Borreliose – die verleugnete Krankheit

Von Ute Fischer

In Deutschland herrscht Borreliose-Krieg. Ärzte gegen Ärzte. Eine Hand voll Neurologen versucht das Meinungsbild der Borreliose zu beherrschen. Mit einer zweifelhaften Leitlinie, deren Quelle in den USA vom Staatsanwalt als korrumpiert entlarvt wurde, versuchen sie die Existenz einer Chronischen Borreliose zu leugnen. Mit gegenseitig zugeschusterten Gutachten täuschen sie Gerichte und fegen Patientenansprüche vom Tisch. Es geht um Geld. Um viel Geld. Gewinner ist die gesamte Versicherungswirtschaft einschließlich Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, gesetzliche und private Unfallversicherungen, die Rentenversicherung. Denn ohne Chronische Borreliose können Leistungen und Renten verweigert werden. Die Patienten landen bei Hartz IV oder in der Frührente.

Gewinner ist auch die Pharmaindustrie. Zwar interessiert sie sich kaum für Borreliose, denn die Patente der indizierten Antibiotika sind ausgelaufen. Generika bringen wenig Rendite. Hingegen ist mit den Fehldiagnosen der Borreliose – Multiple Sklerose, Fibromyalgie, Depression – tüchtig Geld zu verdienen. Obendrein handelt es sich um Indikationen, die im Gesundheitsfonds als schwerwiegend chronisch eingestuft sind, wofür die Krankenkassen zusätzliche Mittel vom Bund verlangen können. Zusätzlich sorgen Landes- und Bundespolitik mit inkompetenter Berichterstattung für noch mehr Irritationen. Jedes Jahr töten sich Borreliose-Patienten, weil sie entweder die Schmerzen nicht aushalten oder das Stigma, sie würden sich ihre Beschwerden im Internet anlesen.

Offiziell scheint der Ablauf einer Borreliose von der Diagnostik zur Therapie und Nachsorge in geregelten Bahnen zu verlaufen, behaupten die Funktionäre der Ärztlichen Selbstverwaltung. Jeder Hausarzt könne eine Borreliose diagnostizieren und therapieren. In der Telefonberatung der Patientenorganisation Borreliose und FSME Bundes Deutschland e.V. (BFBD) hört sich das ganz anders an. Etwa 90 Prozent der jährlich 3.000 Ratsuchenden aus ganz Deutschland fragen – oft im Auftrag ihres Hausarztes – nach einem Spezialisten.
Doch vergeblich sucht man in den Arztsuchportalen der Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen nach einem Borreliose-Arzt für Kassenpatienten. Als Privatpatient hat man bessere Karten, wenn man bereits ist, ein paar hundert Kilometer zu fahren und selbst zu zahlen.

Ärzte unterliegen zwar der Fortbildungspflicht. Doch niemand kontrolliert, ob sie ihr Wissen auf breiter Basis vervollkommnen. Die Infektiologie ist ein Stiefkind, das sich auf Aids und Hepatitis konzentriert. Das Nationale Referenzzentrum Borrelien (NRZ) verbreitet die Parole, dass sich die meisten Patienten ihre Beschwerden im Internet anlesen und erfand die unheilbare „Internet-Borreliose“. Stets mit einem breiten Lächeln setzt der Münchner Neurologe Hans-Walter Pfister mit der „Borrelioseneurose“ noch eins drauf. Alles eingebildet. Ab zum Psychiater.

Bei der Borreliose läuft vieles schief. Schon die Infektion selbst zeigt sich bei jedem Patienten anders. Nur etwa die Hälfte aller Erkrankten bildet eine Wanderröte,  topsicheres Zeichen für eine stattgefundene Infektion. Eine Laborbestätigung ist nicht notwendig. Denn Antikörper entwickeln sich erst vier bis sechs Wochen nach Infektion. Sofortige Therapie, ausreichend hoch dosiert und ausreichend lange, verspricht vollkommene Heilung. Doch diese Chance wird häufig vertan, weil sich der Arzt auf Laborergebnisse verlässt. Mehr als 50 Millionen Euro kosten diese überflüssigen Blutuntersuchungen, die mangels Standardisierung einer Lotterie gleichkommen. (Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung)

NRZ-Leiter Volker Fingerle erklärte schon vor Jahren, dass die meisten der etwa 30 ELISA-Antikörper-Suchtests „miserabel“ seien. Er ist aber nicht bereit, die Tests zu nennen, die sein Institut für zuverlässig getestet habe. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen, so Fingerle. Die Kassenärztlichen Vereinigungen, verschärfen die Situation dadurch, dass sie ihre Kollegen anweisen, keine weiteren Laboruntersuchungen anzustellen, wenn der ELISA negativ sei.  Das
bedeutet für viele Borreliosepatienten die Endstation für eine mögliche Heilung. Ihre Beschwerden werden mit Verlegenheitsdiagnosen abgetan. Es wird viel herumoperiert: am Carpaltunnel, an den Schleimbeuteln in Schulter und Knie, an der Bandscheibe. Und am Ende sind sie chronisch krank.

Borreliose ist eine bakterielle Infektion, die durch Zecken übertragen wird. Nach Fallzahlen der Techniker Krankenkasse infizierten sich 2009 nahezu 800.000 Versicherte mit Borrelien.Die Dunkelziffer ist hoch, denn nur etwa die Hälfte der Infizierten reagiert mit einer Wanderröte. Die Symptome sind vielfältig von grippeartigen Kopf-, Muskel- und Nervenschmerzen über Gelenkentzündungen am ganzen Körper bis zu Lähmungen, psychiatrischen Aussetzern, demenzähnlichen Zuständen  und Persönlichkeitsveränderungen.  Angeblich heilen etwa 90 Prozent der Neuinfektionen im Frühstadium aus, bleiben also zehn Prozent, die in einem chronischen Stadium landen und häufig von ihrem Arzt als austherapiert bezeichnet werden.  Die Ärzteorganisation Deutsche Borreliose-Gesellschaft e.V. rechnet, dass sich wenigstens eine Million Deutsche mit den Folgen einer Borreliose auseinander zu setzen hat. Alle alten Bundesländer, wehren sich gegen eine Meldepflicht, obwohl eine EU-Richtlinie bereits 1998 die jährliche Meldung der Borreliosefälle verlangt. Die vermeintlich aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts von 40.000 bis 80.000 jährlichen Fällen sind 17 Jahre alt.

Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und auf Borreliose spezialisierte Buchautorin. Als Vorsitzende des Borreliose und FSME Bundes Deutschland  e.V. hält sie Kontakt zu mehr als 100 Borreliose-Selbsthilfegruppen in Deutschland und erfährt das Elend der nicht ernst genommenen Borreliosepatienten täglich hautnah.

www.borreliose-bund.de, www.borreliose-gesellschaft.de, www.borrelioseforum.de


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