Blutschuld – oder Freispruch für Läuse

Von Rangdroldorje

Da ja immer wieder Themen wie Ernährung, Tierschutz, Lebenswandel auch für buddhistisch Praktizierende von Bedeutung sind, mag ich euch heute mal eine kurze Geschichte von Nyulchu Gyalse Togme Zangpo (tib., dngul chu rgyal sras thogs med bzang po) erzählen.
Togme Zangpo war ja jener Kadampa-Praktizierende des 14. Jhdts., der die berühmten Verse 37 Übungen der Bodhisattvas verfasst hat. Diese Verse sind natürlich ein Fundus des Mahayana-Geistestraining, der quer durch alle Schulen große Anerkennung findet und von allen Lehrern den Praktizierenden ans Herz gelegt wird. Außerdem hat Togme Zangpo auch noch einige Verse verfasst, die davon handeln, wie man Krankheit und widrige Umstände in den Pfad bringt. Zuvor aber ein paar einführende Worte.

Training kraft des Geistes

Welche Kraft das Geistestraining entfalten kann, ist an dieser Geschichte besonders gut zu erkennen. Aufgrund unserer Handlungen sind wir auch mit anderen in Verbindung und so schaffen wir durchaus auch Ungleichgewichte. Diese Ungleichgewichte werden auch „Schuldner-Gläubiger-Verhältnisse“ genannt. Durch bestimmte Praktiken kann man natürlich diese Ungleichgewichte wieder ausgleichen. Als eine Idee unter mehreren Möglichkeiten verweise ich dazu auf das Chöd – das Geben des eigenen Körpers.
Aber auch die Praxis der Wunschgebete kann hilfreich sein. Nicht umsonst erwähnt der Karmapa Orgyen Thinle in seinem Rat über Fleischkonsum, dass Praktizierende, wenn sie schon Fleisch essen, dies immer mit entsprechenden Wunschgebeten für das verstorbene Tier begleiten sollen. Dies wird auch im Vajrayana als „Großes Mitgefühl“ bezeichnet, da man ja eine unauflösliche Verbindung mit dem betreffenden Wesen eingegangen ist und diese dementsprechend konstruktiv nutzen kann.

Quälen bis aufs Blut

Also da war einmal ein Mann – nennen wir ihn Pünkya Timug, der von Läusen geplagt war. Sein Körper war bedeckt mit lauter roten Flecken, die von den Bissen der Läuse stammten. Es juckte, brannte und war zum Verrückt-werden. Sie quälten ihn wortwörtlich bis aufs Blut.
Auf seiner Suche nach Erleichterung kam er auch einmal bei Togme Zangpo vorbei und sprach mit diesem. Togme Zangpo war ein großer Praktizierender des Mahayana-Geistestrainings und im Tonglen sehr bewandert. (Zur Info: Tonglen ist Nehmen und Geben und bildet den Kern des Mahayana-Geistestrainings und des angewandten Bodhicitta.)
Da bot ihm Togme Zangpo an, mit Pünkya Timug die Kleidung zu tauschen, die voller Läuse war. Also zog Timug seine Laus verseuchte Kleidung aus und Togme Zangpo gab ihm seine. Was für eine Wohltat war das für Pünkya Timug. Endlich einmal keine juckenden, beißenden und blutenden Stellen. Frohen Mutes ging er des Weges. Togme Zangpo hingegen zog unbekümmert die Laus verseuchte Kleidung des Mannes an und setzte sich nieder zur Meditation und rezitierte einige Dharani-Mantras für sie.
Togme Zangpo bot den Läusen seinen Körper als Nahrung an und nach einiger Zeit verspürte er nicht einmal ein Jucken oder Brennen. Als er dann einmal in seine Kleidung blickte, sah er, dass nur mehr die leeren Larven darin übrig waren. Aus diesen leeren Larven fertigte er einige Tsatsas[1]. Deshalb wurde ihm auch später der Beiname „Gyalse“ – Sohn der Sieger – gegeben, was einen Bodhisattva bezeichnet.
Just zu der Zeit bemerkte Pünkya Timug, dass die Läuse wieder zurückgekehrt waren und es erneut zu jucken begann. Also lief Pünkya Timug wieder zu Togme Zangpo und wollte sich darüber beschweren, warum das alles jetzt wieder über ihn hereingebrochen war. Aber als er bei Togme Zangpo ankam und gab ihm dieser eine Belehrung: „Weißt du, Pünkya Timug, das hängt einfach mit den Blutschulden zusammen und beruht auf deiner karmischen Verbindung mit ihnen. Als ich deine Kleidung genommen habe, sagte ich mir, wenn ich mit einem dieser Wesen eine Schuldner-Gläubiger-Verbindung habe, dann möge sich diese durch mein Opfer auflösen. Aber da ich keine mit auch nur einem einzigen dieser Wesen hatte, ließen sie von mir ab und gingen zu dem, der mit ihnen in Verbindung steht. In früheren Leben waren es verschiedene Wesen, an deren Fleisch und Blut du Freude hattest. Heute manifestieren sie sich als Läuse, die diese Schulden beglichen haben wollen.“
Daraufhin verstand Pünkya Timug den Zusammenhang und widmete sich dem Geistestraining.

Schulden begleichen

Nicht alle werden jetzt wahrscheinlich diese Kraft aufbringen, von jemand anderem so eine Kleidung anzuziehen. Und gewiss einige würden eher mit Vernichtung der Läuse reagieren oder die Geschichte in Zweifel ziehen. Aber es ist jedenfalls ein hilfreicher Ansatz, auf die Beziehungen zu achten, die man mit den fühlenden Wesen eingeht. Da wir alle Nahrung in verschiedenster Art und Weise zu uns nehmen, schaffen wir durch Fleischnahrung auch eine Form von Fleisch- und Blutschuld. (Ja, diese Begriffe sind jetzt keine moralisierenden Erfindungen von mir, sondern finden sich auch in den Praxistexten wieder. Sie beschreiben, dass man etwas nimmt und nichts gleichwertiges dafür gibt.)
Und nun stellt sich die Frage, wie kann man mit diesen Verbindungen, die sich manchmal unweigerlich ergeben, am besten umgeht. Einerseits kann man die Ernährung umstellen und eine andere Lebensführung pflegen, d.h. einfach keine Schulden machen. Oder man es kann andererseits auch mit dem Wunsch zur Befreiung versehen, in den Pfad bringen und zur Praxis machen. Die Wahl der Mittel hängt von den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten ab.

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[1] Das sind Abbilder aus Wasser und Erde bzw. Ton und stellen meist Buddhas, Bodhisattvas oder Meditationsgottheiten dar. Diese werden als Opfergaben an besondere Plätze gelegt.