Boxen im Film: Stanley Kubricks „Day of the Fight“

Stanley Kubrick (26. Juli 1928 in New York, USA- 07. März 1999 im Childwickbury Manor bei London, Großbritannien) gilt als einer der ganz großen Filmregisseure des 20 Jahrhunderts. Jeder kennt Spartakus, Lolita, Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben, 2001: Odyssee im Weltraum, Uhrwerk Orange, Shining und Full Metal Jacket. „Seine Filme werden vor allem für ihre tiefe intellektuelle Symbolik und ihre technische Perfektion gelobt. Kubrick versuchte, das Medium selbst zu erforschen, indem er jedes Genre analytisch zerlegte, um seine Bestandteile zu etwas Neuem zusammenzusetzen. Der Regisseur war aber auch berüchtigt dafür, jede Szene bis ins kleinste Detail zu perfektionieren und dabei die Schauspieler bis an ihre psychischen und physischen Grenzen zu führen. Seine Filme oszillieren zwischen Ordnung und Chaos und ergeben so eine filmische Conditio humana, " [Wikipedia], sie beleuchten also eine Bedingung des Menschseins und eine der Natur des Menschen.
Kubrick drehte dreizehn Spielfilme und drei Dokumentarfilme. In beiden Filmgattungen drehte er einen Film über das Boxen.
„Day of the Fight" ist Kubricks erster Film überhaupt. Es handelt sich dabei um einen Dokumentarfilm, der 12:30 Minuten lang ist. Den Hintergrund bildete der Hinweis eines Freundes von Kubrick, Alexander Singer, der für die Wochenschau „March of Time" arbeitete. Der erzählte ihm, dass die Wochenschau für acht bis neun Minuten lange Kurzfilme etwa 40.000 Dollar ausgegeben würde. Also beschlossen sie, einen Film mit $ 1.500 zu machen, wobei Kubrick seine Ersparnisse noch drauflegte. Er entschloss sich, seinen ersten Film über den Mittelgewichtsboxer Walter Cartier zu machen, über den er bereits eine Fotoreportage hatte, „The Prizefighter Walter Cartier" für das Look Magazin. - Kubrick war zu der Zeit tatsächlich noch Photograph. Der Photoessay umfasste sieben Seiten und 22 Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen er Einblicke in das Privat- und Berufsleben von dem Profiboxer Cartier gewährt. Man sieht ihn zusammen mit seinem Zwillingsbruder Vincent, man sieht ihn beim Beten in einer Kirche, man sieht ihn mit Freunden am Strand, man sieht ihn mit seinem Trainer, dem berühmten Bobby Gleason, arbeiten und man sieht ihn gegen Tony DeMicco kämpfen. - Cartier verlor am 27.07.1948 den Achtrunder aufgrund einer stark blutenden Cutverletzung über dem linken Auge.
Im Film hat Kubrick das Konzept der Fotoreportage umgewandelt ins „day-in-the-life"- Format. Ausgewählt wurde dafür der 17. April 1950 im Leben von Walter Cartier. Es war der Tag, an dem er im Laurel Garden, Newark, New Jersey, USA gegen Bobby James boxte.
Man sieht in der filmischen Dokumentation die Brüder Cartier beim Aufstehen, beim Warten, beim Frühstücken. Man sieht Walter in seinem kleinen Greenwich Village Appartement, wie er mit seinem Hund spielt, betet in der Kirche, spazieren geht. Man sieht ihn beim Wiegen, beim Warten, bei der medizinischen Untersuchung, beim Mittagessen, beim Warten, in der Kabine vor dem Kampf und dann am Ende im Kampf gegen Bobby James.
Nachgezeichnet wird im Film die Zeit zwischen sechs Uhr morgens und zehn Uhr abends. Die ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Bilder ähneln der Ästhetik eines „Film noir", also eines pessimistischen und zynischen Gangsterfilms der 1940er und 1950er Jahre. - Einen solchen „Film noir" legte Kubrick 1956 mit „The Killing" („Die Rechnung ging nicht auf") dann auch selbst noch vor.
Der Dokumentarfilm bedient sich einer ruhigen Erzählform. Ein Sprecher aus dem Off redet vom Boxen, über Cartier und dessen Traum, Weltmeister im Mittelgewicht zu werden. Mit dem Beginn des Boxkampfes, um genauer zu sein, sobald Cartier zum Ring geht, nimmt der Film dann an Fahrt auf. Es gibt keine Musik mehr im Hintergrund und auch keine Kommentare aus dem Off. Wir sehen den Kampf, hören die Kampfgeräusche und manchmal ist die Reaktion der Publikums dazwischen geschnitten. Vom Kampf selber sind nur zwei Minuten zu sehen. Kubrick, der auch eine der zwei Kameras bedient, versucht dem Boxen filmisch und astethisch neue Perspektiven abzugewinnen. Beispielsweise beginnt der Kampf mit einer Einstellung, bei der man unter dem Hocker von Bobby James durch Walter Cartier zum ersten Gong aufstehen sieht. Kubrick geht in einigen Einstellungen so nahe an Cartier ran, dass man von seinem Boxen gar nichts mehr sieht, sondern nur noch die Bewegungen. Er filmt auch nicht auf Augenhöhe, wie es bei heutigen Übertragungen üblich ist, sondern von unten durch die Seile hindurch. Dadurch kommen dann auch immer wieder die Seile mit ins Bild. Bei einer Infightszene filmt er offensichtlich von unten, mit der Kamera im Ring. All das sind Szenen, die in vielen Boxerfilmen später kopiert wurden. - Kubrick, der Autodidakt, hat so, wie kein anderer, das Genre der Boxerfilme geprägt und ihm neue ästhetische Ausdrucksformen gegeben.
Die berühmte Knockout-Szene filmte Kubrick nicht selbst. Vielmehr war es Alexandre Singer, der die Kamera hielt. Kubrick war zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt, den Film in seiner Kamera zu wechseln.
„Day of the Fight" erschien im Jahr 1951 in den USA. „March of Time" bot Kubrick für den fertigen Film nicht einmal die Herstellungskosten und die waren schon sehr viel niedriger, als die der anderen Filme. Später kaufte R.K.O. Radio den Film für eine noch niedrigere Summe. Für Kubrick war der Film ein finanzielles Desaster.
Im Internet gibt es inzwischen zwei Versionen von „Day of the Fight" zu sehen. Die „Newsreel" Version von RKO mit dem Titel „This is America", die knapp 4:25 Minuten länger ist. Sie beginnt mit einem kurzen Blick auf den Madison Square Garden in New York. Dann beobachtet man einen namenlosen Boxfan dabei, wie er ein Ticket kauft, und eine Stimme aus dem Off stellt dazu Fragen wie: „Was ist die Faszination? Was will der Fan sehen?" Dann sieht man eine Menge KOs hintereinander. Es folgen jene kurzen Szenen von Training und Alltag. Nun stellt die Stimme im Off weiter Fragen, wie: „Aber warum machen sie es, die Fighter? [...] Wo kommen sie her?" Dann sehen wir Net Fleischer, den legendären Gründer des „The Ring" Magazins, wie er an der Schreibmaschine sitzt und dann ein Buch hervorholt und aufschlägt. Die Stimme sagt nun: „Nehmen wir einen zufälligen Namen aus dem Buch: Walter Cartier." Ich neige dazu Stanley Kubrick von der Verantwortung für diese Einleitungsminuten, die mit dem eigentlichen Film nichts zu tun haben, frei zu sprechen.
Walter Cartier (29. March 1922 Bronx, New York, USA - 17. August 1995 Mount Vernon, New York, USA) war einer der vielen guten Mittelgewichtler der 40er und 50er Jahre. In dieser Zeit wurden Boxer anders als heute aufgebaut. Sie boxten häufig und sie gewannen nicht jeden Kampf. Cartier begann mit 22, als Profi zu boxen. Es sah gut aus - einer der Gründe, warum Kubrick ihn zweimal porträtierte. Er war physisch stark und boxte einen Stil, den das Publikum mochte. Mit ihm konnte man viele Eintrittskarten verkaufen.
Sein Sieg über Bobby James war beeindruckend. Ein rechter Körperhaken gefolgt von einem linken Kopfhaken fällte James, der bis dahin noch nie ausgezählt worden war. Es folgte am 11. Mai 1951 ein Punktsieg über den starken und hart schlagenden Eugene „Silent" Hairston im Madison Square Garden. Dieser hatte drei Monate davor Paddy Young in der zweiten Runde KO geschlagen. Hairston schickte Cartier in der ersten und dann noch mal der zweiten Runde zu Boden. Cartier wurde aber von Runde zu Runde stärker. Am Ende der zehnten und letzten Runde musste dann auch Hairston nach Körpertreffern zu Boden. Der Gong rettete ihn davor, ausgezählt zu werden.
Am 14. Dezember 1951 traf Cartier dann auf den großen Kid Gavilán. Dem Sieger winkte ein WM Kampf gegen Sugar Ray Robinson. Cartier schaffte, was bis dahin undenkbar schien: Er dominierte den Kubaner. Er gewann Runde um Runde. Die Punktrichter hatten bis zur zehnten und letzten Runde Cartier mehrheitlich vorne (6:2, 5:3 und 4:5). Nach etwas mehr als einer Minute in der zehnten und letzten Runde kam Gavilán dann mit einer Rechten zum Kinn durch. Die nachfolgenden Schläge ließen Cartier zusammenbrechen. Der bekannte Ringrichter Ruby Goldstein nahm ihn aus dem Kampf.
Danach boxte Cartier noch 16-mal; sieben seiner Kämpfe gewann er, sieben verlor er und zweimal boxte er Unentschieden. Unter seinen Gegnern findet man so illustere Namen wie Bobo Olson, Randolph Turpin und Joey Giardello (zweimal). Die meisten dieser Kämpfe fanden in der Eastern Parkway Arena in Brooklyn statt; hier war er der Liebling der Fans. Am Ende seiner Karriere hielt er einen Kampfrekord von 61 Kämpfen (46 Siege, 24 durch KO, 13 Niederlagen, 9 durch KO, 2 Unentschieden).
Nach Beendigung seiner Boxlaufbahn hatte er noch kleinere Auftritte als Schauspieler in mehreren Sitcoms und einem Spielfilm.
© Uwe Betker


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