Blankoscheck 2.0

Der französische Präsident Raymond Poincaré reist zum Staatsbesuch nach Sankt Petersburg

Raymonde Poincaré und der russische Zar Nikolaus II. Raymonde Poincaré und der russische Zar Nikolaus II.

Die Kanonen donnern schon einmal. Begleitet von Salutschüssen und dem Jubel der russischen Bevölkerung verlässt Frankreichs Präsident Raymond Poincaré das repräsentative Kriegsschiff France. Vor ihm liegt ein dreitätiger Staatsbesuch in Sankt Petersburg. Eigentlich war eine Antrittsvisite beim russischen Zaren Nikolaus II. geplant. Angesichts der dunklen Wolken, die vom Balkan her über Europa aufziehen, sieht sich Poincaré allerdings eher auf einer Versicherungs- und Ermutigungsmission: „Wir müssen die Russen vor den finsteren Plänen Österreichs warnen, „instruiert er seinen Ministerpräsidenten René Viviani, „wir müssen sie ermuntern standhaft zu bleiben, und ihnen unsere Unterstützung zusagen.“

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Raymond Poincaré ist 1860 in Lothringen geboren. Elf Jahre später brennt sich die schmerzliche Niederlage im deutsch-französischen Krieg auf immer in sein Gedächtnis ein. Die Schmach von Sedan und die deutsche Besetzung seiner Heimat hat er nie verwunden. Damals hat der letzte französische Kaiser Napoleon III. abgedankt – vierzig Jahre lenkt Poincaré das wiedererstarkte Frankreich und sinnt auf Revanche. Sein Weg nach an die Staatsspitze ist nicht unbedingt gerade gewesen, aber große Ziele erreicht man auch mit kleinen Schritten: Poincaré macht sich im Haushaltsausschuss einen Namen, tritt später als Finanz- und Bildungsminister in die Regierung ein. Schließlich führt er Frankreich erst als Ministerpräsident und Außenminister (gleichzeitig), dann als Staatspräsident. Poincaré ist ein emsiger und ehrgeiziger Arbeiter. Er kennt die Akten, hat starke Nerven, kann sich innenpolitische Widersacher vom Leib halten und findet einen intuitiven Zugang auch zu komplexen außenpolitischen Zusammenhängen. Poincaré zögert nicht, seine persönliche Entschlossenheit und Stärke auf Frankreich zu übertragen. Innenpolitisch setzt er die dreijährige Wehrpflicht durch und außenpolitisch versorgt er die in der Entente verbündeten Russen mit gigantischen Krediten und Ratschlägen: Man möge doch das Eisenbahnnetz an der deutschen Grenzen ausbauen, dann ließe sich auch die riesige Armee des Zarenreiches schnell mobilisieren, falls es zum Krieg komme.

Diesen Krieg, indem Paris und Sankt Petersburg Berlin in die Zange des Zweifrontenkriegs nehmen könnten, forciert Poincaré auch am 21. Juli 1914 – heute vor 100 Jahren. Bei einem Empfang des diplomatischen Korps droht er dem österreichischen Botschafter Friedrich von Szapáry öffentlich und unverhohlen: „Serbien hat sehr warme Anhänger im russischen Volk. Und Russland hat einen Bundesgenossen, Frankreich. Was können sich da für Entwicklungen ergeben!“ Dem serbischen Gesandten, der die Lage kritisch sieht, macht er Mut: Die Lage ist schlecht. „Wir werden Ihnen helfen, sie zu verbessern.“ Auf den prunkvollen Festbanketten und Empfängen sind kriegerische Trinksprüche zu vernehmen und nachdem Poincaré den russischen Zaren drei Tage bearbeitet und ihm seiner uneingeschränkte Solidarität versichert hat – das ist der französische Blankoscheck –, bringt er es bei der Abreise nochmals auf den Punkt: „Diesmal müssen wir hart bleiben!“ Noch ehe die Österreicher ihr Ultimatum an Serbien übergeben haben, hat der französische Präsident die Weichen dafür gestellt, dass Sankt Petersburg Belgrad ruhigen Gewissens zuraten kann, die Forderungen aus Wien abzulehnen…

Eulengezwitscher-Extra zur Julikrise weiterzwitschern:

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