warum die höchste Geisteshaltung frei von Anhaftung ist.
Da in den letzten Tagen immer wieder nach dem Zusammenhang von Mitgefühl und Helfen gefragt wurde.
Im Buddhismus geht es ja nicht um Mitgefühl allein. Zwar wird das immer als der Kern des Dharma dargestellt, aber es ist dennoch ein etwas größeres Thema. Wie sehr man hilfreich für andere sein kann, hängt ja nicht nur von einem allein ab, sondern wird auch von der Fähigkeit der anderen Person und der begleitenden Umstände mitbestimmt.
Grundlegende Geisteshaltung
Mitgefühl selbst ist einer von vier Aspekten. Neben Gleichmut, Mitfreude und liebender Güte gehört Mitgefühl zu den vier Aspekten des wünschenden Bodhicitta. Natürlich sind diese vier Geisteshaltungen von so großer Tragweite, dass sie, wenn man sie miteinander in der Praxis verbindet, zur Realisation der vier Buddhakayas führen. Aber eines sollte man sich auch klar machen. Dies sind Geisteshaltungen, d.h. grundsätzliche Einstellungen und Lebenshaltungen, die unermesslich weitreichend sind.
Ausgerichtet auf der Ebene des relativen Bodhicitta, also in Bezug zu den fühlenden Wesen hervorgebracht, münden diese Geisteshaltungen – und dabei besonders Mitgefühl – ohne ein Verständnis des individuellen Leerseins von Identität, wie auch der Leerheit der Phänomene bald in einer Sackgasse. Gleichmut erschöpft sich allzu rasch und endet in Resignation. Mitgefühl wird dann allzu leicht mit Helfen verwechselt und so manche enden dann in einem Helfersyndrom. Güte bzw. Freundlichkeit wird zu leicht mit Gefälligkeit verwechselt und ein falsches Verständnis von Freude kann dazu führen, dass man meint, es allen recht machen zu müssen.
Doch gibt Longchenpa in seinem „Ruhen in der Natur des Geistes“ (tib., sems nyid ngal gso) klare Anweisungen, wie man sich bei dieser Praxis auszurichten hat. Auch in den Lehren zum wünschenden Bodhicitta werden klare Erklärungen gegeben, wie diese vier unermesslichen Geisteshaltungen praktiziert werden. Wie schon oben angemerkt, es sind Geisteshaltungen, die nicht in unmittelbar konkreten Handlungen zum Ausdruck kommen, sondern eine Lebenshaltung darstellen. Wie die höchste Geisteshaltung – der Geist auf Erleuchtung ausgerichtet – nun zum Ausdruck kommt, erfolgt wiederum über die Lehren zum tätigen Bodhicitta.
Erleuchtungsgeist in Aktion
Der tätige Erleuchtungsgeist wiederum besteht aus den sechs überweltlichen Tugenden – den Paramitas. Dabei sind Großzügigkeit, ethischer Disziplin, Duldsamkeit, freudiges Streben und Versenkung vom höchsten Erkennen – dem Verständnis des Leerseins aller Wesen und Phänomene – durchdrungen. Da man somit die wechselseitige Bedingtheit von ausführender Person, empfangendem Wesen und der Handlung selbst als ungetrennt versteht, wird illusionsgleich agiert. Man erschöpft sich so nicht mehr in einem Zwang zu helfen, sondern versteht die Ursachen und begleitenden Umstände als wesentliche Faktoren für die Taterfüllung.
Ich-Überhöhung
Und mal ehrlich, ein paar freche Fragen zum Ende. Wenn man meint, einem anderen nicht ausreichend geholfen zu haben, wie allmächtig meint man zu sein? Woher weiß man, was für ein anderes Wesen „hilfreich“ ist? Welches Konzept, welche Vorstellung von „Hilfe“ und „helfen“ hat man? Und eine etwas ketzerische Frage: wie viel Ich-Überhöhung versus Anderer-Erniedrigung ist mit im Spiel?