In dem Rückblick von Sauerland Event auf „das Sauerland Jahr 2010“ ist zu lesen: „Dezember: Marco Huck kommt gegen WBO-Pflichtherausforderer Denis Lebedev mit einem blauen Auge davon. Heimvorteil und Weltmeisterbonus waren am Ende wohl ausschlaggebend. Der Russe, der mit seinem Verhalten innerhalb und außerhalb des Rings viele Fans hinzugewonnen hat, darf dank seiner starken Leistung auf eine baldige weitere WM-Chance innerhalb des geplanten Cruisergewicht-Super Six hoffen.“
Einige Dinge fielen mir dabei auf.
Der berliner Veranstalter gibt zu, dass Muamer Hukic alias Marco Huck bei seinem letzten Kampf „mit einem blauen Auge davon“ kam. Sie erkennen wohl, dass die Mehrheit der Zuschauer Huck als klaren Verlierer sah. Mit der Begründung dafür, dass er trotzdem seinen Titel behalten durfte, „Heimvorteil und Weltmeisterbonus waren am Ende wohl ausschlaggebend“, habe ich allerdings meine Schwierigkeiten. Man könnte es auch deutlicher formulieren: Die Unfähigkeit der zwei Punktrichter Lahcen Oumghar und Manuel Oliver Palomo, das Geschehen im Ring in ein angemessenes Urteil umzuwandeln, rettete Huck seinen WBO WM-Gürtel im Cruisergewicht.
Es ist auffällig, wie leicht den PR-Abteilungen der Veranstalter aber auch den Kommentatoren von Boxkämpfen die Begriffe „Heimvorteil und Weltmeisterbonus“ in die Tasten fließen bzw. über die Lippen kommen. Dabei verdienen beide Begriffe eine genauere Betrachtung und eine kritische Reflexion. Fangen wir hier also damit an!
In den Regelwerken der nationalen Verbände wie auch der Weltverbände sind beide Begriffe nicht zu finden. Selbst auf Wikipedia findet man hierzu nichts. Wenn man nun keine Definition von Heimvorteil und Weltmeisterbonus finden kann, ist es wohl am praktikabelsten, sich ihnen über den allgemeinen Sprachgebrauch anzunähern.
Täuscht mich meine Wahrnehmung nicht, so wird immer dann von Heimvorteil und Weltmeisterbonus gesprochen, wenn einem Boxer oder einer Boxerin ein oder mehrere Runden oder sogar ein ganzer Kampf zugesprochen wird, den er oder sie gar nicht gewonnen hat. Damit hat sich das Boxen dem Ruch der Willkür, des Betrug und der Korruption ausgesetzt. Um dem nun entgegen zu wirken, wird dann gerne eine Pseudo-Regel des Boxens angeführt, die besagt: Ist eine Runde ausgeglichen, so wird sie automatisch dem Titelverteidiger oder dem Heimboxer zugesprochen. Würde sich der Heimvorteil bzw. der Weltmeisterbonus wirklich nur auf diesen Fall beziehen, hätte wohl keiner ein Problem damit. Dem ist aber leider nicht so. Leider hat sich gerade in Deutschland ein Umgang mit dem „Heimvorteil und Weltmeisterbonus“ eingebürgert, der den Verdacht nahe legt, dass man als auswärtiger Boxer nur durch KO gewinnen kann.
Man könnte also sagen: Immer wenn von Heimvorteil und Weltmeisterbonus gesprochen wird, soll damit wohl verschleiert werden, dass ein Boxer oder Boxerin um die Früchte seiner/ihrer Arbeit gebracht wurde. Auch wenn einige TV-Kommentatoren anderer Meinung sind, so geht es mir doch so, dass ich, wenn jemand um seinen verdienten Lohn gebracht wird, mich darüber nicht freuen kann, auch dann nicht, wenn der Nutznießer hiervon ein Deutscher oder ein für einen deutschen Veranstalter boxender Mann oder Frau ist.
Die Verteidiger des Heim- und Weltermeisterbonus argumentieren gerne folgendermaßen: „Die Anderen machen das ja auch. Unseren Axel Schulz wurde gegen George Foreman und unseren Felix Sturm wurde gegen Oskar De La Hoya auch betrogen! Wir haben nur von ihnen gelernt.“ Gut, ich stimme dem zu, es ist so, dass sowohl Schulz als auch Sturm um ihren verdienten Sieg gebracht wurden. Aber wollen wir denn ein Boxen, wo das die Regel ist?
Wollen wir ein Boxen, bei dem ein deutscher Boxer im Ausland automatisch verliert, nur weil er nicht der Heimboxer ist? Wollen wir ein Boxen, bei dem nicht mehr ausgetragen werden soll, wer der Bessere ist? Wollen wir ein Boxen, bei dem nur noch entscheidet, wer Titelträger ist oder den mächtigeren Veranstalter hinter sich hat, der seine Kämpfe ausrichtet?
Wenn Punktrichter in, wie es scheint, vorauseilendem Gehorsam den Veranstaltern einen Gefallen tun, indem sie sich über das reale Kampfgeschehen hinwegsetzen und so punkten, dass sie dem Heimboxer oder dem Titelverteidiger den Sieg zuschustern, dann wird das Ergebnis eines sportlichen Wettkampfes zum Willkürakt. Wenn TV Kommentatoren krasse Fehlurteile mit Heimvorteil und Weltmeisterbonus schönreden, beschönigen sie, wie ich finde, auch, wenn Boxer und Zuschauer betrogen werden und machen sich damit zum Büttel von Veranstaltern, die den Sieg ihres Boxers als ihr verbrieftes Privileg ansehen. Das nenne ich dann Boxen nach Gutsherrenart.
© Uwe Betker