Für viele, die noch nie in Rostock waren, handelt es sich bei Rostock immer noch um unbekanntes Gebiet. Rostock? Liegt das nicht irgendwo im Wilden Osten? Ist es dort nicht einfach nur grau? Scheint da überhaupt die Sonne?
Solchen und ähnlichen Vorurteilen begegnen einem zwangsläufig, wenn man sich in anderen Städten für seinen Wahlheimatort rechtfertigen muss. Fakt ist: Rostock ist im Norden Deutschlands angesiedelt und ist die größte Stadt des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Demzufolge findet man in Rostock also viel mehr norddeutschen Charme als den Wilden Osten vor. Was das zweite Vorurteil betrifft: Ich gestehe, bevor ich nach Rostock zog, besaß ich ebenfalls die Vorstellung von grauen Fassaden und einem tristen Stadtbild. Aber weit gefehlt: Vor allem im Stadtzentrum dominieren die bunten Häuserfassaden und überhaupt: Welche Stadt kann schon ein rosa Rathaus vorweisen?
Hamburgs unbekanntere aber natürlich sehr viel schönere Schwester im Norden zeichnet sich durch die Nähe zur Ostsee, den belebten Stadthafen im Zentrum, das Flair der Altstadt, das bunte Studentenviertel und durch die lebendige Kneipen-und Cafészene aus. Ebenfalls wird Rostock oft mit der Hanse Sail, den Höhen und Tiefen des Tradititionsvereins Hansa Rostock, der Universität und bekannten Söhnen der Stadt wie Marteria, Joachim Gauck und Uwe Johnson genannt. Weniger erfreulich ist da die Assoziation mit den Anschlägen in Lichtenhagen Jahr 1992, die in der Außenwirkung nach wie vor einen braunen Schatten auf Rostock werfen.
Vielleicht ist es gerade diese Ambivalenz aus bunten Fassaden und braunem Sumpf, vornehmer Hansestadt, grauen Plattenbauten und alternativer Studentenszene, Warnower Hafenmilieu und Warnemünder Pracht, die dafür sorgen, dass Rostock sich immerzu auf´s Neue sucht, weiterentwickelt, neu entdeckt und doch auch sein hanseatisches Erbe pflegt. Wie leicht fühlt man sich hier Zuhause, nordish by nature hin oder her!
Dass sich derart schnell eine Art von Zugehörigkeitsgefühl in Rostock einstellt, liegt zum großen Teil sicher auch an den knapp 203.000 Einwohnern, die durch ein nordisch bestimmtes, aber angenehm uneitles und in guten Momenten sogar regelrecht herzliches Auftreten auffallen. Diese ungezwungene Lässigkeit zeigt sich vor allem in dem Studentenviertel KTV, wo eine alternative Gastroszene und eigenwillige Geschäfte auf die entspannte Lebensauffassung der Bewohner treffen. Rostock ist nicht hip und das weiß es auch. Schickimicki und urbane Weltläufigkeit sucht man hier vergeblich. Stattdessen dominieren bunte Graffiti, Hansa Sticker und ACAB Schriftzüge, Glasscherben, abgerockte Kneipen, Jogginghosen und Kapuzenpullis das Bild der Stadt. Rostock ist nicht für jeden was – aber das will es auch gar nicht sein.
Was man schnell merkt: Diejenigen, die sich in der alten Hansestadt niederlassen, die haben Bock: Bock auf ihre Stadt. Bock auf Rostock! Denn es ist doch so: Wer jede Nacht woanders Party machen will, zieht nach Berlin. Wer auf Bier, Dirndl und Volks Rock’n Roller steht, wird in München glücklich. Wer am liebsten im Bärenkostüm einkaufen geht, sucht sein Glück in Köln. Und was will man nun genau in Rostock? Würde es nicht so pathetisch klingen, würde ich sagen: Freiheit. Weit weg von Fashion Week, Silent Disco und Superfood Restaurants kann man in Rostock nämlich verdammt gut leben! Das Meer um die Ecke, den Hafen vor der Haustür, Restaurants, Bars, Kino und Geschäfte sind mit dem Fahrrad in wenigen Minuten erreichbar. Wer Lust auf einen kurzen Schnack hat, setzt sich abends im Freigarten an den Tisch. Wer lieber schweigen will, spaziert entlang der Warnow nach Gehlsdorf. Statt einer großen Show macht jeder hier sein Ding.
Man muss aber auch gar nicht alles toll finden an der Stadt: Man darf sich ruhig über rechte Wahlergebnisse ärgern, die Augen über den Streit um das Volkstheater verdrehen, die Hanse Sail für Glasperlenspiel-Konzerte auslachen, pöbelnde Hansa Hooligans blöde finden, kein Bock mehr auf Anker-Tattoos und Ringelshirts haben, über den Wind und den Regen schimpfen und auch mal kurz traurig darüber sein, dass Rostock eben doch nur Rostock ist (z.B. wenn man im Sommer Lust auf Freiluftkino bekommt oder die Lieblingsband gefühlt in jeder anderen deutschen Stadt außer in Rostock auftritt). Aber dann sollte man die Unzufriedenheit wieder auf die Kleiderstange zu der praktischen Regenjacke und dem Feine Sahne Fischfilet – Hoodie hängen, bequeme Turnschuhe anziehen, rausgehen, die Frische der Luft und die Natürlichkeit der Bewohner genießen. Rostock ist nicht das neue Berlin, Hamburg oder Kopenhagen. Und wird es zum Glück auch niemals sein.
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