Es ist eine wahre Odysee, die der namenlosen* Fotograf da durchmacht. Wir sehen 24 Stunden seines scheinbar gewöhnlichen Arbeitstages, begleiten ihn durch Zeit und Raum, fühlen den Geist des Swinging London, doch dann entdeckt der Fotograf, dass er durch seine Kamera offenbar zum Zeugen eines Mordes geworden ist und beginnt die Suche nach der Wahrheit, nach der Wahrheit über den Mord und nach der Wahrheit über die Ontologie des (Ab-)Bildes. BLOW UP ist dabei keine Kriminalgeschichte, es ist eine scheinbar neutrale, fast schon dokumentarische, aber stilisierte Beobachtung dieses einen Tages aus der Sicht des Fotografen. Antonioni nutzt eine Kurzgeschichte von Julio Cortázar, um eine Geschichte über “Bedeutungen und Bedeutungslosigkeiten” zu erzählen. Die Chronik dieses Tages gibt dem Zuschauer etliche Informationen, doch auch wir glangen wie der Protagonist auf Irrwege, weil wir eben alles nur durch seine Augen erleben und eigentlich sogar nur durch die Bilder, die Antonioni uns gewährt.
# Die erste Szene, eine Straße in London, eine Gruppe von Jugendlichen gekleidet als Pantomimen laufen durch die Menge von Passanten, dann der Blick auf die Toren eines Obdachlosenheims, das der Protagonist gemeinsam mit vielen anderen verlässt. Aus einer Papiertüte nimmt er eine Kamera heraus, steigt in seinen Rolls-Royce und fährt durch die Straßen, trifft dabei wieder auf die Pantomimen, dazwischen zwei unbeholfenen Nonnen und ein deplaziert wirkender Wächter.
# Der Held ist ein attraktiver, aber gelangweilter, zynischer Fotograf, der überwiegend für seine Modefotografien berühmt zu sein scheint. Schauspieler David Hemmings Profil erinnert an Michelangelos David, und als Vorbild für die Rolle diente offenkundig Starfotograf David Bailey (und modisch angeblich Gunther Sachs). Doch die inszenierte Modefotografie scheint nur ein vorübergehender Kompromiss zu sein, auch wenn sich Models um eine Zusammenarbeit mit ihm reißen, er sehnt sich nach einem realistischen Sujet und nach künstlerischer Freiheit. Solange begegnet er seinen Mitmenschen mit Arroganz, behandelt seine Modelle mit Herablassung und mit seinen Assistenten wechselt er kaum ein Wort. Schon beginnt er auch mit der Arbeit, Veruschka wartet bereits länger auf ihn im Studio, mit viel Haar und von einer schwarzen Fransendecke bedeckt. Darunter enthüllt sie ein schwarzes Pailettenkleid, das an den Seiten ausgeschnitten ist und folgt den Anweisungen des Fotografen. Der Ablauf der Bewegungen steigert sich zu einem symbolischen Geschlechtsakt, das daraus entstandene Filmplakat ist legendär und keine Rezension in der man nicht den Hinweis liest über die Kamera, der Linse als Phallussymbol für seine Macht über das Modell. Am Ende begibt er sich erschöpft auf die Couch, das Modell bleibt liegen, beutzt und unbefriedigt.
# Direkt der nächste Job, die fünf “Birds” (darunter Peggy Moffitt), sollen für eine Modezeitschrift fotografiert werden. Der Fotograf lässt sie bellen und sich verrenken, ist aber so über das Resultat frustiert, dass er sie in ihrer Position erstarren lässt und so verlässt. Die Kleider – ich weiß nicht ob extra für den Film kreiert oder bloß ausgewählt, da die Credits für das Kostümbild etwas unklar sind – sind im Stil von Mary Quant oder Rudi Gernreich.# Er geht rüber zur Nachbarwohnung, da wohnen ein Mädchen – die ausgetauschten Blicke deuten darauf hin, dass die beiden mal was gehabt haben könnten – und ihr Freund, ein Maler. Die beiden Männer unterhalten sich über ein Bild des Malers und es folgt ein Verweis auf die Thematik des Filmes, auf das, was noch geschehen soll: “They don’t mean anything when I do them. Afterwards, I find something to hang onto. Like that leg,” und der Freund deutet auf eine Stelle auf dem pointilistisch-kubistischen Bild. “Then it sorts itself out. It’s like finding a clue in a detective novel.”
# Wieder im Studio stehen zwei junge Mädchen vor der Tür (Jane Birkin und Gillian Hills), im Partnerlook, die eine blond, die andere brünett. Verschüchtert bitten sie um ein Shooting, damit er ihnen zu einer Karriere verhelfen kann, er verfügt tatsächlich über Macht. Er mustert die beiden, hat aber kein rechtes Interesse und vertröstet sie auf später. Sie rennen ihm noch hinter seinem Wagen her, können ihn aber nicht aufholen.
# Er fährt zu einem Antiquitätenladen, offenbar in einem Schwulenviertel. Doch der alter Verkäufer will ihm nichts überlassen, also will der Fotograf auf die Besitzerin warten und fährt solange weiter.
# Er ist nun in einem Park, wirkt lebendiger als zuvor, knipst Motive. Alles ist ruhig und man hört nur das intensive Rascheln der Blätter. Er entdeckt ein turtelndes Paar und fotografiert es heimlich aus verschiedenen Positionen, dabei versteckt er sich, wie ein Privatdetektiv oder wie später der Mann mit der Pistole, den er auf Bildern zwischen den Gebüschen entdecken wird. Dieser Verweis auf das zukünftige Geschehen ist zugleich auch wieder eine Symbolisierung der Macht der automatisierten Kamera, jeder “Schuss” kann töten. So erschreckt sich die Frau, als sie bemerkt, dass sie abgelichtet worden ist und rennt in Panik auf den Fotografen zu und bittet darum, ihr den Film zu überlassen. Nach mehrmaligen Versuchen gibt sie verzweifelt auf und flüchtet vom Park. Der Mann, mit dem sie zuvor noch da gewesen war, ist bereitsverschwunden.
# Wieder zurück im Antiquitätenladen stellt sich heraus, dass die Besitzerin ein junges Mädchen ist. Er entdeckt sofort einen raumgroßen Propeller aus Holz und kauft ihn ihr ab, sie versuchen es noch im Auto zu verladen, aber weil er zu groß ist, verspricht sie, ihn späterliefern zu lassen.
# Der Fotograf trifft sich mit seinem Verleger zum Essen und zeigt ihm seine Arbeiten, die er in der Nacht im Obdachlosenheim gemacht hat. Sie zeigen portraithafte Momentaufnahmen der Armen, eine ganz andere Welt als die Hochglanzstrecken für die Modemagazine. Als er das Lokal verlässt, bemerkt er, dass er verfolgt und beobachtet wird, doch er kann den fremden Mann nicht einholen und erfährt nicht, was es damit auf sich hatte. Auf dem Weg zurück ins Studio trifft er in seinem Wagen auf eine Gruppe von Streikenden, denen er offenbar wohlgesonnen ist, sie amüsieren ihn und er bietet ihnen an, eines der Schilder an seinem Auto zu befestigen, auch wenn es schon nach wenigen Sekunden vom Auto wegfliegt und auf der Straße landet.
# In seinem Studio taucht plötzlich die Frau vom Park auf. Man erfährt nicht, woher sie seine Adresse hat, ahnt aber, dass es mit der Verfolgung zuvor zu tun hat. Sie fordert wieder die Negative, weiß aber, dass er sie ihr nicht einfach so überlassen wird. Daher schmeichelt sie sich zunächst bei ihm ein, versucht sich in dem Loft zurechtzufinden, raucht mit ihm einen Joint. Sie wirkt plötzlich entspannter und bevor es zu einem intimeren Kontakt zwischen den beiden kommt, wird die Szenerie durch das Türklingeln unterbrochen. Der Propeller ist da. Währenddessen läuft die Frau weiter durch die Wohnung, sie hat sich obenrum ausgezogen, versucht sich selbstbewusst und zutraulich zu geben, doch ihre Anspannung und Besorgnis kann sie nicht verbergen. Das Bild von ihr an der lilanen Fotoleinwand erinnert an Irving Penns Corner-Portraits. Sie fühlt sich sichtlich unwohl und als sie erneut die Negative fordert, gibt er ihr einen leeren Film (was sie natürlich noch nicht weiß).
# Neugierig geworden durch das übertriebene Interesse der Frau an die Bilder, entwickelt er den Film und pinnt die Fotografien an die Balken seines Studios. Wie bei einem Storyboard reiht er die Bilder aneinander und versucht ihnen die Ursache für die Aufgebrachtheit der Frau abzugewinnen. Es ist eine sehr schöne Szene, weil sie so ruhig und konzentriert ist, keine Hintergrundmusik, die dem Zuschauer die Spannung und Wichtigkeit des Gesehenen vermitteln soll, keine Worte, die erklären wollen, nur die Bewegung der Kamera, die den Blick des Fotografen verfolgt und ihn für uns imitiert. Und plötzlich scheint er was entdeckt zu haben und nachdem er den Ausschnitt des Fotos vergrößert (blowup – aufblasen), bemerkt er zwischen den Gebüschen einen Mann mit einer Pistole auf das Paar gerichtet. Er gewinnt den Fotografien eine neue Wirklichkeit ab, die er zuvor mit bloßem Auge im Park nicht bemerkt hat. Er glaubt, durch die Unterbrechung der Parkszene durch sein Fotografieren den Mord verhindert zu haben.
# In diesem Moment der Spannung klingelt es wieder an der Tür und der Fotograf glaubt, dass es sich wieder um die Frau handelt, die den Betrug bemerkt hat. Er positioniert sich lässig vor der Tür und lässt sich mit dem Öffnen Zeit. Doch überschwenglich treten die beiden Mädchen von zuvor ein. Auch wenn er ein wenig enttäuscht ist und sicher auch genervt von den gackernden Hühnern, lässt er sie herein, wie versprochen. Die beiden schauen sich ungeniert im Studio um, probieren die hübschen Kleider der Supermodels an und er neckt sie und fängt schließlich an, spaßeshalber mit ihnen zu catchen.
# Nach der “Kampfszene” herrscht wieder Ruhe im Studio, die beiden Mädchen sitzen ihm zu Füßen und ziehen ihn sorgsam wieder an. Ob es zum Sex gekommen ist, ist der Fantasie des Zuschauers überlassen. Der Fotograf richtet sich auf und blickt wieder auf seine Bilder. Er scheint etwas neues in ihnen entdeckt zu haben und verfällt wieder seiner Besessenheit. Er schickt die Mädchen weg, das Shooting, das er ihnen versprochen hat, hat er immernoch nicht mit ihnen gemacht, wieder vertröstet er sie flüchtig. Er vergrößert nun einen neuen Bildausschnitt, diesmal so stark, dass man auf den ersten Blick nur schwarze und weiße Pixel erkennt. Schließlich wird ein liegender, männlicher Oberkörper hinter einem Gebüsch erkennbar, die Begleitung der Frau im Park. Sein Blick / die Filmkamera versucht nochmal den Fall zu rekonstruieren, ruhig gleitet sie über die einzelnen Bilder und versucht, einen Handlungsablauf herzustellen, Verbindungen zu aufzulösen. Und es scheint, als habe der Fotograf im Park immer nur einen begrenzten Raum eingefangen, nur einen kleinen Teil von dem Raum, in dem die Handlung sich abspielte. Und jedes Bild verweist auf den über sie hinaus gehenden Bildrand. Da ist der ängstliche Blick der Frau, aber wo guckt sie hin? Da ist die Waffe im Gebüsch, aber worauf zielt sie? Da liegt der Mann plötzlich auf dem Boden, der eben noch stand, was ist passiert? In seiner Dunkelkammer beleuchtet er das Bild mit dem Mann von allen Seiten, richtet kleine Scheinwerfer auf die “Bühne des Geschehens”. Schließlich wird ihm bewusst, dass er nicht, wie zuerst angenommen, einen Mord verhindert hat, sondern unwissentlich Zeuge eines Mordes geworden ist. Im Park selbst, in der Realität, ist ihm der Vorfall entgangen, aber die Bilder, die er durch die Linse gemacht hat, die durch die Kamera entstanden sind, verraten Tatsachen, die ihm entgangen sind und konstruieren die Wirklichkeit. Er fährt zurück in den Park und sieht dort tatsächlich an der selben Stelle wie auf dem Bild die Leiche des Mannes liegen. Es ist inzwischen dunkel geworden, er berührt den Leichnam, um sich zu vergewissern, dass der Anblick nicht wieder bloß eine Täuschung ist.
# Wieder zu Hause bemerkt er, dass bei ihm eingebrochen worden ist, alle Fotografien der Tat sind verschwunden, bis auf eines, das hinter die Möbel gefallen ist, die vergrößerte Aufnahme der Leiche, die aber auch gleichzeitig alles andere darstellen könnte. Er versucht die Frau aus dem Park anzurufen, aber es scheint, dass sie ihm eine falsche Nummer gegeben hat. Viele Rückschläge für den selbstbewussten Fotografen, erst scheint er einen so wichtigen Hergang wie einen Mord nicht bemerkt zu haben, dann wurde er auch noch von der Frau gelinkt, von der er glaubte, dass er sie betrogen habe. Als seine Nachbarin vorbeikommt, erzählt er ihr vom Mord und zeigt ihr seine vergrößerte Fotografie. Sie vergleicht das unscharfe Bild mit den abstrakten Bildern ihres Freundes. Der Fotograf zieht zunächst weiter, aus dem Auto heraus glaubt er, die Frau aus dem Park gesehen zu haben, doch ist sie wieder verschwunden. Auf der Suche nach ihr, kommt er in einem Nachtclub. Die Yardbirds spielen Stroll on, aber das Publikum wirkt zombieartig, einige bewegen sich unauffällig im Takt, aber keiner zeigt eine geringste Emotion. Jeff Beck zerstört auf der Bühne seine Gitarre, als er den Hals davon in die Menge schmeißt, fängt das Publikum plötzlich an zu kreisch und stürzt sich auf die Reliquie, doch der Fotograf ist am schnellsten, er schnappt sich den Gitarrenhals, kämpft sich raus und flüchtet aus dem Saal ins Freie. Er hat die Wilden abgehängt, doch kaum ist er draußen, betrachtet er das Stück der Gitarre in seiner Hand. An dem neuen Ort gilt eine andere Wirklichkeit und der Gegenstand hat seine Bedeutung verloren. Er schmeißt es unachtsam auf die Straße. Jemand sieht es und hebt es auf, guckt sich den Gegenstand an, kann aber darin keinen Wert erkennen und schmeißt es erneut weg. Großartige Szene, dank der Musik, dem komatösen Publikum und der fabelhaften Klamotten der Mods!
# Der Fotograf geht zum Haus seines Verlegers, in dem eine Party stattfindet. Alle um ihn herum scheinen high zu sein, sogar sein Freund und Verleger. Plötzlich taucht Veruschka wieder auf, in einem senfgelben Schlangenlederkleid mit hüfthohem Gürtel und Stiefeln. Sie sollte um diese Zeit eigentlich schon in Paris sein, “I am”, antwortet sie auf seine Bemerkung. Offenbar gelten in diesem Raum wieder ganz andere Gesetze und jeder befindet sich in seiner eigenen Realität. Er schläft in einem der Räume ein und als er am nächsten Morgen aufwacht, ist keine mehr da. # Er geht wieder in den Park, doch die Leiche ist verschwunden. Es ist wieder hellichter Tag und die Beweise über den Mord haben sich aufgelöst, bevor er die Situation aufklären konnte. Wieder hören wir nichts als das Rascheln der Blätter und sein Blick in die Leere.
# Der Fotograf bemerkt die Gruppe der Pantomimen auf dem Tennisplatz, die ein bizarres Match mimen. Es sind die Jugendlichen, die zu Beginn des Films, am Tag zuvor, bereits vorkommen und verkünden das zirkuläre Ende der Ereignisse. Sie spielen sich den imaginären Ball zu und an ihren Blicken erkennen wir, dass sich der Ball jetzt in der Nähe des Fotografen, außerhalb des Spielfeldes auf dem Gras befinden muss. Wir können den Ball sehen, obwohl er gar nicht da ist und zwischendurch auch hören, eine weitere Dimension der Täuschung durch bewegte Bilder, durch den Tonfilm. Er lässt sich auf das Spiel ein und wirft der Gruppe den Ball wieder zurück. Eine letzte Aufnahme auf den Fotografen, sein Lächeln verschwindet, er wirkt wieder nachdenklich. Und wir spüren die Leere, die dieses ungelöste Ereignis verursacht hat.Es scheint, als würde er sich über Realität und Illusion im klaren werden und schließlich verschwindet er selbst aus dem Bild und wir sehen nur noch das grüne Gras.
* Bei imdb heißt er Thomas, aber ich kann mich nicht erinnern, wann sein Name im Film fiel. Außerdem finde ich es gerade so spannend, dass im Film kaum jemand beim Namen genannt wird. So wie ein zufälliger Tag eines zufälligen Helden (oder Opfers, wie man will) eingefangen worden ist, vergeht diese Geschichte auch wieder und hinterlässt in uns nur ein Gefühl. Keine Namen, auf die wir uns berufen können, keine einduetigkeiten, nur Rätsel und Verweise.
Zum Abschluss noch zwei interessante Links, für Fans von BLOW UP. Im Independent gibt es eine Sammlung von Zitaten der Mitwirkenden an dem Film (David Hemmings, Jne birkin etc.) und Reaktionen, die von der Redaktion erfragt wurden. Und – obwohl ich davon nur abraten kann – in einer Ausgabe vom Spiegel von 1967 erfahren wir über etwas über nicht verwendete und nicht gedrehte Szenen, wie etwa die Auflösung über die Verfolgung und Hintergründe zu dem Mord. Aber da BLOW UP wie gesagt nicht als Krimi gesehen werden sollte und kann, lenkt diesee Art der Hintergrundinformation bloß von der Wirkung des Films ab.