Bitte, bitte werdet wieder normal. Normal im Umgang mit mir.
„Kerstin, es tut mir so wahnsinnig leid. Du mußt ja unendlich traurig und unglücklich sein.“ solche oder so ähnliche Nachrichten erreichen mich fast täglich. Und ja – ich bin traurig, sehr sogar. Noch nie hat mich etwas so traurig gemacht wie Stephan´s Tod. Aber nicht unendlich. Denn was bringt mir das? Außerdem widerspricht es total meiner Natur und ich würde daran kaputt gehen.
In jeder dieser Nachrichten lese ich so viel Liebe, Versuche, mir Trost zu spenden und doch bewirken sie so oft genau das Gegenteil. Ich bemühe mich, mein Leben in normale Bahnen zu bringen, nicht mehr nur zu weinen und die meiste Zeit an andere Dinge zu denken. Und dann kommen schwuppsdiwupps aus dem Nichts solche Zeilen und alles ist wieder da.
Das Gefühl, dass ich noch viel unglücklicher sein müsste. Dass es mir nicht zusteht, dass sich etwas wie Normalität einschleicht. Dass ich mich auf die neue Wohnung und den damit verbundenen Neuanfang freue. Bin innerlich so zerrissen deswegen. Ein ewiges Auf und Ab. Schwer zu beschreiben.
Natürlich antworte ich auf diese Texte auch entsprechend, die Wunde ist ja dann gerade wieder frisch aufgebrochen. Und ich bin Niemand, der jemanden, der es gut mit mir meint, vor den Kopf stoßen will.
Doch nochmals meine Bitte: geht (wieder) normal mit mir um! Zumindest, wer es kann. Ich weiß, es trauern viele auf ihre Art um Stephan und möchten das mit mir teilen. Alles gut. Wer genau das braucht, ist selbstverständlich jeder Zeit auch mit solchen Sätzen bei mir willkommen.
Doch alle, die eigentlich fragen wollen: „Wie geht es Dir?“, aber Angst vor der Antwort haben oder mit Traurigkeit und Kummer als Antwort rechnen. Bitte: stellt doch einfach diese Frage!
Klar kann es sein, dass ich sag: „Ich bin schrecklich traurig, weil ich ihn gerade in diesem Moment so sehr vermisse oder mir dieses und jenes einfiel.“ Aber es kann auch sein, dass ich antworte: „Seelisch geht´s aufwärts, nur die Erkältung ärgert mich und mein Kreislauf spielt Scheibe.“ Genauso ist es nämlich seit ein paar Tagen! Und dann ist es angenehm, nach vorne zu schauen, von der neuen Wohnung und unserem Möbelkauf, meiner Aufregung deswegen und anderen Dingen zu erzählen. Und hier zu sitzen und dabei zu strahlen, weil ich mich echt darauf freue.
Meist habe ich danach ein schlechtes Gewissen und mir laufen, wie jetzt die Tränen über das Gesicht. Alles ist immer noch so ungewohnt und neu und total doof ohne ihn. Und das schlechte Gewissen bezieht sich dann darauf, dass ich eine Weile nicht an seinen Tod gedacht habe. Ich weiß, Stephan würde so sehr mit mir schimpfen… Aber ich kann nun mal nicht aus meiner Haut heraus… Trau mich auch nicht wirklich, Glücklichsein zuzulassen. Wäre ich es doch so viel lieber mit ihm. Ich kann das Alles nicht mit ihm teilen – das fehlt mir so sehr. Die Freude in seinen Augen, wenn mich etwas erfreut oder ich etwas geschafft habe.
Darum brauche ich Eure Normalität mir gegenüber so sehr!
Weil bei mir noch lange nicht alles „normal“ ist. Weiß auch nicht, wo Normalität anfängt oder aufhört. Wie ich es schaffe, das bisschen Glück derzeit halten zu können und nicht im nächsten Tränenmeer wieder zu verlieren.
Doch ich kenn mich zu gut: ich brauch das wie die Luft zum Leben, die Sonne, die den Tag erhellt. Und ich bin für jedes bisschen dankbar, dass mich erreicht.
Macht euch ein bisschen weniger Sorgen um mich! Ich möchte mit Euch lachen, glücklich sein und weinen, ganz wie früher – je nach Situation.