Von Marc Schanz
Ja, es wäre das vollkommene Glück des deutschen Michels, wieder an den Ruhm längst vergangener Zeiten anknüpfen zu können. Wir würden einfach einen riesigen Schritt zurück in die Vergangenheit machen, in jene glorreiche Epoche vor über 100 Jahren, in der das Leben noch ohne lästige Aufklärung oder gar Vernunft so herrlich einfach war und der deutscher Kaiser durch die Gnade der Inzucht das Reich regierte. Dieser zeitliche wie geistige Kurzschluss ließe so nebenbei die paar dunklen Kapitel deutscher Geschichte – zwei verpfuschte Weltkriege und ein bisschen Holocaust – im gnädigen Nichts des Vergessens verschwinden.
Warum musste dieser verheißungsvolle Traum nur platzen? Es wäre doch so schön gewesen. Jetzt ist alles kaputt und das auch nur wegen dieser zwei oder drei Fußnoten.
Die deutsche Tragödie nimmt ihren Lauf, wir schaffen uns ab! Nach fast 2.000 Jahren begehen wir den gleichen Fehler und kreuzigen den Gottgesandten. So etwas darf einfach nicht passieren! Guttenbergs Wiederauferstehung ist fest eingeplant. Wenn es soweit ist, darf nichts schief gehen, denn das nächste Himmelfahrtskommando sollte nicht versaut werden.
In der Prä-Guttenberg-Ära bewohnte dieser erzreaktionäre Bischof mit seinen immer kruderen Thesen die Titelseiten sämtlicher Qualitätsmedien. Das ist ja schön, aber was hat diese abstoßende Geschichte mit der Lichtgestalt Guttenberg zu tun? Ganz einfach, es gibt auffällige Parallelen bei ihren Abgängen von der medialen Bühe, quasi dem Bestattungszeremonial ihrer öffentlichen Person. Bei beiden trat am Ende ein offensichtlicher Realitätsverlust zu Tage, bei Mixa durch Alkohol verursacht, bei Guttenberg durch adelige Hybris, den die Medien zuvor nicht bemerkten, obwohl es in beiden Fällen nicht an Hinweisen mangelte. Nur zu bereitwillig ließen sich die Journalisten von ihren selbst geschaffenen Mythen blenden.
Doch die Geschichte wird völlig ad absurdum geführt, wenn man sich Sarrazins Familie näher anschaut. Seine Frau hatte ebenfalls einen Gastauftritt auf den Boulevard-Titelseiten, doch weitaus brisanter ist die Geschichte einer seiner Söhne: er ist Hartzer.
Der Unterschichtenexperte bezieht sein wunderliches Wissen also nicht nur aus den unendlichen Zahlenkolonnen der Wissenschaft, sondern auch aus familiärer Erfahrung. Das eröffnet ein vollkommen neues Verständnis der Sarrazinischen Mission. Wenn er also seinem Sohn den Speiseplan für die nächste Woche vorliest, dann überbringen die fürsorglichen Medien auf ihren Titelseiten die Haushaltstipps an den Sohn. Dieser zugegeben etwas merkwürdige Umweg ist notwendig, denn schließlich kann es einem Mann in der Position Sarrazins nicht zugemutet werden, von Angesicht zu Angesicht mit dem schlechten Genmaterial, das er mit seiner Frau in Eigenleistung produziert hat, sprechen zu müssen. Weshalb nun die Frau Sarrazins, eine anerkannte Pädagogin, in ihrer eigenen Familie versagt, das darf man als Journalist nicht fragen – wozu gibt es schließlich juristische Tabus!
Es scheint eine grausige Regel zu geben: Je kaputter der Mensch, desto größer ist die Aufmerksamkeit der Journalisten. Je wirrer dessen Zustand, desto höher wird er in den medialen Himmel geschrieben.
Langsam nähern wir uns der Antwort, was die Ursache der Tragödie in unserem Land ist. Wie konnte es nur geschehen, dass Guttenberg überhaupt Minister wurde? In einem freien Land dürfen Wirrköpfe auch frei herumlaufen und das ist gut so. Aber, weshalb bekommen die größten unter ihnen einen Extraplatz auf der medialen Bühne? Warum scheint sich dort kein normaler Mensch mehr aufzuhalten? Das alles kann kein Zufall mehr sein. Daher kann die Antwort nur lauten: unsere Medien sind krank, sehr krank. Nur wer genauso verkommen ist wie sie, darf im medialen Theater mitspielen und erhält die Zustimmung und den Applaus der Journalisten.
Das ist an sich schon schlimm genug, aber so richtig gefährlich wird es durch die Tatsache, dass die Massenmedien ihre Konsumenten zu Co-Abhängigen machen.
Bilder:
kopperschlaeger.net / CC-BY-NC-ND 3.0
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