Hannover 96 hat es in dieser Saison geschafft. Seit 2005 lebe ich in Chile, doch bislang war es mir nicht gelungen mit meiner Vorliebe für den Bundesligisten aus meiner Heimat ein wirkliches Interesse der Chilenen zu wecken. Gespräche über Vereinsfußball liefen in meinem Umfeld meist über die großen Drei des Landes: Colo-Colo, Universidad de Chile und Universidad Católica. Vielleicht wurden noch die Champions League-Ergebnisse aufgearbeitet, aber das Thema 96 musste immer ich einwerfen.
Das hat sich in der Spielzeit 2009/10 geändert. Die Familie meiner Frau zittert inzwischen um den Verbleib der Roten im deutschen Fußballoberhaus. Sie wissen, wie sehr mich das Auf und Ab von 96 mitnimmt. Selbst Freunde und Kollegen erkundigen sich, wie denn dieser Verein aus Deutschland am Wochenende abgeschnitten habe. Tatsächlich sprach sich der 6:1-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach auch ohne meine Hilfe rasant herum. Mein Telefon klingelte ich ständig und ich nahm als inoffizieller 96-Botschafter in Chile die Glückwünsche dankend entgegen. Sogar meine Frau schlüpfte in die Rolle eines 96-Fans, um ihren Mitmenschen zu erklären, dass dieser Triumpf zwar noch nicht der Klassenerhalt, jedoch ein Schritt in diese Richtung gewesen sei.
Sie hatte meinen Wahnsinn wieder einmal mitbekommen. Normalerweise verkrieche ich mich während der 96-Auftritte im Arbeitszimmer und blicke gespannt auf den Bildschirm. Niederlagen werden fast verschwiegen oder mit Gossensprache kommentiert, Siege natürlich bejubelt. Am 33. Spieltag sprang ich nach fast jedem Tor, von Freiburger Treffern einmal abgesehen, euphorisch durch die Wohnung, dass selbst mein kleiner Sohn sehen wollte, was seinen Vater eigentlich so aufdrehte. Noch beim Frühstück hatte ich kaum etwas gesagt, zu sehr war ich in den Gedanken an die bevorstehende Partie in Hannover versunken. Ab 9.30 Uhr verwandelte ich unsere Wohnung in eine Fankurve und dieses 6:1 war eine Erlösung für alle. Mit dem Schlusspfiff hatte allerdings eine neue Anspannung begonnen. Sollten die Roten in Bochum verlieren, war alles nur eine schöne Momentaufnahme. Die Bedeutung von Sepp Herbergers Satz „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ war noch nie so spürbar wie in dieser Woche.