Wer die im Juli gezeigten Blaxploitation Filme im Arsenal verpasst hat, sollte sich unbedingt die Wiederholungen im August zu Gemüte führen.
Vor dem Hintergrund der afroamerikanischen Befreiungsbewegung und der Krise der Hollywood-Studios entstand um 1970 ein neues Genre im US-Kino. Mit den Blaxploitation-Filmen der ersten Hälfte der 70er Jahre erlebte afroamerikanisches Kino seinen ersten (und bislang einzigen) großen Boom. Bis in die 60er Jahre war Schwarzen in Hollywood – von Ausnahmen wie Sidney Poitier und einigen all-black musicals abgesehen – die Rolle des Butlers, Gärtners und Schuhputzjungen vorbehalten gewesen. Angesichts eines neuen afroamerikanischen Selbstbewusstseins und Hollywood-Studios, die dringend auf neue Märkte angewiesen waren, war um 1970 die Zeit gekommen, das Bild der Afroamerikaner auf der Leinwand zu korrigieren. Vier enorm erfolgreiche Filme afroamerikanischer Regisseure begründeten innerhalb von 18 Monaten ein Genre mit schwarzen Protagonisten, die in Überlebensgröße mit jedem Satz und jeder Handlung verkündeten: “Black is beautiful”. Plot und Setting dieser Filme – die beiden unabhängig produzierten SWEET SWEETBACK’S BAADASSSSS SONG (1971) und SUPER FLY (1972) sowie die zwei Major-Produktionen COTTON COMES TO HARLEM (1970) und SHAFT (1971) – wurden stilbildend für zahlreiche nachfolgende black action movies. Prägender Schauplatz war ein schwarzes Ghetto-Milieu, dominiert von Drogen, Zuhälterei und den dazugehörigen Gangsterbossen. Die bevorzugten Protagonisten waren neben dem coolen Privatdetektiv oder Cop die Figuren des Pimp und des Pusherman. In einem Umfeld, das einen starken Bezug zu den Lebensumständen vieler Schwarzer in amerikanischen Großstädten hatte, behaupteten sich die black action heroes souverän gegen “the Man”, aka “white men in power”. Das transportierte Bild einer black urban culture mit street slang, Afrolook, hipper Kleidung, stylishen Autos und groovy Soundtracks trug zu der Popularität der Filme, auch außerhalb der USA, maßgeblich bei. Die Musik, eine spezifische Mischung aus Soul, Rhythm & Blues, Funk und Jazz, übernahm dabei eine wichtige, oft narrative Funktion, die den Filmen eine Dimension von Tiefe verlieh, die den Drehbüchern zum Teil fehlte. James Brown, Isaac Hayes, Curtis Mayfield und andere schrieben in der kurzen Blütezeit des Genres einige der aufregendsten Soundtracks der Filmgeschichte.
SHAFT (Gordon Parks Sr., USA 1971, 10.8.12)
Shaft
Privatdetektiv John Shaft soll in Harlem die entführte Tochter eines Gangsterbosses befreien und gerät zwischen die Fronten eines Mafiakrieges. Unterstützung beim Kampf gegen die Entführer erhält er durch die Mitglieder einer militanten Bürgerrechtsbewegung. Richard Roundtree als supercooler Private Dick wirkte stilbildend für viele black heroes der durch den enormen Erfolg des Films ausgelösten Blaxploita-tion-Welle. SHAFT zeigte Hollywood, dass es weltweit ein Publikum für afroamerikanische Filme gab. MGM produzierte bis 1973 zwei Sequels mit dem sexy Privatdetektiv im Lederdress, sieben Teile einer gleichnamigen Fernsehserie folgten. Isaac Hayes gewann für die Filmmusik einen Oscar, das Soundtrackalbum erreichte Platin-Status, was einem afroamerikanischen Künstler zuvor noch nie gelungen war.
SHAFT IN AFRICA (John Guillermin, USA 1973, 10.8.12)
“The Brother Man in the Motherland” bewarb MGM das dritte Abenteuer des schwarzen Privatdetektivs John Shaft. Shaft lässt Harlem und seine Lederjacke hinter sich, um in Äthiopien einen internationalen Menschenhändlerring zu zerschlagen, der Afrikaner nach Paris transportieren lässt, wo sie als illegale Gastarbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen ausgebeutet werden. Johnny Pate ist der Autor und Interpret des Soundtracks.
COFFY (Jack Hill, USA 1973, 11.8.12)
Pam Grier
Weil Dealer ihre elfjährige Schwester abhängig gemacht und ihr unsauberes Dope angedreht haben, tötet die Krankenschwester Coffy aus Vergeltung mehrere Drogenbosse. Pam Grier als schwarze Superwoman, die sich mit Pump Gun im Ford Mustang auf einen Rachefeldzug gegen Pimps und Drug Pushers begibt. Einer der populärsten Blaxploitation-Filme, für Quentin Tarantino ”one of the most entertaining movies ever made.” Roy Ayers’ Soundtrack, ”Coffy Is The Color”, verkaufte sich ebenso erfolgreich wie der Film selbst.
SLAUGHTER (Jack Starrett, USA/Mexiko 1972, 24.8.12)
Slaughter
Green-Beret-Veteran Jim Slaughter ist auf der Suche nach den Mördern seiner Eltern. Eine Spur führt nach Mexiko, zum rassistischen Mafioso Dominick Hoffo. Ein hoher body count und ein Showdown wie im Western kennzeichnen den Kassenschlager Slaughter, mit dem sich der ehemalige Football-Star Jim Brown in der Titelrolle als schwarzer Superman etablierte. Billy Preston, Session-Musiker u.a. für die Beatles und von 1969 bis 1975 so etwas wie der sechste Rolling Stone, lieferte dazu den kongenialen Soundtrack: raw and funky. Den Titelsong verwendete Quentin Tarantino in Inglourious Basterds (2009).
ACROSS 110TH STREET (Barry Shear, USA 1972, 16.8.12)
“Trying to break out of the ghetto”, wie Bobby Womack im Titelsong singt, rauben drei schwarze Kleinkriminelle der Mafia in Harlem 300.000 Dollar und erschießen dabei fünf Clan-Mitglieder und zwei Polizisten. Bei der sich anschließenden Jagd treten die Verflechtung von Polizei und organisierter Kriminalität sowie der Rassismus unter den Communities offen zu Tage. Captain Mattelli (Anthony Quinn) und der junge Afroamerikaner Lieutenant Pope (Yaphet Kotto) rivalisieren um die Leitung der Ermittlungen und vertreten völlig unterschiedliche Methoden. Bobby Womacks Soundtrack erlangte 25 Jahre später neue Popularität, als Quentin Tarantino die Eröffnungssequenz von Jackie Brown damit unterlegte.
SWEET SWEETBACK’S BAADASSSSS SONG (Melvin Van Peebles USA 1971, 7.8.12)
Ein Zuhälter rettet einen Black Panther vor der Polizeigewalt und tötet zwei rassistische Cops, woraufhin eine gnadenlose Hetzjagd auf ihn beginnt. Die Verbündeten bei Sweetbacks abenteuerlicher Flucht und parallel dazu bei seiner politischen Bewusstwerdung: Prostituierte, die Ghetto Community und eine Truppe Hell’s Angels. Autor, Produzent, Cutter, Regisseur und Hauptdarsteller Melvin Van Peebles verwendete das mit der Komödie Watermelon Man (1970) – der Geschichte eines weißen Rassisten, der eines Morgens als Schwarzer aufwacht – in Hollywood verdiente Geld, um in den Straßen von Los Angeles den ersten unabhängigen black action film zu drehen. Eine wütende, polemische Mischung aus Black Power, Sex und Kampf gegen “the Man”, gefeiert von Black Panther Leader Huey Newton, “rated X by an all-white jury”, wie die Plakate werbewirksam verkündeten. Der Soundtrack stammt von den damals noch unbekannten Earth, Wind & Fire. “Die Mutter aller Blaxploitation-Filme und nach wie vor die Messlatte des Genres: Wesentlich radikaler, intensiver und origineller als die kommerzialisierten Nachfolgewerke, die sein Überraschungserfolg schnell zeitigte, präsentiert sich SWEET SWEETBACK’S BAADASSSSS SONG als wahrer independent film. Eine rohe, furios montierte Äußerung schwarzen Selbstverständnisses, “dedicated to all brothers and sisters who have had enough of the Man”. (Christoph Huber)
COTTON COMES TO HARLEM (Ossie Davis USA 1970, 17.08.12)
Zwei schwarze Detectives der New Yorker Polizei entlarven einen betrügerischen Sektenführer, der Spendengelder geraubt hat und in einem Ballen Baumwolle versteckt hält. Das Regiedebüt des schwarzen Schauspielers und Bürgerrechtsaktivisten Ossie Davis ist der erste in Hollywood produzierte black action film mit überwiegend afroamerikanischen Darstellern. Die Drehbuchvorlage stammt von Chester Himes, einem afroamerikanischen Autor, der im Gefängnis zu schreiben begann und seit 1953 im Exil in Paris lebte. Komisch, actiongeladen und hip, wurde der on location, “with the cooperation of the people of Harlem”, gedrehte Film zur Inspirationsquelle für nachfolgende black action movies. “Is it black enough for you?” wurde spätestens mit diesem Film zum feststehenden Begriff.
SUPER FLY (Gordon Parks Jr., USA 1972, 17.08.12)
Die Geschichte eines schwarzen Kokain-Dealers in New York, der versucht, sich gegenüber dem weißen Boss zu behaupten und nach dem letzten großen Geschäft aussteigen will. Beeinflusst von Iceberg Slims im Gefängnis geschriebener, autobiografischen Erzählung, “Pimp: The Story of My Life” (1967), führte SUPER FLY den Pusherman als stylishen Protagonisten in das junge Genre ein. Die omnipräsente Musik von Curtis Mayfield, der mit seiner “Experience” auch im Film auftritt, zählt zu den absoluten Höhepunkten aller Blaxploitation-Soundtracks.
FOXY BROWN (Jack Hill, USA 1974, 18.8.12)
Pam Grier in ihrer vierten Zusammenarbeit mit B-Movie-Regisseur Jack Hill und nach dem enormen Erfolg von COFFY auf dem Gipfel ihres Blaxploitation-Starruhms: Als Titelfigur Foxy Brown schleust sie sich nach der Ermordung ihres Geliebten, eines Undercover-Agenten der Drogenbehörde, in einen die Stadt beherrschenden Rauschgiftring ein. Sie wird gefangen genommen und misshandelt, nimmt jedoch mit Hilfe eines “Nachbarschafts-Komitees” grausame Rache. Aufgrund der expliziten Gewaltdarstellungen kam der Film in einigen Ländern nur in einer Schnittfassung in die Kinos; in der BRD wurde FOXY BROWN, ebenso wie COFFY, um sieben Minuten gekürzt. Der Soundtrack des Films stammt von Willie Hutch.
JACKIE BROWN (Quentin Tarantino, USA 1997, 18.8.12)
Die Stewardess Jackie Brown (Pam -Grier) bessert ihr Gehalt auf, indem sie für den Waffenhändler Ordell (Samuel L. Jackson) Geld schmuggelt. Als sie bei einer Kontrolle festgenommen wird, bieten ihr die Behörden Straffreiheit, wenn sie mithilft, Ordell auffliegen zu lassen. Mit Unterstützung des Kautionsvermittlers Max (Robert Forster) versucht Jackie die Parteien auszutricksen, um selbst ans große Geld zu kommen. Tarantinos Hommage an Pam Grier und das Blaxploitation-Kino ist der reifste Beitrag zu seinem postmodernen Genre-Revitalisierungsprojekt: ein ironisches Krimi-Labyrinth, ein bewegendes, abgeklärtes Liebesmelodram, ein virtuos moduliertes Sprach-Spiel der Popkultur-Referenzen.
COOL BREEZE (Barry Pollack, USA 1972, 21.8.12)
Zur Gründung einer “Black People’s Bank” plant Sidney Lord Jones “in the name of the people” den ultimativen Coup, einen spektakulären 3-Millionen-Dollar-Diamantenraub in Los Angeles. Als Nachfolgeproduktion von SHAFT realisierte MGM mit COOL BREEZE ein schwarzes Remake des John-Huston-Klassikers The Asphalt Jungle (1950). Neben Thalmus Rasulala als charismatischem Gang Leader hat Pam Grier ihren ersten Auftritt in einem Blaxploitation-Film – ein Jahr bevor sie als “Coffy” zur ersten Superwoman des Genres wurde. Der Soundtrack zu dem in Deutschland nicht gestarteten Film stammt von Solomon Burke.
BLACK CAESAR (Larry Cohen, USA 1973, 23.8.12)
Tommy Gibbs arbeitet sich vom shoe shine boy zum Auftragskiller der Mafia empor, um Stück für Stück selbst die Herrschaft über die Unterwelt von Harlem zu übernehmen. Ein Blaxploitation-Film als Brecht’sches Volksstück, in dem Klassen- wie Rassenverhältnisse so analytisch präzise wie packend durchgearbeitet werden. BLACK CAESAR machte den früheren Footballer Fred Williamson zum Superstar des Genres. Der Titel nimmt Anleihen beim Gangsterfilmklassiker Little Caesar (1931); ein weiterer Bezugspunkt war Coppolas im Jahr zuvor in die Kinos gekommener The Godfather. Um auf dessen Erfolgswelle mitzuschwimmen, wurde BLACK CAESAR in Deutschland unter dem Verleihtitel “Godfather of Harlem” ins Kino gebracht. Der Soundtrack ist vom “Godfather of Soul”, James Brown.
Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.
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