Bitte merken: ‘Martha Marcy May Marlene’

Von Denis Sasse @filmtogo

© 20th Century Fox - Sarah Paulson als Lucy & Elizabeth Olsen als Martha, Marcy May und Marlene

In der Schauspiel-Welt nimmt man den Namen Olsen am ehesten in Kombination mit den Zwillingen Mary-Kate und Ashley wahr, die 1986 geboren, nur ein Jahr später eine Hauptrolle in der Fernsehserie ‚Full House‘ bekamen. Nach dem Ende der Show schlugen sie sich durch diverse Teenie-Produktionen und kleinere Gastauftritte in Film und Fernsehen. Nebenbei bauten sie sich ihr eigenes Mode-Imperium auf. Von all dem blieb ihre jüngere Schwester unberührt. Drei Jahre später wurde Elizabeth Olsen in die Welt gesetzt. Nachdem sie 1994 ihr Schauspieldebüt in der Fernsehproduktion ‚Abenteuer auf der Wildwasser-Ranch‘ feierte, verschwand sie danach ganz schnell wieder von der Bildfläche. Vielleicht um nicht den selben Fehler wie ihre Schwestern zu begehen und sich in belanglosen Fernsehproduktionen zu verlieren. Stattdessen widmet sie sich jetzt der großen Leinwand und beweist dabei, dass sie schauspielerisch weitaus beeindruckender als ihre Schwestern daherkommt. Ihr Kinodebüt trägt den wenig einprägsamen Titel ‚Martha Marcy May Marlene‘. Was der Filmtitel hier nicht leisten kann, macht die Hauptdarstellerin wieder wett. Elizabeth Olsen wird den Zuschauern im Gedächnis bleiben.

Elizabeth Olsen

In dem Film ist sie als Martha zu sehen, die nach Jahren in denen sie als verschwunden galt, wieder auftaucht und von ihrer älteren Schwester Lucy (Sarah Paulson) und dessen Mann Ted (Hugh Dancy) in deren einsamen Ferienhaus aufgenommen wird. Schon bald wird den beiden klar, dass Martha etwas Verstörendes erlebt haben muss. Die Erinnerungen, die sie nicht loslassen, zeigen, dass sich Martha einer sektenähnlichen Gemeinschaft um den gleichermaßen charismatischen wie auch bedrohlichen Anführer Patrick (John Hawkes) angeschlossen hatte. Zwar konnte Martha fliehen, fühlt sich aber noch immer nicht sicher. Im Kontrast zu der Ruhe des Hauses am See steigt die Anspannung zwischen den beiden Schwestern, die sich versuchen anzunähern, sich dabei aber doch voneinander entfernen.

Wenn wir Martha zum ersten Mal zu Gesicht bekommen, fügt sie sich noch den Anweisungen ihrer Kommune, in der die Männer klar das sagen haben. Der gut gefüllte Essenstisch wird hier zuerst von den männlichen Bewohnern des Hauses belagert, während die Frauen geduldig vor der Tür warten müssen um sich später über die Reste freuen zu dürfen. Diese Bilder werden sich einbrennen und den späteren, starken Kontrast zu der “normalen” Welt liefern, in der Marthas große Schester Lucy sich um sie kümmert. In ihrem Haus sieht alles viel zivilisierter aus, obwohl man sich nur drei Stunden von dem Ort entfernt befindet, an dem Martha reichlich Schikanierungen über sich ergehen lassen musste. Ein angsterfülltes Gesicht zeigt, dass sie nicht in ihre alte Heimat zurückkehren will, dass sie dieses normale Leben fortan begrüßen wird. Ein Gesicht, welches deutlich eine Olsen-Schwester erkennen lässt, aber zugleich auch eine innere und äußere Aufgewühltheit, die sich niemals mit der Schauspielkunst der älteren Schwestern vergleichen lassen würde. Eher erinnert Olsen hier an Jennifer Lawrence in ‘Winter’s Bone’, die ähnliche Torturen über sich ergehen lassen musste, dabei aber als neues Gesicht Hollywoods gefeiert wurde. Die Strapazen Marthas erleben die Zuschauer in Rückblenden, in denen klar wird, wie sie in die vermeintliche Sekte hineingeraten konnte und dort den Namen Marcy May bekam. Eine neue Familie, ein neues Leben, ein neuer Name. Da es sich hierbei um Erinnerungen der Hauptprotagonisten handelt, verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrheit und Realität, ebenso wie die Grenzen von Gegenwart und Vergangenheit. Was der Zuschauer gerade sieht, muss er sich selbst zusammen reimen, die Übergänge zwischen den Erzählsträngen werden nicht sichtlich gekennzeichnet, sondern nur durch die Umgebung markiert, in der Martha oder Marcy May sich gerade bewegt.

Sarah Paulson (Lucy) und Hugh Dancy (Ted)

In dieser Sekte ist es auch, wo sie ihren dritten Namen Marlene bekommt. Mit diesem muss sie sich immer melden, wenn sie das Telefon beantwortet. Es sorgt für eine innere Unruhe mit drei Identitäten leben zu müssen, vor allem wenn man diese selbst nicht mehr voneinander trennen kann. So wird sie vom Lebensgefährten ihrer Schwester als “Verrückt” angesehen, nachdem sie die Lebenserfahrungen aus der Sekte auf das normale Leben zu übertragen versucht. Sie weiß es einfach nicht besser und folgt einem gewohnten Muster. Sie ist zwar raus aus der Falle, kann sich aber geistig noch nicht davon lösen. So legt sie sich zu ihrer Schwester ins Bett, während diese sich beim Sexspiel mit ihrem Freund befindet, weil sie diese körperliche Nähe aus ihrem vorherigen Leben gewohnt ist. Als sie wiederum im Schlaf ins Bett uriniert, wischt sie sich mit ihrem Kleid den Urin vom Körper und versteckt es unter dem Kopfkissen. Solche Szenen wirken kommentarlos, unterstreichen die geistige Verwirrtheit von Martha, Marcy May und Marlene, die versucht ihre Vergangenheit zu vetuschen, mit der Gegenwart aber zugleich nicht klar kommt.

Ihre Schwester versucht ihr bestmöglich dabei zu helfen, wieder einen Zugang zum herkömmlichen Leben zu erhalten. Aber auf die Frage, ob manche Dinge aus der Vergangenheit stammen oder sich gerade in diesem Moment abspielen, weiß Martha selbst keine Antwort. Sie verliert sich in Erinnerungen, kann Dinge zeitlich nicht einordnen. Als Zuschauer ist es ebenso schwer hierauf eine passende Antwort zu finden. Vielleicht sind es auch keine Erinnerungen an eine vergangene Zeit, sondern eine parallel im Kopf ablaufende Handlung. Und dann würde die Frage aufgeworfen werden, welche von beiden Erzählungen Real und welche die Flucht in eine andere Welt wäre? Damit ist Martha überfordert, der emotionale Zusammenbruch wird kommen. Elizabeth Olsen wiederum besticht durch ihr Spiel, überzeugt auf sämtlichen Ebenen, spielt das verwirrte und verstörte Mädchen, ist wortkarg und mimisch stark.

‘Martha Marcy May Marlene’ wirkt sicherlich etwas in die Länge gezogen, bleibt aber dennoch ein starkes Charakterspiel der Hauptdarstellerin, die ein atmosphärisch stimmiges Drama komplett auf ihren Schultern tragen kann, ohne dabei jemals den Gedanken an ihre Schicki-Micki-Schwestern aus der Modebranche aufkommen zu lassen.

Denis Sasse


‘Martha Marcy May Marlene‘