Die Debatte wird tatsächlich heute noch immer geführt, ob Weiße in der Lage sind, Blues zu spielen. Wenn sich namhafte Magazine wie „Living Blues“ weiter weigern, sich mit der Musik von Musikern zu beschäftigen, weil diese eben nicht farbig sind, dann hat das nichts mit einem umgedrehten Rassismus zu tun. Im Hintergrund steht da eher eine Kombination aus zwei Fragestellungen.
Die eine betrifft die Frage der Authentizität. Kann jemand, der nicht zumindest über seine Vorfahren die Erinnerung an die Sklavenarbeit auf den Baumwollfeldern in sich trägt, wirklich den Blues nachvollziehen? Ist nicht jeder Versuch schon zum Scheitern verurteilt? Diese Einstellung geht davon aus, dass der Blues eben mehr ist als eine besondere Form der Musik wie etwa die Gregorianik, böhmische Polka oder argentinischer Tango. Der Blues ist das Vermächtnis und die Erinnerung eines ganzen Teils des amerikanischen Volkes. Das Leid der Sklaven kann man nicht ersetzen durch andere erlittene Schicksalsschläge. Der Blues wäre dann nicht authentisch.
Dieses Argument muss man meiner Meinung nach nicht mehr wirklich ernst nehmen. Denn das ist eine Konstruktion, die in der Realität der Bluesmusiker nie wirklich zutraf. Schon immer gab es einen Austausch zwischen weißen und farbigen Musikern, sangen Farbige Country und übernahmen Weiße Bluessongs ihrer Kollegen. Und spätestens seit Bands wie der Paul Butterfield
Bluesband waren Weiße auch von ihren Kollegen als gleichwertige Mitstreiter anerkannt. Und außerdem: Heut ist das Pflücken von Baumwolle auch bei farbigen Musikern höchstens noch eine Erinnerung an die Erzählungen der Großeltern. Mit dem urbanen Leben von heute haben diese Erinnerungen nichts mehr zu tun. Und schon in den 50er Jahren spielten sie für viele Musiker und Hörer kaum noch eine Rolle.
Das andere Argument ist schon schwerer zu entkräften: Weiße Bluesmusiker haben es auf dem begrenzten Markt einfacher, mit ihrer Musik Geld zu verdienen. Und ihre farbigen Kollegen bleiben auf der Strecke. Ob da ein immanenter Rassismus bei Konzertveranstaltern und Plattenkäufern verantwortlich ist, kann man schlecht entscheiden. Auf jeden Fall verkaufen sich komischerweise Platten weißer Bluesrocker oder auch weißer Bluesmen besser. Und sie werden eher in der Öffentlichkeit wahrgenommen, wie man etwa aktuell an der Nominierung und der letztlichen Vergabe des Blues-Grammy sehen kann.
Die Texte von „güntsied“ sind Alltagsgeschichten zwischen Erinnerungen an eine vergangene Jugendzeit und den heutigen Ärger mit Beziehungen., Und sie spielen mit den geschichtlichen Traditionen der Region, der Auswanderung in ein mythisches Amerika, die großen Zeiten des Fischfangs auf den Weltmeeren oder auch mit Ereignissen aus der Zeit vor der Gründung des
Deutschen Reiches. Das ist für Willms und Orendi ihr „Wilder Westen“, ihre Zeit der kulturellen Verwurzelung. Die Bluesanklänge etwa durch die Slide-Gitarre von Willms klingen weniger nach Robert Johnson als nach Ry Cooder oder auch Hank Shizzoe. Und wenn das Akkordeon erklingt, dann oszilliert es zwischen den spontan aufkommenden Shantyassoziationen und einer Tex-Mex-Fröhlichkeit, die letztlich immer die Oberhoheit behält.
Dass man als Außenstehender die Texte nicht sofort versteht, ist komischerweise kein Manko. Denn selbst als Sachse fühlt man sich in den Songs zu Hause und ernstgenommen. „güntsied“ ist daher ein absolut empfehlenswertes Album nicht nur für Norddeutsche und auch nicht nur für Bluesfans. Vollkommen einig waren wir uns in der Redaktion: Das ist unser Album des Monats März 2012.