»Blockupy«-Aktionstage am Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main: Alternativbewegung muss sich gegen entfesselte Marktkräfte und neoliberale Ideologie stellen. Ein Gespräch mit Rudolf Hickel
„Die europäische »Blockupy«-Bewegung plant von Donnerstag bis Sonntag Aktionen zivilen Ungehorsams gegen die Europäische Zentralbank (EZB), die derzeit in ihr milliardenteures Domizil in Frankfurt am Main umzieht. Meinen Sie, die Finanzeliten fühlen sich gestört?
Das wird sich zeigen. Tatsache ist: Sie müssen durch öffentlichkeitswirksame Kritik gestört werden. Die Finanzmarktoligarchen sind dabei, die Lehren aus der letzten Finanzmarktkrise durch profitable Spekulationsgeschäfte zu verdrängen. Die EZB hat für das Finanzsystem nicht nur symbolischen Wert – sie sichert es ab. Für ihren Machtanspruch stehen die imposante Architektur und der Preis des neuen Doppelturms, in den sie umzieht: rund 1,3 Milliarden Euro. Ab 4. November hat sie die Aufsicht über die systemrelevanten Banken übernommen; auch gegen die müssen sich die Proteste richten. Dieser Machtzuwachs ist gefährlich. Die großen Banken wollen die EZB abzocken, machen mit ihren Finanzspekulationen der obersten Währungshüterin ohne Skrupel das Geschäft schwer.
In den vergangenen Jahren hatte die Polizei die Finanzmetropole Frankfurt mit Sperren zur Festung ausgebaut, 2012 gab es Demonstrationsverbote, ein Jahr später kesselten Polizisten rund 1.000 Menschen bei der Abschlussdemo ein. Jetzt scheint im Vorfeld alles ruhig …
Die Finanzkrise sei angeblich überwunden, Proteste seien überflüssig: Diese üble Propaganda der Banken, die sich längst wieder als gefährliche Profiteure auf den Finanzmärkten austoben, wirkt. Die EZB steht unter dem Einfluss von Großbanken wie der Deutschen Bank. Deren Ideologie: Geht es der Deutschen Bank gut, ist das gut für das Gesamtsystem. Finanzoligarchen, mit ihren Heerscharen an Lobbyisten, schwächen notwendige Regulierungen bis zur Unkenntlichkeit ab. Die auf die EZB zentrierte Europäische Bankenunion versagt bei der Aufgabe, zu große Banken zu zerschlagen. Sie bewegen bedrohliche Bilanzvolumina. Wenn der nächste Absturz kommt, werden trotz Gegenmaßnahmen am Ende die Steuerzahler zur Kasse gebeten.
Gibt es also keinen Grund zur Entwarnung?
Nein, ein neues Schattenbankensystem wächst heran. Banker, die wegen ihrer skandalösen Praktiken aus dem regulierten Sektor verjagt werden mussten, tauchen in Schattenbanken munter wieder auf. Riesengroße Hedgefonds und Investmentfonds übernehmen Bankgeschäfte und entziehen sich jeglicher Kontrolle. Deren Bilanzvolumen wird für 2013 auf mehr als 75 Billionen Dollar geschätzt, rund 120 Prozent des Weltsozialprodukts. An letztere vergeben lizensierte Banken Kredite, sind so mit ihnen verbandelt. Brechen sie zusammen, ist der weltweite Zusammenbruch die Folge. Erklärungen der G-20-Gruppe sowie ein EU-Grünbuch versuchen, den neuen Herd einer Finanzmarktkrise zu beschreiben. Entgegengewirkt hat aber niemand. Der Grund liegt auf der Hand: Den Vermögenden sollen Chancen für riskante Profitgeschäfte nicht entrissen werden. Allein dieser Skandal lohnt die Proteste am Finanzplatz Frankfurt.
Entkoppelte Finanzmärkte produzieren einen neuen Imperialismus.
Aktivisten erklären: »Wir brauchen weder rassistische und sexistische Spaltung, Verelendung, Privatisierung öffentlicher Gelder und Güter noch Kriege zur Ressourcensicherung.« Haben sie recht damit, all dies den Finanzeliten zur Last zu legen?
Ja, entkoppelte Finanzmärkte produzieren einen neuen Imperialismus. Profitgier steht im Widerspruch zu sozialer Gerechtigkeit. Die Hysterie der Geldvermehrung wirkt rassistisch und frauenfeindlich. Neoliberale Politik scheint sich in der CDU-CSU-SPD-Bundesregierung in Berlin zu verfestigen. Sie weiß um Abhängigkeiten von mächtigen Finanzmarktoligarchen, macht sich aber zum Erfüllungsgehilfen. Die Mehrheit des »Rats der fünf Weisen« hat mit dem Titel des jüngsten Jahresgutachtens »Mehr Vertrauen in die Marktprozesse« eine Rückkehr zum Neoliberalismus propagiert. So werden krisenanfällige Märkte heiliggesprochen, der Staat auf Schrumpfkurs gesetzt. Wenn es knallt, gehen Arbeitsplätze verloren und die soziale Spaltung nimmt zu. Dann heißt es nicht etwa, die Märkte versagen, sondern der Sozialstaat stört die Unternehmenslust. Diese Ideologie muss mit Protesten gegeißelt werden. Ursachen des entfesselten Finanzkapitalismus liegen in der gigantischen Vermögenskonzentration. Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty hat recht: Auch mit unkonventionellen Maßnahmen müssen Supervermögende, die ihre Profite auf Finanzmärkten suchen, enteignet werden…“
Quelle und gesamter Text: https://www.jungewelt.de/schwerpunkt/%C2%BBmachtzuwachs-der-ezb-ist-gef%C3%A4hrlich%C2%AB