Bloggen im Zeitalter von Big Data, Citizen Journalism und New Journalism - geht das gut?


Einführung oder es geht um Recherche und ums Schreiben, Dummkopf!

Scobel über New Journalism - ein informatives Gespräch mit einem der Hauptvertreter. Ein Amerikaner - sicher! Was sonst? In Deutschland fasste diese stark literarisch angehauchte Richtung journalistischen Schreibens kaum Fuß. New Yorker, Esquire, Rolling Stone. Ach, in den USA ist die Liste lang - sowohl der Magazine als auch der Autoren. Magazine - sie waren es meist, für die die Schreiberlinge des New Journalism schrieben. Eigentlich wollten sie Novellen schreiben. Nicht selten wurden Bücher aus ihren Recherchen. Nonfiktionale Literatur. Fakt und Form.
In Deutschland nichts. Nein: kaum etwas. Magazine? Tempo. Ja, aber nur kurze Zeit. Autoren? Fachartikel listen hier gerne Einzelnamen, können sich aber oft nicht auf die gleichen einigen. Das ist in den USA anders. Dort ist man sich einig, wer dazu gehört. Und dann die Krönung: Gonzo! Oder auch der Abstieg - das ist Ansichtssache.
Es geht ums Schreiben. Um langen Atem bei der Recherche. Hier merkt man, warum es fast nicht mehr um den Journalismus in Deutschland gehen kann: Wer zahlt hierzulande für tiefgehende Recherchen noch? Die Verlage? Nein. Die Verlage haben kein Geld mehr - so predigen sie uns gebetsmühlenartig.

Journalismus heute - über Datensätze und Recherche

Die Informationsbeschaffer sind inzwischen immer öfters Whistleblower, immer seltener Journalisten. Wie im Datenjournalismus sind Journalisten diejenigen, die die Daten auswerten. Interpretieren. Sofern es hierfür nicht auch schon Maschinen gibt. Automatische Visualisierung. Zu guter letzt kommt eine Infografik heraus, für die ein Autor noch ein einleitendes sowie ein Schlusswort schreiben darf. Der Journalist als Wurmfortsatz der Apparate. Die automatische Rechtschreibung ist wichtiger als der Autor. Der Verzicht auf ein Korrektat ist naheliegend.

Bruta Facta sagen nichts - so heißt es in der Wissenschaftswelt. Aber bunte Bildchen können ebenfalls den Eindruck erwecken, als sei damit etwas gesagt. Wer braucht dann noch Redakteure, wenn anscheinend Praktikanten genügen? Wer durchschaut die Alghorithmen? Muss der Journalist der Zukunft Mathematik studieren?
Ganz egal, ob Data Journalism in Deutschland Realität ist oder nicht: Verlage entlassen. Stellen neu ein. Dann meist günstiger, jünger und weniger. Es kann nur noch billiger werden. Mit dem, was New Journalism meint, hat er nichts zu tun. Während die Autoren des New Journalism an die Orte des Geschehens gingen, nicht nur zuhörten, sondern selbst miterlebten und dann mit subjektivem Blick verschiedene Perspektiven einnahmen, eröffnet Big Data enorme Wissenswelten des gläsernen Bürgers. Oder anders: Es ist die zivile Variante von dem, was die NSA macht oder ihr nutzt - ganz egal wie man dazu steht. Mit klassischer Recherche an sich hat das wenig zu tun.
In Big Data wissen wir mehr. Es ist eine Welt aus Bruta Facta nebst Hypothesen. Im New Journalism erfahren wir mehr. Es ist eine Welt aus Geschichten, die sich am Erlebten orientieren. OK, New Journalism kann seine Ereignisse auch selbst schaffen. Wenn Helge Timmerberg die Reisen von In 80 Tagen um die Welt nachfährt, so schafft er sich den Anlass selbst über den er berichten will.
Ja sicher - es geht um einen Event. Ein selbst geschaffenes Ereignis. Und da fragen sich einige PR-Kollegen noch, was New Journalism alles mit ihnen zu tun hat? Sie sind doch die Hochmeister der Veranstaltungen. Macher von Ereignissen, die geschehen, damit sie berichtet werden. Einige deutsche Journalistenkollegen werden die Nase rümpfen. Das sind doch nur Wichtigtuer. Egomane Selbstberichterstatter. Manierierte Narzisten. Ihre Texte sind doch die Spiegel, bei deren Betrachtung ihnen einer abgeht. Das ist doch kein Journalismus. Und - machen sie sich nicht mit ihrer Sache gemein, über die sie berichten?
New Journalism will ich nicht als neues Schreiben für die Unternehmenskommunikation ausrufen oder gar etablieren. Nein! Auch nicht als Schreiben, das die Verlage aus der Krise bringt. Zahlt die Leute korrekt, schafft besseren Content, bringt Hintergrundinfos, die andere nicht liefern können. New Journalism bringt spannende Geschichten. Geschichten aus dem Alltag. Neue Erzählweisen. Belebt die Magazine. Da ich weniger meinen Focus hier auf Print lege, nutzt die Chance, die Blogs bieten. Privat als bloggende Einzelpersonen. Im Unternehmen als Corporate Blogger. In der Forschung, um Wissenschaft näher zu bringen. In der Politik - jetzt nicht lachen - um die eigene Position bekannt zu machen. Es soll Politiker geben, die eine haben. Andere geben sie mit ihrem Amt ab. Meinungscamouflage. Celebrities muss man nicht sagen, was sie mit Personality PR machen können. Sagt einfach, wer ihr seid auch im Alltag. Sagt es, indem ihr Eure Kontakte beschreibt. Den Bäcker, bei dem Ihr Eure Brötchen kauft. Beispielsweise.

Citizen Journalism oder was die User im Netz so machen

Im Folgenden betrachte ich den User etwas näher. Nicht den professionellen Journalisten. Also den, der smartphonebewaffnet durch seine Umwelt streift, Katzen filmt und Schnappschüsse macht. Derselbe Nutzer filmt vielleicht ebenfalls ein auf dem Wasser landendes Flugzeug in New York oder dokumentiert in Die Tür des Schreckens wie Hausbesetzer und Polizei über mehrere Stunden eine Tür nicht aufbekommen. Das besondere: Man konnte im Stream live mit dabei sein.
Dieser Exkurs ist sinnvoll, weil zum Schluss dann eine Vorstellung entsteht, wie professionelle Kommunikation im Netz aussehen könnte. Wie Ihr Euch nennen wollt, ist mir doch egal: ob Journalisten, Blogger oder Heiopei. Um die Sache geht es mir - ums Schreiben im Netz.

Infografiken

Wir alle mögen die schönen bunten Infografiken. Schaubildchen sind Schlaubildchen. Aber was sagen sie wirklich? Wer macht sich noch die Mühe, die Geschichte in Worte zu fassen, die sie scheinbar erzählen? Vielleicht sagen sie auch nichts. Sie kommen aber mit der Geste des Schlaumeiertums daher. Es scheint etwas damit veranschaulicht zu werden, ist es aber oft nicht.

Instagram

Effektfilter! Je mehr, desto besser - darum scheint es zu gehen. Dabei ist mir jetzt egal, ob jemand Instagram, EyeEm oder sonstwas nutzt. Ich filter, also bin ich. Es zählt der schöne Schein. Das ästhetische Als-Ob. Nicht selten umgibt die Arbeit ein Hauch Nostalgie - ganz gleich, ob Bild oder Video. Ein Sehnen nach einem anderen Medium. Oder die Erinnerung daran, wie ein Medium früher erschien. Nachahmung! Mimesis! Nun ist man im Stande, ebensolche Bilder zu erstellen. Absichtlich. Hatte doch früher keiner geglaubt. Nur einige Künstler sagten, dass sie die Möglichkeiten des Mediums selbst untersuchten. Sie ließen Kratzer, Schlieren, Flecken einfach stehen. Heute ist es anders: da ist es ein einfacher Klick in einer App - und Wums! die Wirkung ist da.
Eine Prise Narzismus spielt eine Rolle. Und man hat die Kontrolle: War es früher eher unerwünsht, wenn die Sonne bei der Filmentnahme ihre eigenen Schlieren im Film hinterließ, so wird heute ein solcher Effekt bewusst gewählt. Man kann das Bild wieder zurücksetzen. Das ging früher nicht. Nun ist es nicht mehr Dusseligkeit, sondern Können - so meinen einige. Aus der skandalumwobenen Kunst vergangener Zeit ist Sehgewohnheit geworden. Otto Normalverbraucher vereinnahmt, was ihn früher aufregte. Nun kann er es auch und alle finden es schön.
Jetzt können wir uns alle beruhigt zurücklehnen.
Mit der medialen Ehrlichkeit& des Nutzers ist es also nicht weit her. Mir doch egal! Interessant fnde ich die emotionale Seite der Instagramisierung der Sehgewohnheiten. Und das, obwohl ich pure Fotografie ohne jeglichen Schnickschnack bevorzuge. Aber das ist meine Sicht als jemand, der das mal gelernt und studiert hat. Das eine muss das andere nicht ausschließen.

Bloggen heute - zwischen bunten Schaubildchen, lustigen Videos und flotten Texten

Sieht man, welche Tendenzen es bereits online gibt, so muss zwar nicht alles gemacht werden, das es schon gibt, aber es bietet einen Katalog an Möglichkeiten. Dabei sollte man nicht auf reine Effekthascherei setzen. Es muss nicht nur das Modeblog sein, dass hier Mut beweist. Am Ende präesentiert sich das gerade in Schwarz und Weiß.
Und nun ich: erzähle Euch etwas von New Journalismus. Ich schreibe es, aber ich schreibe es Euch nicht vor.
Oh Mann - Thomas Wolfe! 1973! So alter Kram. Thomas Wolfe ist derjenige, dem wir die Bezeichnung New Journalism verdanken. Was soll uns das heute angehen? Es geht ums Schreiben. Reportagen. Subjektive Sichtweisen. Intensive Recherchen mit langem Atem. Warum sollten das gerade Blogger können? Ganz einfach: Weil sie schreiben. Weil sie regelmäßig schreiben. Weil sie über lange Zeit schreiben. Doch die Form wird sich ändern. Schrieben die Autoren des New Journalism zum Schluss der Recherche ihre Reportagen, so berichten Blogger zeitnah. Sie erzählen einzelne Geschichten, die aber im Geflecht ihrer Beiträge ein Bild ergeben. Man muss mit rhizomatischen Strukturen rechnen. Deleuze und Guattari - klar! Soviel Bildungsbürgertum muss jetzt sein. Außerdem mit Wechsel der Medien: Was gestern mit Text begann, kann heute mit einer Infografik untermalt werden und morgen mit einem Video. Dann wieder Text. Egal. Befüllten die Journalisten damals die Magazine mit abgeschlossenen Erzählungen, ihre Bücher mit einem Text, immer mit einem Text, so ist es heute eine Textur verschiedener Medien. Und das ist gut so.
Experimentiert. Entwickelt Qualitätskriterien. Macht unterschiedliche Sachen. Diskutiert. Über den Inhalt. Über die Form. Über das, was es mit Euch macht . So ein klein wenig Befindlichkeitsjournalismus schadet nicht. Ihr müsst ja nicht wie seinerzeit Pontormo im 16. Jahrhundert in seinem Tagebuch über Eure Verdauungsbeschwerden berichten.
Lest Magazine. Lasst Euch inspirieren vom New Journalism, auch vom New New Journalism. Feiert meinetwegen das Entstehen eines New New New Journalism. Oder wem da zuviel Journalism drinsteckt: Dann doch lieber mit Pirillo ganz einfach vom Bloggen als ein Style sprechen.

Nachwort

Was haben die Verlage noch damit zu tun? Sie schicken lieber ihre Lobbyisten nach Berlin, um sich dort auszuweinen - im Gepäck so nette Geschenke wie Entwürfe zu einem Leistungsschutzrecht (hier und hier). Für Printverlage ist der Schuldige klar: Es ist Online. Denn dort wird noch geschrieben. Urheberschutz wird immer seltener als Autorenschutz verstanden. Leider.
Wir als Blogger sind eh unsere eigenen Verleger. Haben wir nicht alle fleißig ein Impressum in unsere Blogs gesetzt, verteilen dort unsere Kontaktdaten und haben noch einen Disclaimer? Was noch? Also wir sind Autoren und Verleger. Punkt!
Lasst uns schreiben. Filmen. Fotografieren. Lesen. Schauen. Sharen. Einfach machen.


Bloggen im Zeitalter von Big Data, Citizen Journalism und New Journalism - geht das gut?

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