Die böse Stiefmutter in Blancanieves: Maribel Verdú.
Es ist nur einmal Farbe zu sehen in Blancanieves, dem spanischen schwarz/weiß-Streifen von Regisseur Pablo Berger, einem Filmstudium-Absolventen der New York University, der hiermit seinen zweiten Langspielfilm realisiert hat. Eigentlich ist dieser Farbtupfer nicht einmal im Film selbst zu sehen, sondern in einer kurzen vorangestellten Sequenz, in der sich feierlich ein leuchtend roter Vorhang öffnet. Dieser Vorhang schwingt aus dem Blickfeld hinaus, eröffnet das Setting einer gut besuchten Stierkampfarena, in der ein gefeierter und umjubelter Torero das für den Stier signifikante rote Tuch schwingt – jetzt allerdings um seine Farbe beraubt. Derweil wird auch das Publikum in der Stierkampfarena bald um ihre überschwängliche Jubelstimmung beraubt werden. Der beliebte Torero (Daniel Giménez Cacho) wird den Kampf gegen den Stier nicht heile überstehen, ein sensationssüchtiger Fotograf macht sein wertvolles Foto, das Blitzlicht jedoch beeinflusst den Kampfausgang. In den Menschenmassen, die in der Arena Zeuge werden, wie der Stier seinen menschlichen Gegenspieler auf die Hörner nimmt, sitzt auch die Frau des Toreros, hochschwanger und nun in entsetzter Panik.
Wenige Momente später befinden sich beide im Krankenhaus. Der Torero hat immerhin überlebt, sieht sich aber mit dem Ende seiner famosen Karriere konfrontiert. Seine Frau bringt noch die Tochter zur Welt, lässt diese und ihren Mann dann aber allein im Leben. Der körperlich und seelisch gebrochene Mann will jedoch nichts von diesem Kind wissen, verliert selbst jeglichen Lebenswillen. Nur die Krankenschwester Encarna nimmt nun das gesamte Bild ein, lächelt verschmitzt als sie vom Reichtum dieses lädierten Mannes erfährt. Sie nimmt sich seiner Lage an, wird mit den Jahren für das kleine Kind zur Stiefmutter, zur neuen Lebensgefährtin des Witwers. Doch Encarna hat nichts Gutes im Sinne. Ihr Handeln ist nur von Geldgier und Macht bestimmt. Sie wird zur bösen Stiefmutter, die den ehemaligen Torero hinter verschlossener Tür mit S/M-Spielchen betrügt und das Kind als Arbeitskraft im Haushalt einsetzt.
Carmen, gespielt von Macarena García
Diese böse Stiefmutter kommt nicht von ungefähr. Pablo Berger erzählt die Geschichte seiner kleinen Carmen – das unter Encarna leidende Mädchen, Erbin des Toreros – als Märchen von Schneewittchen, angesiedelt im Spanien der 20er Jahre, wo verwinkelte Straßengassen fast so wie der verwunschene Wald wirken wollen. Blancanieves modernisiert somit die klassische Geschichte der Brüder Grimm mit den Mitteln des frühzeitlichen Kinos. Denn nicht nur arbeitet Berger, auch für das Drehbuch verantwortlich, mit einem schwarz/weißen Bild, auch hat er seine Darsteller verstummen lassen. Nur die Musik von Alfonso de Vilallonga ist für eine tonale Ebene verantwortlich.
Blancanieves muss seiner Thematik und Durchführung wegen fast bemitleidet werden. Wäre Walt Disneys 1937er Zeichentrickfilmklassiker die einzige Schneewittchen-Filmbearbeitung, so wäre genug Zeit ins Land verstrichen um sich dieses Märchens erneut anzunehmen. Aber ausgerechnet jetzt, wo sehr starke Snow White Figuren sowohl Kino (Snow White and the Huntsman, Spieglein Spieglein) als auch das Fernsehen (Once Upon A Time) bevölkern, wirkt ein weiteres Schneewittchen etwas unnötig. Hinzu kommt der zwar schon zurückliegende, aber immense Erfolg des französischen schwarz/weiß-Stummfilms The Artist, mit Oscar-Ehren überschüttet, verantwortlich für die Resozialisierung dieser Art der Filmgestaltung. Es scheint nun also so, als komme Blancanvies viel zu spät (zumindest in die deutschen Kinos). Aber das ist ein Trugschluss. Denn dieses Schneewittchen, ebenso stark wie ihre Hollywood-Schwestern, sprüht vor Charme und Einfallsreichtum. Die Modernisierung verlangt der Märchenwelt keine Opfer ab, bleibt so umzaubert wie ein Märchen eben sein sollte.
Die Torero-Zwerge
Den Vorteil, den Blancanieves haben könnte, sind die zumindest hierzulande unbekannten Gesichter, die Großes leisten. Schauspielerin Maribel Verdú mimt die böse Stiefmutter Encarna mit sinistrer, einprägsamer Mimik, wirkt extravagant wie genial gespielt. Dieser Stiefmutter steht Macarena Garcías Carmen gegenüber, ein Mädchen mit übergroßen Rehaugen. Der Zuschauer erlebt ihre Leidensgeschichte, vom Fötus im Bauch ihrer Mutter, als Baby, Kleinkind (Sofia Oria) bis hin zur Jugendlichen, dann eben von García dargestellt. Dieses Schneewittchen greift nicht zum Schwert wie es Kristen Stewart oder Lily Collins in ihren jeweiligen Hollywood-Verfilmungen getan haben, steht ihnen in Sachen Emanzipation allerdings in Nichts nach. Das Schwert wird hier zum roten Tuch, wenn Carmen mit Hilfe von Zwerg-Toreros in die Fußstapfen ihres Vaters tritt, mit den Flamenco-Fähigkeiten ihrer Mutter ausgestattet ihr elterliches Erbe antritt.
Was Blancanieves nicht macht, ist ins Fantastische abzudriften. Es gibt die böse Stiefmutter, auch der vergiftete Apfel wird eine Rolle spielen, aber kein verzauberter Spiegel berichtet von ‘der Schönsten im Lande’. Und in bester ‘starke Frau’-Thematik kommt dieses Schneewittchen auch ohne ihren Prince Charming aus, der von Regisseur und Drehbuchautor Pablo Berger nicht einmal angedeutet wird. Das funktioniert unheimlich gut, auch ohne Stimmen, ohne Farbe, dafür mit reichlich prinzlosem Charme.
“Blancanieves – Ein Märchen von Schwarz und Weiß“
Originaltitel: Blancanieves
Altersfreigabe: noch nicht bekannt
Produktionsland, Jahr: ES / FR / BE, 2012
Länge: ca. 104 Minuten
Regie: Pablo Berger
Darsteller: Macarena García, Maribel Verdú, Sofia Oria, Daniel Giménez Cacho, Ángela Molina
Kinostart: 28. November 2013
Im Netz: blancanieves-derfilm.de