, die Kleidung – all das nimmt die folgende Erotik und gelassene Unmöglichkeit einer Liebe bereits vorweg. Diane Brasseur ist ein wunderbares Debüt gelungen, das gelesen werden muss.


Klappentext

Seit einem Jahr führe ich ein Doppelleben. Ich bin da hineingerutscht, ohne mich dagegen zu wehren. Von Montag bis Freitag bin ich bei Alix in Paris und am Wochenende kehre ich zu meiner Frau und meiner Tochter nach Marseille zurück. Worauf warte ich? Dass mir die Entscheidung abgenommen wird?

Der erste Satz

Ich will nicht altern.

Ein Mann in den – wie man sagt – besten Jahren und eine junge Geliebte. Die Frau und Tochter zuhause und nichtsahnend. Das ist der Stoff, aus dem schon so manche eheliche Tragödie gestrickt wurde. Muss man das nochmal lesen? Ich sage ja. Denn Brasseur weicht von der hinlänglich bekannten Norm ab und kreiert ein Kammerspiel, das in berührender Intimität das Gefühlsleben des Mannes und seiner Geliebten erkundet und seziert. Als Leser folgt man dem Gedankenstrom des namenlosen Erzählers und wird unversehens zum Voyeur der Affäre.

Ich liebe meine Frau und war nicht unglücklich, als ich Alix kennenlernte. Ich liebe sie seit neunzehn Jahren. Wir führen eine gute Ehe. Ich liebe meine Frau und trenne strikt: Da ist Paris und dort Marseille, da meine Arbeit und dort meine Familie, da sind meine und dort unsere Freunde.

Die meisten Autoren beschränken sich bei der Wahl ihres Protagonisten auf das eigene Geschlecht. Brasseur ist da mutiger und versucht sich in einen Mann hineinzufinden, der seit Monaten seine Frau betrügt. Ein solches Experiment kann sich in Klischees verlieren und dadurch jede Glaubwürdigkeit verlieren. Sicherlich findet sich auch in „Der Preis der Treue“ so manches weiblich geprägte Denkmuster auf den Mann projiziert, allerdings geht das in der ansonsten wunderbar stimmigen Charakterzeichnung unter. Brasseur beschreibt mit einer tiefen Kenntnis der männlichen Psyche das Gefühlschaos, dem er sich ausgesetzt sieht. Die anfängliche Liebschaft und das Abenteuer ist schon lange nicht mehr nur eine Affäre, sondern hat sich zu einer zweiten Liebe verselbständigt. Hin- und hergerissen zwischen seiner Frau und Alix sucht er verzweifelt nach einer Entscheidung, die ihn jedoch in jedem Fall ärmer zurücklassen wird. Angesichts dieser Erkenntnis und der Unmöglichkeit einer Entscheidung lässt er sich treiben und hofft, dass das Leben ihm diese abnimmt.

Meine Frau liegt schon im Bett, das Licht auf meiner Seite hat sie angelassen. Sie spürt, dass es mir nicht gut geht, und glaubt, es habe mit meinem Vater zu tun. Aber vielleicht hat sie auch eins und eins zusammengezählt und weiß Bescheid. Ich lege mich auf die Seite, mit angezogenen Beinen, kehre ihr den Rücken zu und knipse die Nachttischlampe aus, und dann, im Dunkeln, tastet meine Frau nach meiner Hand und flüstert: „Ich bin bei dir.“ Da drücke ich ihre Hand ganz fest.

„Der Preis der Treue“ ist ein Buch über die Liebe und stellt die Frage, ob Liebe teilbar ist. Es ist aber auch ein Buch über das Altern und der oftmals männlichen Reaktion darauf. Liebt er Alix wirklich oder liebt er nur die Jugend bzw. die verloren geglaubten jugendlichen Gefühle, die sie ihm schenkt? Immer wieder schlüpft Brasseur in Alix‘ Perspektive und schildert das Seelenleben einer jungen Frau, die sich nach Annahme sehnt und vor der endgültigen Zurückweisung zittert. Sie ist keine Ehezerstörerin, keine Femme Fatale und so wünscht man ihr alles Glück der Welt. Allein seine Gefühle bewahren trotz aller Aufrichtigkeit ihre Labilität und lassen an der glücklichmachenden Wirkung der Liebe zweifeln.

Mit Alix kann ich die Zeit zwar nicht zurückdrehen, aber sie bietet mir, in einer Lebensphase, in der meine Perspektive sich verengt, die Chance, noch mal von vorn anzufangen.

Brasseur reiht in schneller Abfolge Gedankengänge und Erinnerungsfragmente aneinander und verschafft ihrer Erzählung dadurch einen Sog, der sich teilweise in einen wahren Rausch steigert. Eine Emotion löst die andere ab, Sympathien wechseln, die Entscheidung scheint getroffen und dann doch wieder nicht – „Der Preis der Treue“ ist ein intensives Leseerlebnis. Ist es nun aber auch gute Literatur? Es erfordert zumindest die inhaltliche Auseinandersetzung ohne Stellung zu beziehen und allzu einfache Antworten zu liefern. Die aus dieser Ambivalenz gewonnene Kraft reicht mir aus, dieses Buch uneingeschränkt weiter zu empfehlen.


Was bleibt?

Brasseur behandelt keine moralischen Fragen, sie lässt sich nicht aus über das Für und Wider. Sie zeigt vor allem die tiefe innerliche Zerrissenheit eines Mannes, der seine Unbekümmertheit und gedankliche Freiheit verloren hat. Lügen werden mit Lügen vertuscht und der daraus entstehende Wunsch nach einem Ende, einer befreienden Entscheidung wird zur lebensnotwendigen Scheideweg. Doch weder die eine noch die andere Wahl verspricht einen Ausweg mit dauerhafter Garantie auf Glück. Brasseur beschreibt das wunderbar stimmig und lässt mich am Ende als einen Leser zurück, dem diese Ausweglosigkeit so schnell nicht aus dem Kopf geht.

Brasseur, Diane. Der Preis der Treue (Original: Les fidélités). Aus dem Französischen von Bettina Bach. Erstmals erschienen 2014.

Taschenbuchausgabe: dtv. 174 Seiten. ISBN 978-3-423-26069-5. € 14,90.