Blamage im TV-Studio

Das TV-Duell ist vorbei. Wer auch immer dachte, 2013 sei furchtbar und eigentlich kaum zu toppen gewesen: sorry, nein. Mit dem TV-Duell 2017 geht ein desaströser Wahlkampf dem verdienten Ende zu. Es waren schwere, zeitweise unerträgliche 90 Minuten. Das lag zu einem gewissen Teil an Martin Schulz, der eine weitgehend miserable Performance ablieferte. Das lag zu einem größeren Teil an Merkel, die ein maximal langweiliges Format forcierte, um ihre Flanke zu decken. Und das lag zum Großteil an den vier veranstaltenden Moderatoren von ARD, ZDF, Pro7 und Sat1, deren fachliche Leistung unter aller Kanone war. Bevor wir aber beginnen, möchte ich einige positive Dinge nennen. Eigentlich sollte nichts davon überhaupt erwähnt werden müssen, aber im Jahr 2017 ist es schon fast ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland.
Da wäre zum einen, dass beide Kontrahenten vernünftige, rationale, ruhige Personen waren. Ob Schulz oder Merkel das Land regieren, Finis Germaniae ist wenigstens vier Jahre aufgeschoben. Was eigentlich in einer Demokratie normal sein sollte ist in den letzten Jahren praktisch zum Alleinstellungsmerkmal geworden. Auch waren die Antworten frei von persönlichen Angriffen. Das Höchste der Gefühle war es, als Schulz Merkel die Nummer von Heiko Maas empfahl, damit sie mehr kompetenten Rat habe. Das ist natürlich schon ein burn. Keiner der beiden gab sich der Versuchung hin, reaktionär-populistische Töne anzuschlagen, obwohl beide genügend Gelegenheit dazu hatten und Steilvorlagen von den Moderatoren bekamen. Von Doppelpass zu "Gehört der Islam zu Deutschland", von Dieselskandal bis zu Victor Orban - nirgendwo gab es irgendwelche gut klingenden, aber völlig beknackten Forderungen. Beide Kandidaten achteten stets darauf, dass alles was sie sagten in der Realität grundiert war. Auch sahen beide davon ab, die Medien zu attackieren. Stattdessen litten sie durch sämtliche Erniedrigungen durch das Moderatorenteam.
Das betraf besonders Martin Schulz. Waren die Moderatoren - Illner, Maischberger, Strunz und Kloeppel - bei Merkel noch zurückhaltend und professionell, so fühlten sich vor allem Maischberger und Illner beständig genötigt, einen laufenden Kommentar zu Schulz' Äußerungen abzugeben. Die Grenzen zwischen Interview und Debatte waren dabei für Schulz beständig verwischt, was ihm nicht eben zum Vorteil gereichte. Auch die Auswahl der Fragen - zu denen gleich noch wesentlich mehr zu sagen sein wird - benachteiligte ihn stark.
Nicht, dass es viel ausmachen würde. Schulz' Performance war furchtbar. Selbst wenn er Fragen erhielt, auf die er eigentlich stark sein sollte, Fragen, die in seinem Wahlkampfrepertoire seit Wochen eine Spitzenrolle einnahmen und für die er fertige soundbites haben müsste, verlor er sich in Schachtelsätzen, machte Einwürfe mit irrelevanten Details und schob sekundenlange Kunstpausen vor banalen Statements ein, die ihn wirken ließen als überlege er sich alles spontan. Dazu glaubte er, er müsse versuchen Merkel hart anzugreifen und in flagranti zu erwischen oder unbedingt immer das letzte Wort haben. Dies führte etwa dazu, dass die beiden über fünf Minuten lang über die Frage diskutierten, ob Merkel mit ihrer Zustimmung zur PkW-Maut nun ihr Versprechen von 2013 verraten habe. Nein, für den SPD-Frontmann war es ein Desaster. Die 100% Zustimmung waren ein unverdienter Vertrauensvorschuss, zumindest, was seine Fähigkeiten als Wahlkämpfer angeht. Merkel ist damit die klare Siegerin des Duells, wie bereits 2013. Gratulation an sie.
Gab es Überraschungen? Wenigstens vier kleine.
  1. Merkel erklärte, dass die Integration der Flüchtlinge wahrscheinlich nie zu 100% gelingen werden, weil "die Gastarbeiter" ja auch immer noch nicht alle integriert seien. Schon allein die Wortwahl stellt einen ziemlich bösen Fauxpas dar; die Aussage als solche ist in ihrer Gleichsetzung afghanischer Flüchtlinge und italienischer, griechischer und türkischer Gastarbeiter auch problematisch. Wie oben erwähnt verzichtete Schulz aber darauf, sie deswegen massiv anzugreifen. Die Antwort zeigt aber einmal mehr, warum die CDU in der Wählerschicht mit Migrationshintergrund so große Probleme hat.
  2. Schulz erklärte, er wolle die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort und komplett abbrechen, inklusive aller Hilfsprogramme und vieler Handelsverträge und forderte von Merkel, das auch zu tun (sie tat es nicht). Das war bisher nicht gerade offizielle SPD-Position.
  3. Merkel erklärte, unter keinen Umständen das Renteneintrittsalter heben zu wollen und dass die Rente mit 67 bereits ziemlich hart sei. Das ist ein ziemlich klares Signal an die "Rente mit 70"-Fraktion in ihrer Partei und der FDP.
  4. Schulz erklärte, dass er als Kanzler die Zustimmung Deutschlands zu EU-Zahlungen aus dem Strukturfonds von einer Aufnahme von Flüchtlingen abhängig machen würde. Das ist eine ziemlich radikale Positionierung im Kontext der EU-Politik.
Ansonsten gab es wenig Überraschendes.
Und damit kommen wir direkt zu den Fragen. Diese, genauso wie der Moderationsstil Deutschlands bestbezahlter Sprechpuppen, waren eine Frechheit. Die ersten 45 von 90 Minuten verbrachte die Sendung mit der Frage der Flüchtlinge. Es ist das derzeit bei der deutschen Bevölkerung präsenteste Thema, sicher. Aber nach zehn Minuten war eigentlich alles gesagt, schon allein, weil Merkels und Schulz' Position sich praktisch nicht unterscheiden. Stattdessen begannen sich die Fragen im Kreis zu bewegen, und mit jeder Kreisdrohung wurde der Tonfall rechtspopulistischer. Es war, als ob die AfD im Studio präsent wäre. Die Antworten waren von beiden Kandidaten bedacht, differenziert und vorsichtig. Letztlich waren sie sich in allem einig. Schulz legte nur mehr Gewicht darauf, dass die EU-Partner (wahrscheinlich durch Magie) zu einer europäischen Lösung hätten gezwungen werden sollen und dass das BAMF mehr Mitarbeiter bräuchte. Letztlich aber drehte sich die Debatte 45 geschlagene Minuten um die Frage im Kreis, ob Merkel 2015 alles zu 95% oder 100% richtig gemacht hatte. Anstatt danach endlich aus dem AfD-Fanclub auszutreten und andere Themenfelder anzuschneiden, redeten die Moderatoren dann geschlagene 15 Minuten über die Türkei, was die Flüchtlingsdebatte ein weiteres Mal aufheizte.
Damit waren 30 Minuten übrig, um ALLE ANDEREN THEMEN zu besprechen. Von diesen verschwendete Schulz weitere fünf Minuten in dem völlig hirnverbrannten Versuch, Merkel als Wortbrecherin darzustellen, weil sie die PkW-Maut mitgemacht hatte. Fünf. Minuten. Er entblödete sich noch nicht einmal, ihr Zusammenarbeit mit der LINKEn im Bundesrat vorzuwerfen. Merkel beendete den Schwachsinn schließlich mit dem Hinweis, dass die SPD dem Gesetz im Bundestag zugestimmt hatte. Die verlorene Lebenszeit bekommst du als Zuschauer nie zurück.
Als Schulz dann, 70 Minuten nach Beginn einer 90-minütigen Sendung, endlich etwas zum Thema Soziale Gerechtigkeit sagen durfte und einen vorbereiteten Kurzmonolog startete, wurde er schnell von den Moderatoren unterbrochen, die sich gegenseitig übertönten. Den Gipfel fand dieses entwürdigende Schauspiel in Maischbergers Feststellung: "Die Soziale Gerechtigkeit können wir ja ganz schnell machen." Das war der Moment als ich den Fernseher angeschrien und die Kinder geweckt habe. Statt endlich einmal über ein anderes Thema zu reden hatte Kloeppel eine atemberaubende Idee: er fragte Schulz, was denn, ganz konkret, in Zahlen, das Steuerkonzept der SPD jemandem so an Entlastung bringen würde? Schulz erbat sich konkretere Informationen, und die staunenden Zuschauer wurden Zeugen wie ein unvorbereiteter Kloeppel (die Moderatoren hatten sich zuvor schon von Merkel über die richtigen Zahlen bei den BAMF-Anträgen belehren lassen dürfen) Freestyle-Steuerberater mit Schulz spielte. Wie man eine so behämmerte Frage stellen kann entzieht sich mir völlig. Mal eben im Kopf ein fiktives Beispiel in der TV-Debatte kalkulieren?! Wie wäre es, wenn man die Zahlen einfach vorbereitet mitbringt? "Herr Schulz, nach dem Konzept Ihrer Partei sehen die Entlastungen für eine vierköpfige Familie mit 3500 Euro brutto in Hessen so aus..." Stattdessen einfach mal so ins Studio, als wäre es Kloeppel gerade eingefallen und er würde mit Schulz ungezwungen reden statt ein TV-Duell zu moderieren. Unsäglich. Kann jemand diese Pfeifenriege bitte feuern?
Auf diese Art näherte sich das Duell denn auch seinem Ende, nicht ohne EIN DRITTES MAL bei der Türkei und den Flüchtlingen, natürlich stets mit Terrorbezug, anzukommen. Zu diesem Zeitpunkt konnte man nur noch alle Hoffnung fahren lassen. Egal ob Schulz oder Merkel die Wahl gewinnen würde (Spoiler: Merkel), diese vier Flachpfeifen würden weiterhin zur besten Sendezeit agieren.
Zum Abschluss eine unvollständige Liste der nie angesprochenen Themen:
  • Klimawandel
  • Umweltschutz
  • Zeitarbeitsverträge
  • Bildung
  • Urheberrecht
  • Niedriglohnsektor (abgesehen von einem Halbsatz in Schulz' Schlussstatement)
  • Brexit
  • Griechenland/Euro
  • Macron und seine Reformvorschläge
  • EU-Sanktionen gegen Polen/Ungarn
  • Das 2%-Aufrüstungsziel der NATO
  • Auslandseinsätze der Bundeswehr
  • Familienpolitik (abgesehen von einem Halbsatz Schulz')
  • Digitalisierung (abgesehen von einem Halbsatz Merkels im Schlussstatement)
Immerhin: die beiden Kandidaten hielten sich tapfer. Auch wenn Schulz insgesamt performativ enttäuschend war, so waren beide seriös, gaben fundierte Antworten und zeigten, dass sie miteinander wie auch mit jeder anderen Partei (außer AfD) arbeiten konnten. Das lässt für Deutschland hoffen. Nach diesem TV-Duell ist solcher Trost auch bitter nötig.

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