Ethan Hawke als Mason Sr. (hinten), Lorelei Linklater als Samantha (links) und Ellar Coltrane als Mason Jr. (rechts) in Richard Linklaters “Boyhood”
Es gibt wenige Filme bei denen man hinterher das notwendige Verlangen spürt, aufzustehen und zu applaudieren. Diesen Drang gibt man sich im Theater immer wieder hin, wenn die dortigen Darsteller gefühlt zig tausend Male zurück auf die Bühne stürmen um sich der Begeisterung der Zuschauer oder der schlichten Höflichkeit hinzugeben. Bei einem Film ist das oftmals etwas schwieriger. Denn wem sollte man dort schon applaudieren, wenn doch der Regisseur und die Darsteller nicht zugegen sind. Umso stärker und ehrlicher ist aber vielleicht auch der Applaus in Abwesenheit.
Mit Boyhood ist Regisseur Richard Linklater ein solcher Film gelungen, für den man ihm applaudieren möchte. Sowohl filmisch als auch mit dem Projekt selbst hat er mit diesem Film sein Lebenswerk auf die Leinwand zementiert. Seit 2002 drehte er immer wieder für wenige Wochen mit denselben Darstellern an seiner Geschichte über das Aufwachsen, die im Kino wohl noch nie natürlicher und so wahrheitsgetreu erzählt wurde. Wo das Horrorgenre mit seinen Found Footage Filmen eine Dokumentation vortäuschen möchte, ist es bei Linklater genau andersherum. Er zeigt uns einen Spielfilm, der eigentlich eine Dokumentation darstellt.
Ellar Coltrane als Mason Jr.
Er begleitet den sieben Jahre jungen Ellar Coltrane, der den sieben Jahre jungen Mason spielt. Ein Junge, der kein einfaches Leben führt. Seine ältere Schwester (Linklaters eigene Tochter Lorelei) hänselt und ärgert ihn unentwegt, seine Eltern sind geschieden, seine Mutter (Patricia Arquette) holt immer wieder neue Väter ins Haus, die sich nie als glücklicher Handgriff erweisen und der leibliche Vater (Ethan Hawke) gibt sich selbst noch als recht verantwortungslos. Aber das wäre zu kurz gefasst um all die Details zu nennen, die Linklater in sein Drehbuch eingearbeitet hat.
Man möchte über die nostalgische Ausstattung schwärmen, bevor man merkt, dass der Film tatsächlich vor geraumer Zeit angefangen zu drehen wurde und sich nicht künstlich popkultureller Nebensächlichkeiten und Kleidungsstilen annehmen muss. Man schaut gebannt auf das Leben dieses kleinen Jungens, wie es sich weiter entwickelt, wie sich Interessen heraus bilden und erste Erfahrungen gemacht werden. Es ist eine ganze Jugend, abgebildet in 165 Minuten.
Patricia Arquette spielt Masons Mutter Olivia
Und zum ersten Mal ist das fast zu wenig Zeit. Man fühlt sich nie genervt oder tätigt den oftmals obligatorischen „Wie lang denn noch“-Blick auf die Uhr. Vielmehr ist es, als wäre man selbst in der Elternrolle gefangen. Am Ende blickt man ungläubig auf den erwachsen gewordenen Mason und ist fast traurig ihn nun in Richtung College ziehen zu lassen, wo der Film sein Ende findet. Wir müssen Abschied nehmen, wie auch Vater und Mutter.
Richard Linklater braucht lediglich diese 165 Minuten um uns dieses Gefühl zu geben, welches sich nach dem Ende einer langlebigen Fernsehserie einstellt. So viele Jahre hat man seine geliebten Figuren durch die unterschiedlichsten Staffeln mit den verschiedensten Problemen, Liebschaften, Ereignissen und mehr begleitet, aber alles muss ein Ende nehmen. So fühlt man sich denn auch nach Boyhood. Auf der einen Seite hat man diese Menschen, denen man sich so tief verbunden fühlt, auf der anderen Seite ein hochgradig-filmisches Kunstprojekt. Das macht Boyhood so wunderbar, schön und einzigartig.
Boyhood
Regie & Drehbuch: Richard Linklater
Laufzeit: 165 Minuten, freigegeben ab 6 Jahren, Kinostart: 5. Juni 2014
im Netz: Boyhood bei Universal Pictures
alle Bilder © Universal Pictures International Germany GmbH