Blog Diskussion I

Von Mexgeschichten

Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.

Augustinus, 354 – 430 n. Chr.

Jeder meiner Diskussionsbeiträge wird ein zentrales Motto bekommen. Ein Gedanke, Aphorismus oder Leitmotiv. Das wird helfen, die hoffentlich ausufernde und langanhaltende Diskussion zu gliedern, ihr Struktur und Form zu geben.

Ich wähle diese Form  für mich selbst und jedem Leser sei es freigestellt sich an dieser  Diskussion in seinem Blog zu beteiligen, die Form zu wählen die ihm am meisten zusagt. Als einziges Kriterium zur Teilnahme ist striktes Trackbacking vonnöten.

Reisen.

Anderes sehen.

Heimkehren.

Heimatliches schätzen lernen.

Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurden so viele Reisen unternommen. Reisen ist heute eine Freizeitbeschäftigung geworden, eine Industrie, ein Wirtschaftszweig. Zur Zeit von Augustinus war das anders. Eine Reise war immer auch ein Abenteuer, das oft tödlich endete.

Vallartina erregte sich in ihrem Blogbeitrag und den Kommentaren die folgten über die schlechte Presse in den USA was Mexiko angeht, welche  einige Kreuzfahrtgesellschaften dazu bewog, Puerto Vallarta aus ihrem Programm zu streichen.

Wer sich die Gröβe dieser Schiffe ansieht, dem wird klar welch ein wirtschaftlicher Verlust für einen Zielhafen entsteht, wenn diese Menschen nicht an Land gehen, dort etwas Essen, Einkaufen, Taxis benutzen und sonstige Unterhaltungsangebote in Anspruch nehmen. Ein herber Schlag für die lokale Wirtschaft. Ich kann den Ärger, den eine solche Entscheidung hervorruft verstehen.

Ich verstehe aber auch die Firmen wenn sie ihrer schwimmenden Kundschaft einen Landausflug in ein Land vorenthält, welches in den letzten Jahren in einen Strudel von Gewalt und Gesetzlosigkeit gerissen wurde. Es wird auf Nummer sicher gegangen, schliesslich ist eine solche Reise ja kein Abenteuer mehr und die Landausflüge eine Kurzweil und Abwechslung mit etwas Lokalkolorit.

Und ich verstehe auch die Presse der USA, die über die Ereignisse im südlichen Nachbarland unreflektiert und reisserisch berichtet. Bad news are good news, oder wenn man den moneträren Aspekt betrachtet: Bad news sell good! In Bayern würde man dieses Verhalten mit dem St. Florian’s Prinzip erklären, welches lautet:

Oh heiliger Sankt Florian
Verschon unser Haus,
steck’ andere an!

Ich glaube, soweit könnten wir einer Meinung sein, ohne Wertungen darüber  abzugeben wer seine Position nun ändern sollte;  Die Presse, die Kreuzfahrtfirmen oder die lokale Wirtschaft.

Zentraler Punkt scheint mir aber das „gesunde  nachbarschaftliche Verhältnis zwischen beiden Ländern“ zu sein, wie es Vallartina ausdrückt.  Und das ein solches zwischen Menschen, Nachbarn, ja erreicht werden kann schreibt sie selbst in einem der Kommentare.  Zwischenmenschlich einfacher herzustellen als zwischenstaatlich. Und wer sich die Mühe macht sich die Geschichte dieser Nachbarschaft einmal genauer zu betrachten, muss feststellen, das sich ein Abgrund auftut. Mir hat das Buch Distant Neighbours von Alan Riding geholfen die Tiefe dieses Abgrundes zum ersten Mal ansatzweise zu erkennen.

Die Gewalt in Mexiko kann nicht ohne die Rolle der USA verstanden werden.

Die Drogen die in Mexiko hergestellt werden oder  das Land als Transitstrecke durchkreuzen töten Menschen dort genauso, wie es die Waffen aus den USA in den Händen von Verbrechern hier in Mexiko tun. Die rund 15 Mio. illegaler Mexikaner sind nicht freiwillig dort, sie finden hier in Mexiko keine Arbeit die ihnen einen vergleichbaren Verdienst ermöglicht. Die Erntehelfer  im Imperial Valley, die Juan’s und Pedro’s die auf dem Bau arbeiten oder „Landscaping“ gut und billig machen, Juanita im Holiday Inn die Betten macht, ohne sie sähe es in den Grenzstaaten der USA und in Zentren illegaler Einwanderun wie Chicago oder New York heute ganz anders aus. Das Thema wird von beiden Seiten verschämt durch griffige Anschuldigungen verdeckt, auf der bilateralen Agenda tauchen sie kaum auf.

Ich bin kein Freund von Mauern oder Zäunen, ich habe jahrelang an der deutschen Version gewohnt. Doch zwischen Nachbarn ist ein Zaun oft hilfreich, um den eigenen Verantwortungsbereich abzustecken und den Nachbarn vielleicht durch das Gartentor einzuladen und  ihm die eigenen Äpfel und Gemüserabatten zu zeigen, ohne das sein Hund im Morgengrauen Schaden im eigenen Garten anrichten kann.

Die Verlogenheit und unglaubliche  Ambivalenz, mit der meine Regierung diese Thematik behandelt, verstehe ich nicht. Ich verstehe es auch nicht, daβ dieses, mir so lieb gewordenes Volk, sich solche Lügner und Taschenspieler als Regierende zumutet.

Ich verstehe dieses Volk nicht. Ich glaube ich werde es nie verstehen.

Ich liebe es.

Genau so wie ich mit den Gedichten von Rilke oder Hölderlin weinen kann, genauso kann ich bei Doña Josefina, der Bügelfrau, mein Herz ausschütten wenn meine Beziehung in Trümmern liegt, oder den Worten eines Hirten lauschen und mit ihm Tabak und Philosophie teilen.

Nie zuvor in meinen Leben habe ich Kinder so anmutig spielen gesehen, Frauen so tief und leidenschaftlich ausgekostet, mit dem hier so unglaublichen, tief verwurzeltem Fatalismus unter Freunden Tequilaflaschen geleert, als ob es kein Morgen, kein Danach gäbe. Ich bin diesem Land, seinen Menschen und seiner Natur verfallen. Wenn die Welt also ein Buch ist, so haben mich die Seiten Mexikos in ihren Bann gezogen, und meine Reise hat eine glorreiche Zwischenstation gefunden.

Ich erlebe Alpträume am hellichten Tage, Orgien von Gewalt und Menschenverachtung. Suche in tiefster Verzweiflung Zuflucht auf anderen Seiten eines Buches und schlage dieses auf, lese, und vestehe immer noch nicht:

Nur eines ist sicher, daβ hier etwas Gewaltiges gestorben ist, etwas, das sich zu unserer Kultur und unseren Seelen, aus denen die groβe, als heilig empfundene Grausamkeit geschwunden ist, so verhält wie die Flammenwelt, die die Berge und Vulkane ringsum geboren hat, zu der Nützlichkeitswelt , deren Felder und Pflanzungen heute das Tal bedecken.

R.M.Rilke, 12. November 1896 beim Besuch von Teotihuacán