Blogparade: Wahljahr 2010

Das Blöde am Blick über den Tellerrand ist, dass er meist auf Dinge fällt, für deren Einschätzung die nötige Qualifikation fehlt, weil sie sich auf den Teller beschränkt. Das Gute am Internet ist, dass man trotzdem seine Meinung hineinschreiben kann, damit der Falter eine Geschäftsgrundlage hat. Daher hat der Philosoph unter den österreichischen PolitbloggerInnen, Thomas Knapp, zur Stellungnahme aufgefordert zur Frage: Was ist vom Wahljahr 2010 zu erwarten? Ich beschränke meinen Antwortversuch auf die Bundespräsidentenwahl und die Landtagswahlen im Burgenland, in der Steiermark und in Wien. Es folgen: haltlose Spekulationen.

BundespräsidentInnenwahl – April

Antreten werden Heinz Fischer, Barbara Rosenkranz sowie Sonstige. Obsiegen wird völlig zurecht Fischer, wobei die blaue Übermutter einen Achtungserfolg erringen wird (auch wenn ich das Wort jetzt schon nicht mehr hören kann). Dank der zunehmenden “Verschlampung und Verschluderung” des politischen Klimas ist für sie wohl alles zwischen 10 und 25 Prozent möglich.

Burgenland – Mai

Landtagswahlergebnis Burgenland 2005
Landtagswahlergebnis Burgenland 2005 in Prozent (eckig) sowie die Sitzverteilung im Landtag (rund, insgesamt 36 Sitze); Grafik: eigene; Daten: www.wissenswertes.at; Wählerstromanalyse.

Die SPÖ ist wild entschlossen, ihre absolute Mehrheit mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Ihren Abwehrkampf gegen die blaue Gefahr führt sie auf Kosten der beiden Lieblings-Prügelknaben der österreichischen Politik: des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 (Militär für Angelegenheiten der inneren Sicherheit) und von AsylwerberInnen (Volksbefragung zu Eberau statt inhaltlicher Auseinandersetzung). Solcherart gestärkt geht man in die auf Mai vorverlegten Wahlen und kann die Verluste minimieren. Die Freiheitlichen profitieren vor allem von der Schwäche der VP, gewinnen NichtwählerInnen und werden gerade noch zweistellig. Die Grünen stagnieren.

Bemerkenswert ist, dass der tiefblaue Rundumschlag der SPÖ ausschließlich spekulativ erfolgt – verlässlichen Grund zur Annahme, man würde demnächst von der FPÖ abgeräumt, gibt es nicht. Weder 2005 noch 2000 verlor man in nennenswertem Ausmaß Stimmen an Blau – und 2000 kam die FPÖ immerhin auf 12,6 Prozent: zum allergrößten Teil ÖVP- und NichtwählerInnen. Landeshauptmann Niessl betreibt daher politischen Opportunismus reinsten Wassers und hängt sein Fähnlein in den Wind, der allen VertreterInnen einer sachlichen und verantwortungsbewussten Migrations- und Sicherheitspolitik ins Gesicht bläst. Es würde mich nicht wundern, sollte sich so noch die absolute Mehrheit retten lassen. Ein Achtungserfolg des BZÖ droht mangels Kandidatur nicht.

Steiermark – Oktober

Landtagswahlergebnis Steiermark 2005
Landtagswahlergebnis Steiermark 2005 in Prozent (eckig) sowie die Sitzverteilung im Landtag (rund, insgesamt 56 Sitze); Grafik: eigene; Daten: www.wissenswertes.at; Wählerstromanalyse.

Sofort ins Auge sticht: Die FPÖ ist im Landtag derzeit gar nicht vertreten. Das wird sich ändern. Grundsätzlich hat sie in guten Zeiten (dh in wirtschaftlich schlechten) ein Potential von bis zu 17 Prozent, wenn man die Ergebnisse von 1991, 1995 und 2000 als Maßstab heranzieht (interessantes Detail: ähnlich erfolgreich war man auch schon 1949 und 1953). Es stellt sich die alles entscheidende Frage: Woher werden die Zugewinne kommen? Größtenteils von der SPÖ, etwas weniger von der ÖVP. Und: Nach dem Ausscheiden des zugkräftigen Frontmanns Ernest Kaltenegger kann man wohl davon ausgehen, dass die KPÖ keine Rolle im nächsten Landtag spielen wird. Davon profitieren können vor allem Schwarz und Blau, aber auch ein wenig die Grünen – ironischerweise ist die steirische KPÖ eine ziemlich bürgerliche Angelegenheit.

Für den Erhalt des Landeshauptmanns essentiell ist vor allem: Kann die SPÖ die beträchtliche Anzahl an Stimmen, die sie der ÖVP 2005 abgeknöpft hat, halten? Voves hat jedenfalls das Charisma und den Amtsbonus für sich. Dass er sich bisher des öfteren mit großer Geste als Widersacher Faymanns geriert hat, dürfte auch nicht schaden. Allerdings wird er höchstwahrscheinlich mehr Stimmen an die Freiheitlichen verlieren als Schützenhöfer, der wiederum in größerem Ausmaß vom Scheitern der KPÖ profitieren könnte. Unter dem Strich werden jedenfalls beide Großparteien verlieren und sich einmal mehr auf Augenhöhe wiederfinden, wenn auch auf tieferem Niveau.

Die notorisch schwachen steirischen Grünen halten ihr Ergebnis von 2005. Sie kompensieren leichte Verluste durch KPÖ-bedingte Zugewinne und können so ein passables Ergebnis in Graz und damit den Einzug in den Landtag retten. Das BZÖ wird keine Rolle spielen: Thomas traut zwar Gerald Grosz ein Grundmandat in Graz nach kommunistischem Vorbild zu, doch bin ich skeptisch: Grosz ist kein Kaltenegger, der in seinen besten Zeiten in Graz auch schon einmal jenseits der 20 Prozent anzutreffen war. Bestenfalls geht sich ein – hach – Achtungserfolg ohne Sitz im Landtag aus.

Die Gemeinderatswahlen im März (ohne Graz allerdings) werden womöglich einen ersten Fingerzeig liefern.

Wien – Oktober

Landtagswahlergebnis Wien 2005
Landtagswahlergebnis Wien 2005 in Prozent (eckig) sowie die Sitzverteilung im Landtag (rund, insgesamt 100 Sitze); Grafik: eigene; Daten: www.wissenswertes.at; Wählerstromanalyse.

Landeshauptmann Häupl hat 2005 massiv Stimmen an die NichtwählerInnen verloren und von der FPÖ gewonnen. Letztere wird er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder abgeben müssen. Erstere wiederzugewinnen wird ein echtes Problem – womit lockt eine Partei, deren Vormachtstellung in den Köpfen der Bevölkerung ohnehin selbstverständlich ist und die – bei Freunden wie Feinden – eher resigniertes Schulterzucken auslöst, neue WählerInnen? Wie im Burgenland sucht man sein Heil im Populismus: eine Volksbefragung im Februar soll Bürgernähe simulieren. Weil man allerdings kein Feindbild hat, das sich abstrafen ließe, wird sich der Erfolg in Grenzen halten. Strache kann das besser und wird darum souveräner Zweiter, wenn auch bei weitem nicht Landeshauptmann. Die Hypo-Affäre wird ihm nicht schaden, weil daran ja nur die Kärntner schuld sind. Da man sich rechtzeitig ein günstiges Wahlrecht gebastelt hat (49 Prozent der Stimmen entspricht 55 Prozent der Mandate, auch nicht schlecht) könnte sich die absolute Mehrheit für die SPÖ gerade noch ausgehen.

Wirklich spannend wird das Duell um den dritten Platz: Schwarz gegen Grün. Dabei spricht nicht viel für die ÖVP, außer dass sie mit einem Vorsprung von 4 Prozentpunkten ins Rennen geht. Der agrarische Finanzminister und die hemdsärmelige Innenministerin werden einerseits der urbanen wiener Stadt-VP keine Freude machen und andererseits den rechten Rand Strache in die Arme treiben. Wer Häupl abwählen möchte, unterstützt entweder Grün oder Blau, die sich glaubwürdiger als schlagkräftige Opposition darstellen können. Allerdings haben die Grünen ein nicht zu unterschätzendes Mobilisierungsproblem, dass sich diesmal mit der üblichen (eh richtigen) Warnung vor dem blauen Sozialnationalismus kaum lösen lassen wird, weil viele eher die SPÖ wählen werden um Strache zu schaden.

Gut möglich, dass das Geschick der Grünen von einer neuen Mitbewerberin abhängt: So sie sich zum Antritt entschließen kann, könnte die Piratenpartei bei entsprechend professionellem Internetwahlkampf wohl bis zu drei Prozent an grünen und liberalen Stimmen erbeuten (Achtungserfolg!). In diesem Fall kommen die Grünen nicht über 14 Prozent hinaus.

Das BZÖ tritt aus Trotz an.

Fazit

  • Das BZÖ segnet mit Ausnahme der Steiermark das Zeitliche (dh in Wien). Also doch noch nicht ganz.
  • Wenn die Piratenpartei antritt, wird sie eine entscheidende Rolle spielen.
  • Die Grünen bewegen sich aller Wahrscheinlichkeit nach nirgendwo mehr als um ein Prozent.
  • Die FPÖ legt überall deutlich zu, wird keine Verantwortung übernehmen (müssen) und fährt munter fort, das politische Klima zu verschludern.
  • Die ÖVP wird die wahre Wahlverliererin – nirgendwo spektakulär, aber dafür konsequent.
  • Die SPÖ schlägt sich überraschend gut und stiftet aus Dankbarkeit eine neue Nationalhymne, gedichtet von Wolf Martin.

Was bisher geschah:
Thomas Knapp – Blogparade: Wahljahr 2010
Gerald Bäck –  Blogparade: Wahljahr 2010
Angela Lehner – Wahlprognose
Heinz Wittenbrink – Meine Prognose für das steirische Wahljahr
Christian Klepej – Blogsud

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© farblos 2010 | Permalink | 8 Kommentare


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