ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« 579
Von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
Immer mal wieder, von der Kunst beflügelt und im Heißhunger auf Fundworte der Vergangenheit die unsere ach so spektakuläre, ach so eitel sich spreizende Gegenwart relativieren könnten, suche ich den Weg in Antiquariate. In der alten Residenzstadt Putbus, in der Alleestraße 9, wurde ich diesbezüglich schon oft fündig. Das kleine Ein-Zimmer-Antiquariat Das Wort bietet Überraschungen jede Menge und beglückt nicht nur mein Bibliophilenherz.
Als ich Ende Februar über den Journalisten und Literaturkritiker Ludwig Börne (1786-1837) schrieb, fehlte mir ein Gutteil Primärliteratur aus der Hand Börnes. Ich hielt mich an Heine, seinen Freundfeind in Paris, der sich über Börne in allen erdenklichen Wortarabesken auslassen konnte und wurde nicht enttäuscht. Nun aber stieß ich auf einen opulenten Band von Börne, der seine Briefe aus Paris komplett enthielt. Es sind die 115 Briefe, die Börne zwischen September 1830 und März 1833 an seine Freundin Jeanette Wohl nach Frankfurt geschickt hatte und die er beim Verleger Campe in Hamburg veröffentlichen ließ. Wahrlich, sie sind »eines der eindrucksvollsten publizistischen Agitationswerke des deutschen Vormärz«.
In Börnes breit aufgestellten kulturellen und politischen Panorama-Bildern findet man zahlreiche Hinweise auf Persönlichkeiten, die uns heute noch bewegen. Ich entdeckte eine inhaltsreiche Passage über Jean-Jaques Rousseau (1712-1778), dessen 300. Geburtstag wir am 28. Juni voller Respekt begingen. Börne schreibt in seinem dreiundsiebzigsten Brief vom 2. 2. 1832: »Es gab keinen Menschen, der das Gute mehr geliebt, das Schlechte mehr gehasst hat als er. Er kämpfte sein ganzes Leben für Freiheit und Recht, und warum wurde er so verkannt? Warum wurde er so verspottet? Warum war sein Leben so voll Schmach und Not? Er verspottete die Gemeinheit und war gutmütig gegen die Gemeinen; er bekämpfte den Trug und lebte in Frieden mit allen Betrügern; er verfolgte alles Schlechte und schonte die Schlechten. Über die Sache verschwand ihm der Mensch; er liebte das Gute und verstand die Guten nicht zu lieben; aber man muss Feinde haben, um Freunde zu finden, man muss hassen, um lieben zu können. Rousseau hasste und liebte keinen, darum stand er allein… Darum ging er zugrunde. Alle Blitze seiner Beredsamkeit gebrauchte er für andere; für sich selbst war er wehrlos und stumm.«
Nun weiß ich – über Börne – warum. ARTus
Vor 300 Jahren wurde der Schriftsteller, Philosoph, Naturforscher und Komponist der Aufklärung Jean-Jaques Rousseau geboren. Zeichnung: ARTus