“Fast wie im Bürgerkrieg” titelte die junge Welt über die Zustände in Frankfurt. Nach der Räumung des Blockupy-Camps und dem Verbot aller möglichen Veranstaltung im Rahmen der europäischen Aktionstage – für oder was gegen was eigentlich? – haben sich trotzdem einige hundert Menschen versammelt. Das erscheint nicht so wahnsinnig viel, reicht aber aus, dass Blockupy Frankfurt derzeit (Donnerstag 9 Uhr morgens) auf Google News immerhin das Thema Nr. 1 in der Rubrik Deutschland ist. Wenn man das massive Polizeiaufgebot betrachtet, kann man wirklich auf den Gedanken kommen, dass ein Bürgerkrieg bevorstünde – allerdings fehlen die kampfbereiten Massen auf der anderen Seite. Nicht dass ich mir gewalttätige Krawall-Demonstranten herbei wünschen würde – natürlich finde ich friedliche Menschen sehr viel angenehmer als aggressive. Gewalt ist ohnehin keine Lösung – schon gar nicht, wenn man gegen die Staatsgewalt anrennt, die in Sachen Gewaltausübung sehr viel besser geschult und ausgestattet ist. Schließlich beansprucht unser wohlmeinender Staat ein Monopol auf Gewalt – der schlichte Untertan, äh, souveräne Staatsbürger, soll lieber die Finger davon lassen, sonst bricht er sie sich noch.
Denn Protest, selbst noch so friedlicher und planloser, ist unerwünscht. Ich frage mich wirklich, was passieren würde, wenn es tatsächlich mal wieder ernsthaften Protest mit ernsthaften Forderungen etwa gegen die Banken geben würde. Auf dem Niveau der Proteste gegen das Endlager in Gorleben beispielsweise. Damals, im Frühjahr 1979, als 500 Trecker aus dem Wendland nach Hannover fuhren, wo dann 100.000 Menschen gegen den Atommüll demonstrierten. Und selbst ein Ministerpräsident Ernst Albrecht (der Papa von Ursula von der Leyen) einsehen musste, dass Gorleben politisch nicht durchsetzbar war. Oder 1981, als noch mehr Menschen in Frankfurt gegen die Startbahn West demonstrierten. Da war wochenlang was los in Frankfurt. Aber die Flughafenerweiterung wurde natürlich durchgedrückt, 1984 ging die Startbahn West in Betrieb, allerdings ohne die üblichen Eröffnungsfeierlichkeiten.
Eigentlich sollte man ja annehmen, dass so ein globales Problem wie die ungehemmte Bereicherung der Banken zulasten der arbeitenden Bevölkerung noch sehr viel mehr Menschen auf die Straßen treibt, aber dem ist nicht so. Was sicherlich auch daran liegt, dass diese Bedrohung, die zwar sehr viel existenzieller ist, als die durch lokale Bauvorhaben wie ein Atomendlager, eine weitere Startbahn oder auch ein neuer Bahnhof mit unterirdischem Gleisanschluss, um ein aktuelleres Beispiel zu nennen, gar nicht als solche wahrnehmbar ist. Sie ist viel zu abstrakt – obwohl man doch ganz konkret erfahrbaren kann, dass das Geld, für das man arbeiten muss, immer weniger wert ist. Diese Alltagsschwierigkeiten werden aber als traurige Einzelschicksale erlebt und hingenommen. Und es gibt leider keine öffentlichkeitswirksame Bewegung, die in der Lage ist, diese keineswegs individuelle Bedrohung transparent zu machen.
Occupy leistet das gerade nicht: Diese Bewegung fordert zwar, auf die Straße zu gehen, aber sie sagt nicht, warum. Es gibt zwar diffuse Forderungen nach der Begrenzung der Macht des Geldes, der Banken, der Märkte und der Regierungen. Aber gebrochen werden soll deren Macht nicht. Occupy will einen netteren Kapitalismus, aber keine Alternative zum herrschenden System. Vereinzelt gibt es auch konkrete Forderungen, etwa nach einer Finanztransaktionssteuer oder auch nach höheren Steuern für Reiche, aber die gehen keineswegs an die Substanz der Bedrohung: Damit werden die Banken weder effektiv reguliert noch abgeschafft und am herrschenden System ändert sich auch nichts. Derzeit ist die Hauptforderung im frankfurter Zentrum der Bewegung schlicht ein bisschen mehr Demokratie: Wir wollen wieder auf die Straße gehen dürfen!
So weit haben sie uns schon. Anstatt dieses ganze verdammte System infrage zu stellen, bitten die braven Protestler mit bunten Aktionen, aber untertänigst darum, doch bitte weiter protestieren zu dürfen. Und der Staat fährt auf, als ginge es ihm tatsächlich an den Kragen. Lieb Vaterland, magst ruhig sein. Der Macht am Main wird schon nix passieren. Aber immerhin ersparst du deinen systemrelevanten Bankern für ein paar Tage den Anblick von arbeitsscheuem Gesindel, das sich vor den polierten Türen der Finanzpaläste schon nett mit Infostand und Gartenkräuterzucht eingerichtet hatte.