Blockupy – „Wer ist hier eigentlich verrückt?!“


“Es braucht keine Krise, um die Krise zu kriegen. Der Alltag ist
schon schlimm genug: Notendruck in Schule und Uni, Konkurrenz
um bescheuerte Jobs oder auch nur ein Praktikum, soziale
Hierarchien und Tu-dies-tu-das wohin man schaut, Rassismus
gegen Flüchtlinge und Migrant_innen – all das gilt in kapitalistischen
Gesellschaften als völlig normal. Statt dass die Menschen
solidarisch zusammenarbeiten und sich überlegen, was sie brauchen
und wie sich das gemeinsam produzieren ließe, müssen wir
gegeneinander um Chancen kämpfen. Und so verhalten wir uns
dann auch: Ellenbogen, wohin man blickt. Das alles wird noch
mal heftiger, wenn tatsächlich eine Wirtschaftskrise ausbricht –
wenn kapitalistische Unternehmen massenweise Leute entlassen,
Anlagen und Aktien über Nacht wertlos werden, wenn Schulden
nicht mehr bezahlt werden können und die öffentliche Versorgung
zusammengestrichen wird. Jede Wirtschaftskrise bedeutet
irgendwo auf der Welt noch mehr Armut und Ausgrenzung.
Dieses Irgendwo ist aktuell zum Beispiel Griechenland. Die
Bevölkerung ist dort binnen weniger Jahre heftig verarmt, und
Tausende sind gestorben, weil das Gesundheitssystem zusammengebrochen
ist. Wer dort HIV oder Krebs hat, bekommt
Medikamente nur noch im Endstadium. Obdachlosigkeit,
Depressionen und Selbstmorde haben drastisch zugenommen.
Die von der Europäischen Union erzwungenen Sparmaßnahmen
– politische, also gewollte Maßnahmen – sorgen unter
anderem dafür, dass die Säuglingssterblichkeit steigt und Diabetiker_
innen zu wählen haben, ob sie sich lieber Insulin oder
Lebensmittel kaufen.

Eine Krise kann jeder Idiot haben…
Aber ist Griechenland (oder Portugal, Spanien, Irland …) nicht
selbst schuld? Haben die nicht »jahrelang über ihre Verhältnisse
« gelebt, wie es heißt? Eine beliebte Krisenerklärung, die
aber wenig mit der Realität zu tun hat. Wahr ist bestenfalls, dass
jahrelang riesige Kredite in diese Länder geflossen sind, weil
sich Kapitaleigner, Banken und Investmentfonds davon gute
Gewinne versprachen. Erst die weltweite Kreditkrise ab 2007, die
am anderen Ende der Welt mit riskanten Hauskrediten und faulen
Wertpapieren begann, hat dieses Wachstumsmodell zusammenbrechen
lassen. Anleger interessierten sich dann nicht mehr
für die schnellen Profitchancen, sondern suchten nach Sicherheit.
»Krisenpolitik« bedeutet daher durchzusetzen, wer sich
dafür krumm arbeiten soll, dass sich »die« Wirtschaft »erholt«.
Weil Staaten auf Investitionen und Investor_innen wiederum auf
stabile Staaten angewiesen sind, versuchen beide, die Kosten der
Krise auf die Bevölkerung abzuwälzen.

…was uns zu schaffen macht, ist der Alltag
So funktioniert Kapitalismus. Doch solche Notmaßnahmen
lösen nicht das grundsätzliche Problem der kapitalistischen
Wirtschaftsweise (siehe hierzu auch die anderen Texte dieser Zeitung).
Darum geht es bei diesen Maßnahmen auch gar nicht. Es
geht lediglich darum, das (welt-)wirtschaftliche Chaos im eigenen
Einflussbereich ansatzweise in den Griff zu bekommen. Und
worum es schon mal gar nicht geht, ist das möglichst gute Leben
aller Menschen. Es ist schon absurd: Die Menschheit hat über
die Jahrhunderte so viele Dinge entwickelt, vom Geschirrspüler
bis zum Macbook, die das Leben einfacher, besser, sicherer,
angenehmer machen, so dass alle Menschen eigentlich weniger
arbeiten müssten, und trotzdem profitiert nur ein kleiner Teil
der Menschen von diesen Segnungen. Stattdessen geht es die
ganze Zeit um »Wettbewerbsfähigkeit«, »Vertrauen der Märkte«
bzw. dann im Alltag um »gute Noten«, einen »Plan im Kopf«
und »Mensch Mädchen, mach keinen Scheiß«, damit aus uns
auch ja was Richtiges wird – sprich: ein neuer Hamster in einem
neuen Rad – damit der Irrsinn dieser Gesellschaft einfach weitergeht.
Und noch mehr Autos, Waffen und anderer bekloppter
Scheiß produziert wird. Und das wird uns dann auch noch als
vernünftig verkauft.

Und was hat Griechenland jetzt mit uns zu tun?
Auch wenn hier noch alles rund zu laufen scheint: Das Prinzip,
nach dem die Gesellschaft organisiert wird, ist hier und
dort das gleiche: Konkurrenz, Wettbewerb, Ellenbogen. Und was
mit Hartz IV bereits vor Jahren schon in Deutschland um- und
durchgesetzt wurde, wird jetzt auch in anderen Ländern Europas
zum Maßstab für erfolgreiche wettbewerbsorientierte Arbeitsmarktreformen
gemacht. Darüber hinaus könnte die Krise, die
in Griechenland herrscht, uns prinzipiell genauso treffen. Den
Preis, den wir hier jetzt schon zahlen, ob als Schülerin, Student,
Arbeitnehmerin oder Arbeitsloser, ist dabei ganz bestimmt nicht
der gleiche wie in Griechenland (mal ganz zu schweigen von,
sagen wir, Sierra Leone): Wir sterben nicht, weil die Gesundheitsversorgung
zusammengebrochen ist (oder an Unterernährung).
Doch auch wir kennen: Angst, Stress, Burnout, geplatzte Träume.
Denn ob nun in Form von Eltern, Lehrer_innen, Vorgesetzten
oder Politiker_innen: Sie alle sagen uns, dass es uns auch erwischen
kann, wenn wir uns nicht anstrengen, den Gürtel enger
schnallen – und ordentlich mit den Ellenbogen austeilen und
nach unten treten. Damit sich Leistung lohnt, wir auch morgen
und im Alter in Sicherheit leben können, und was sonst noch
für Blabla ausgegeben wird, damit alles so weitergeht wie bisher.
Und damit all diejenigen auf Abstand gehalten werden, die
nichts vom Reichtum abbekommen sollen, weil sie zufällig nicht
hier geboren wurden und keinen deutschen Pass haben. Letztes
Jahr brachten afrikanische Flüchtlinge in Berlin ihr Anliegen auf
den Punkt: »We come here, because you destroy our countries.«
Auch wenn unsere Privilegien und Lebenschancen sicherlich
ganz andere sind: Was unseren Alltag und das Elend der Welt
verbindet, ist eben das gleiche Wirkungsprinzip: das ständige Auf
und Ab, die Krisen der Wirtschaft, die ganze Gesellschaften verwüsten
und nie wieder auf die Beine kommen lassen, die Kontrolle
über unser Leben, das ganze egoistische Rennen, Rackern
und Rasen für ein kleines Stück vom Kuchen. Diese ganze organisierte
Traurigkeit hat einen Namen: Kapitalismus.

Warum am 18. März auf die Straße gehen?
Wir wollen all das nicht mehr. Wir wollen uns hier nicht durchwurschteln
und um die Möglichkeit, kostenlos in Praktika zu
arbeiten, konkurrieren. Wir landen in unsinnigen Jobs und ein
unbefristeter Vertrag soll dann der Jackpot sein? Und gleichzeitig
hämmert man uns ein, dass es uns noch zu gut ginge. Wir wollen
auch nicht weiter zum von Menschen hergestellten Elend in
Griechenland und andernorts schweigen.
Am 18. März gehen wir deshalb gemeinsam in Frankfurt vor
der Europäischen Zentralbank auf die Straße. Wir wollen unsere
Wut auf die Elendspolitik in Europa zeigen. Denn die EZB gibt
nicht nur die Euroscheine aus und das nötige Kleingeld dazu.
Die EZB ist einer der wichtigsten Player der kapitalistischen Ordnung
in Europa. Es geht aber auch um die miserable Realität hinter
der Krise. Der Versuch der deutschen Bundesregierung, der
EU-Kommission und der EZB, den europäischen Kapitalismus
zu sanieren und global an die Spitze zu bringen, bedeutet für uns
und die meisten Menschen hier: mehr Druck und mehr Arbeit;
mehr Bevormundung vom Amt; mehr Unsicherheit und Hetze;
weniger Lohn, mehr rassistische Verteilungskämpfe. Und für
immer mehr Leute in Europa längst auch Armut und Obdachlosigkeit.
Aber jeder Zipfel Realität, jede neoliberale Frechheit und jede
Krise ist von Menschen erzeugt. Kapitalismus ist kein Schicksal
und kein Naturgesetz. Menschen haben diese Verhältnisse
gemacht, Menschen können sie auch verändern. Es ist an uns.
Deshalb lasst uns am 18. März nicht in die Schule, nicht zur Uni,
nicht zur Arbeit gehen. Lasst uns zur Eröffnungsfeier der EZB
auf die Straße gehen! Bring your wrecking ball! Die Leute, die
sich da feiern und ihre beknackte Ratssitzung abhalten, haben
das Ganze zwar nicht erfunden und sie sind auch nicht die »bad
guys«. Aber sie sind wichtige Player im dümmsten Spiel der Welt.
Wir wollen mit ihnen nicht über neue Regeln verhandeln, wir
wollen dieses Spiel beenden.

Quelle und gesamte 18/03-Beilage: http://umsganze.org/wp-content/uploads/2015/02/1803-Zeitung-von-UG.pdf


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