"Blood Simple - Eine mörderische Nacht" / "Blood Simple" [USA 1984; Director's Cut]


Das Kino der Gebrüder Coen ist keines einer mörderischen Nacht, wie uns der deutsche Nebentitel ihres schrullig-schroffen Regiedebüts "Blood Simple" weismachen will. Um Himmels Willen, nein. Ist es mörderisch? Irgendwie schon. Einfach auch. Von Blut erzählt es. Soweit richtig. Aber nicht alle Coens verketten geerdete Einfach- in missverständliche Kompliziertheiten, und zwar nachts. "Blood Simple" gilt als Ausnahme. Denn dort spießen die Coens den Mythos Texas auf. Nach einer einzigen Nacht bleibt vom Mythos Texas ein noch größerer Mythos Texas übrig, darin suhlt sich eine unverschämte Pointe. In Texas laufen die Dinge eben anders, am Anfang sehr und am Ende noch mehr; dort muss der Cowboyhut sitzen und notfalls zurechtgerückt werden, und zwar mehrmals. Dort, in Texas, denken die Kinder, die Zigarette wäre ein Joint. Dort, in Texas, erweitert der Privatdetektiv sein Handwerk in etwas, wofür man eine gute Absicherung braucht.
In Texas wird geschwitzt und gefeiert im heißen Clublicht vor der sabbernden Aufsichtsbehörde, im Hinterzimmer dagegen gestorben und geblutet, post mortem. Seltsame Welt, keine simple. Durch und durch hetereo. Und einsam. Und dann noch diese Ventilatoren, diese Landstraßen und diese Wassertropfen. Dieser eine Wassertropfen, der swingt, nachdem sich alle Beteiligten – die meisten tot – schuldig gemacht haben, weil sie von dieser Coen-Welle schicksalsbesiegelnder Missverständnisse mitgerissen wurden, aufs offene Meer hinaus, wo es keine Rettung gibt, nur das Ertrinken, das Ertrinken in Blut. Das Kino der Gebrüder Coen ist wie ein mörderischer Traum; sie sind die Traumarchitekten des Unterbewusstseins, die mit codiertem Auge allegorische Wechselwirkungen erforschen und uns, den Träumenden, dabei immer mehr Informationen geben, als der Restsippe an Betrügern, Versagern, intellektuellen Falschspielern. An Coen-Archetypen. 
Wir sehen die ganze Zeit über das verschwundene Feuerzeug und rufen diesem dämlichen Typen heimlich zu, dass er doch endlich unter den Fischen nachsehen soll! Wir wollen die Katastrophe abwenden, sehen ihr aber unentwegt zu, müssen es; die Coens wollen unseren Schmerz spüren, sie sind mörderisch gerissen. Wer Träume konstruiert, dekonstruiert Realitätsgesetze. Das ist klar. Von nachhaltiger Akkuratesse beherrschen die Coens eine unorthodoxe Präzisionsökonomie, die jedes Bild zum Kommunikationsträger lakonischer Sinneinheiten erhöht. Sie sehen, was andere schauen. Zum Beispiel den (anscheinend) erschossenen Kneipenboss, der eingesunken auf seinem Kneipenstuhl zusammengefallen ist, vor ihm, auf dem Kneipentisch, liegen mehrere tote geangelte Fische. Alles in einem Bild – natürlich ist das schwarzer Humor, wer käme auf die Idee, das italienische Mafiamachtwort "…liegt bei den Fischen" wortwörtlich zu nehmen?

Die Coens werden nicht müde zu erwähnen, dass der unnötige Ballast an aufgedunsener Handlung, den man eh nicht braucht, vornherein abgeworfen werden muss. In Anbetracht dessen zeigen sie das Nötigste (oder vielleicht auch das Unnötigste), das allerdings eine Geschichte allein zu erzählen vermag: der Sex zwischen einem Licht- und Schattenspiel, mit der Kamera lässt man sich zudem aufs Bett fallen, während der Finger kurz vor der Telefonwählscheibe gegengeschnitten wird, mit dem Finger, der sich auf eine blutige, kreisrunde Stelle auf der Rückbank des (Tat-)Autos zubewegt. Noch Fragen? Die Coens nehmen auch den für sie klassischen Motelkampf vorweg ("No Country For Old Men"), ein irrwitzig-irrealer Gewaltrausch, ein wüstes Finale, das pures Adrenalin ist und selbstverständlich in einem… Missverständnis mündet. 
Überhaupt sterben die Figuren in "Blood Simple" einen dreckigen Tod, werden lebendig begraben und erschossen – die berüchtigte Begräbnissequenz verkörpert einen der authentischsten Gewaltmomente; nach ihm springt sogar der Motor des Fluchtfahrzeugs nicht an. Texas kann böse sein. Dieser Tod der Figuren hinterlässt jedoch, seien wir ehrlich, akute Kopfschmerzen, obwohl schlussendlich der Regentropfen Tango tanzt und der mit zerstochener Hand ballernde Oberfiesling ein letztes Mal die Wände auseinanderreißt, indem er schallend feixt. Man gewinnt ohnehin den Eindruck, dass in diesem Film jeder sein eigenes schallendes Lachen unterdrücken muss. Die Coens analysieren das Leise, sind aber manchmal auch sehr laut. So laut, dass wir ruckartig erwachen. Nur ein Traum, ein Coen-Missverständnis. Beruhigen Sie sich. Gehen wir lieber angeln.
6 | 10

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